„Mit Habeck kommen wir nicht aus der Krise“
Marie-Christine Ostermann ist Präsidentin des Verbandes „Die Familienunternehmer“. Den Wirtschaftsminister nennt sie zwar „sympathisch“, es hapere bei ihm aber am Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge.
Frau Ostermann, Familienunternehmer stöhnen unter der Last der Bürokratie. Manche verstehen es, wenn ihre Kinder den Betrieb nicht übernehmen wollen. Marie-Christine Ostermann: Damit junge Menschen Lust haben, das Familienunternehmen zu übernehmen, muss die Politik die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft deutlich verbessern. Denn Deutschland leidet unter immensen bürokratischen Auflagen. Die Steuern und auch die Sozialabgaben sind zu hoch, überall fehlen Fachkräfte, und die Infrastruktur ist zum Teil marode. Dieses Land braucht dringend Reformen.
Familienunternehmen gelten als das Rückgrat unserer Wirtschaft …
Ostermann: Genau. 60 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten arbeiten in Familienunternehmen. Und zudem bilden die Familienunternehmen 80 Prozent aller Azubis aus. Diese Rolle der Betriebe muss in der öffentlichen Wahrnehmung, also auch in Schulbüchern, sichtbarer werden. Und wir Unternehmer und Unternehmerinnen dürfen auch nicht politisch abstinent sein. Wir müssen uns wieder stärker in die Politik einmischen.
Sie sehen weit und breit keinen Lichtstreif am Horizont. Die Lage der Familienunternehmen sei derzeit so schlecht wie während der Corona-Lockdowns. Ist die Lage wirklich so ernst?
Ostermann: Die Lage ist wirklich sehr ernst, das zeigen unsere regelmäßigen Umfragen unter Familienunternehmern. Demnach geht mehr als ein Drittel davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage für sie verschlechtert. Nur noch 25 Prozent der international tätigen Familienunternehmen ist bereit, in Deutschland zu investieren, weil die Standortbedingungen zu schlecht sind. Die Deindustrialisierung hat bereits begonnen. Viele Unternehmer fühlen sich von der Politik nicht mehr verstanden. Und was besonders alarmierend ist: Ein Viertel der Unternehmen will Arbeitsplätze abbauen.
Welche Folgen hat der deutsche Reformstau?
Ostermann: Weil die Wirtschaft kaum wächst, fehlt uns Geld, um den Zustand der Bundeswehr deutlich zu verbessern, die Ukraine weiter massiv zu unterstützen, die Wohnungsnot in Deutschland zu lindern, die Flüchtlinge entsprechend zu integrieren und unser Land klimagerecht umzubauen. Um all das zu finanzieren, bräuchte die Wirtschaft einen Entlastungsschub,
damit wir das Wachstum ankurbeln können und die Staatseinnahmen steigen.
Was steht auf Ihrem Wunschzettel an die Politik?
Ostermann: Die Unternehmenssteuern müssen von knapp 30 auf unter 25 Prozent sinken und damit auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau angepasst werden. Auch die Sozialabgaben sind mit fast 42 Prozent viel zu hoch. Wenn wir das laufen lassen, kommen wir irgendwann bei 50 Prozent raus. Dann investiert kein Unternehmer mehr in Arbeitskräfte.
Doch die Ampelkoalition kurbelt doch jetzt die Wirtschaft an. Ostermann: Das von der Bundesregierung angepeilte Wachstumschancengesetz ist aber zu einem Mini-Wachstumschancengesetz verkommen. Besser spät als nie passierte es endlich den Bundesrat. Das Gesetz kann nur der Beginn zu einer anderen Wirtschaftspolitik sein, denn das Gesetz allein wird noch keinen Wachstumsimpuls auslösen. Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner müssen nun unverzüglich an die Arbeit gehen und ihr „Wirtschaftswende“-Paket in Gesetzesform gießen.
Das Reförmchen genügt Ihnen also nicht. Warum fehlt der Ampel der Mut für echte Reformen? Ostermann: Dass die Ampelregierung nicht in der Lage ist, Signale für einen Aufschwung zu setzen, liegt daran, dass die SPD und vor allem die Grünen einer komplett anderen Weltanschauung als die meisten Verantwortlichen in der Wirtschaft anhängen. Auch Habeck ist überzeugt, dass man Probleme mit einer sehr engmaschigen staatlichen Regulierung löst. Und er verteilt gerne Subventionen für die Agenda der Grünen.
An Robert Habeck reiben Sie sich immer wieder.
Ostermann: Die Wirtschaft tickt anders als Herr Habeck. Die Wirtschaft braucht Freiraum, um innovativ zu sein. Die Wirtschaft braucht verlässliche Rahmenbedingungen. Subventionen und Regulierungen, wie sie Herr Habeck liebt, sind nicht verlässlich, sondern willkürlich. Das zeigt sich am Heizungsgesetz: Herr Habeck wollte jedem Bürger vorschreiben, wie man zu heizen hat und wer das einhalten wollte, sollte mit Subventionen belohnt werden. Für diese Politik hatte er sich einen riesigen Schattenhaushalt für Subventionen geschaffen. Das hat das Bundesverfassungsgericht gestoppt. Herr Habeck musste wieder viele Subventionen streichen. So funktioniert eine verlässliche Politik nicht.
Ist Habeck der falsche Mann als Wirtschaftsminister? Brauchen wir einen neuen Ludwig Erhard oder Gerhard Schröder, Typen, die Deutschland voranbringen? Ostermann: Mit Habeck als Wirtschaftsminister kommen wir nicht aus der Krise. Wo ist Habeck? Wo hat er etwa seine Stimme gegen die Pläne für eine europäische Lieferkettenrichtlinie, ein bürokratisches Monster, erhoben? Natürlich wollen auch wir Unternehmer Menschenrechts- und Umweltstandards einhalten. Doch muss das mit so viel komplizierter Bürokratie verbunden sein? Habeck mischt sich in diese Debatten als Stimme für die Wirtschaft gar nicht ein. Nullkommanull!
Das ist eine Generalabrechnung mit Habeck.
Ostermann: Wir nehmen Herrn Habeck an keiner einzigen für die Wirtschaft wichtigen Stelle wahr. Es ist ja schön, wenn er bei einer Rede an der Columbia University in New York seine Politikergeneration ermutigt, „die Scheißprobleme, die wir jetzt haben“, zu lösen, also er sagte das auf Englisch: „Solve the fucking problems.“Notwendig aber wäre es, Herr Habeck würde die Probleme in unserem Land anpacken, damit hier unsere Wirtschaft wieder wächst.
Was muss Habeck jetzt anpacken? Ostermann: Ich hoffe, dass Habeck sich einsetzt, wenn demnächst die europäische Lieferkettenrichtlinie auf das deutsche Lieferkettengesetz trifft. In beiden schlecht gemachten Regulierungen sollten Zertifizierungen bezüglich Menschenrechtsund Umweltstandards eines Zulieferers reichen, damit ein deutsches Unternehmen nicht in existenzbedrohende Haftungsklagen hineingezogen werden kann. Mit so einer Lösung müssten Unternehmen nicht aufwendig für jedes einzelne Produkt teure Nachweise beibringen.
Geben Sie Habeck doch noch eine Chance?
Ostermann: Ich gebe Herrn Habeck noch eine Chance. Vorgezogene Neuwahlen sind nach unserem Grundgesetz unrealistisch, und untätig abzuwarten können wir uns nicht leisten. Jeder Tag zählt. Denn an jedem Tag werden Investitionsentscheidungen zuungunsten Deutschlands gefällt. Die aktuelle Bundesregierung muss dagegen endlich Maßnahmen ergreifen, sie muss den Stillstand schnellstens beenden, indem sie etwa den Solidaritätszuschlag abschafft.
Sie haben schon öfter mit Habeck gesprochen. Wie reagiert er auf Ihre Vorstöße?
Ostermann: Ich hatte angenehme Gespräche mit ihm. Er ist ein sympathischer und höflicher Mensch. Habeck ist ein überzeugter Klimaminister. Doch es hapert bei ihm am Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge. Deshalb ist es so wichtig, dass wir als Vertreter der Wirtschaft mit ihm im Gespräch bleiben. Interview: Stefan Stahl