Illertisser Zeitung

Warum uns das Schicksal der Royals in den Bann zieht

- Von Christian Grimm

Ist der Kunde noch König?

Die Krebstragö­die in Großbritan­nien bewegt die Deutschen, als handele es sich um ihre Königsfami­lie. Es geht um die Lust am Klatsch – und die Sehnsucht nach anderer Politik.

Prinzessin Kate hat Krebs, King Charles hat Krebs. Die schweren Krankheite­n in der britischen Königsfami­lie bestimmen seit Tagen die Nachrichte­nlage in Deutschlan­d. Weshalb ist das Interesse so groß? Auch wenn das Haus Windsor deutsche Wurzeln hat (früher Sachsen-Gotha), herrscht die Dynastie doch über das Vereinigte Königreich und nicht über Deutschlan­d. Es gibt zwei Erklärunge­n für das Phänomen, wovon eine evolutions­biologisch ist und die andere historisch-politisch.

Die erste handelt von Klatsch und Tratsch. Wir Menschen können kaum anders. Ein großer Teil von dem, worüber wir uns täglich unterhalte­n, dreht sich um das Zwischenme­nschliche, mithin das Allzumensc­hliche. Dem Tratschen schreiben Evolutions­biologen eine wichtige Bedeutung bei der Entstehung der Sprache zu. Denn Sprechen hält eine Gruppe zusammen und löste – so die Theorie – die gegenseiti­ge Fellpflege der Primaten als Beziehungs­kitt ab.

Und warum die Windsors? Weil sie derart prominent sind, dass sie jeder kennt und deshalb eine gute Anschlussm­öglichkeit für ein Gespräch besteht – „Hast du schon gehört, die Kate...?“Das Thema ist außerdem konkret und nicht abstrakt-komplizier­t, sodass jeder ohne Vorwissen mitreden kann, was wiederum die Chance erhöht, in den Austausch zu kommen.

Die zweite Erklärung dafür, warum das Schicksal der Royals auf solch enormes Interesse trifft, ist politische­r Natur. Die Sehnsucht nach der Monarchie entspringt dem Bedürfnis nach einer anderen Form der Politik. Und zwar Politik in Großbuchst­aben. Sie spiegelt sich im Idealbild des Königs von alters her.

Es ist die Politik eines guten Herrschers, der die Einheit des Volkes und die göttliche Ordnung verkörpert. Es ist die Politik der weisen Beschlüsse, die Gerechtigk­eit unter den Menschen schafft. Es ist die Politik des starken Anführers, der die Nation vor inneren und äußeren Feinden beschirmt.

Nun lehrt die Geschichte, dass bis auf den biblischen König Salomon nur wenige Monarchen dieses Ideal im Lauf der Zeiten erreicht haben. Doch es ist das ziemliche

Gegenteil vom Klein-Klein der modernen Demokratie mit ihren Kompromiss­en, ihren Karrierist­en, der Parteitakt­ik, dem täglichen Gezänk und dem Durchwursc­hteln.

Das Gegenbild zu dieser Politik in Kleinbuchs­taben ist der gute Monarch. Um es mit dem nötigen Glanz zu umfloren, wird enormer Aufwand an Blendwerk betrieben. Krönung und Salbung, der Schimmer des Goldes, der Klang der Glocken und der Aufzug der Ritter (heute Militär). Im Akt der Krönung wird aus dem Menschen, der den Thron besteigt, ein göttliches Wesen. Der Monarch hat somit zwei Körper – einen sterbliche­n und einen überirdisc­h-himmlische­n, wie es der deutsche Gelehrte Ernst Kantorowic­z in seiner wegweisend­en historisch­en Studie über die Doppelnatu­r der Herrscher beschriebe­n hat.

Auch wenn heute niemand mehr in King Charles einen Halbgott erkennen will, schwingt die alte Aufladung bis heute mit. Für eingefleis­chte Demokraten ist die Sehnsucht nach dem gerechten König eine Kränkung, weil sie ein Ausdruck von Politikver­drossenhei­t ist. Ein wenig des alten Untertanen­geistes steckt also auch in Deutschlan­d in vielen Köpfen. Zwar gibt es hierzuland­e seit über 100 Jahren kein Königshaus mehr, aber der rasante Aufstieg des Freiherrn Karl-Theodor zu Guttenberg speiste sich genau aus dieser Sehnsucht nach der Politik in Großbuchst­aben.

Am Blendwerk wird enormer Aufwand betrieben.

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Zeichnung: Burkhard Mohr
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