Illertisser Zeitung

Ein Rehbock als ungeladene­r Gast

Ein Wildtier springt am Hauptplatz in Weißenhorn durch die geschlosse­ne Tür einer Pizzeria. Der Inhaber ruft die Polizei. Ein Jäger muss das Reh erlösen.

- Von Jens Noll

Eine Blutspur zieht sich durch den Gastraum, durch die Küche und die Treppe hinunter bis in den Keller. Die Glastüre am Eingang des Restaurant­s ist zersplitte­rt. Wegen eines sehr ungewöhnli­chen Vorfalls hat die Pizzeria Dolce Vita am Hauptplatz in Weißenhorn am Mittwoch nicht wie üblich zum Mittag öffnen können. Erst einmal musste eine Reinigungs­firma ran, damit in der Pizzeria am Abend wieder wie gewohnt Speisen serviert werden konnten. Verantwort­lich für das Chaos, das Koch Riccardo Vernile am Morgen vorgefunde­n hatte, war der „Besuch“eines Rehbocks.

„Wilder Westen“– so kommentier­t Erwin Zanker, der stellvertr­etende Leiter der Polizeiins­pektion Weißenhorn, am frühen Nachmittag die Nachricht, die das Polizeiprä­sidium in Kempten in seinen

Pressemeld­ungen verbreitet hat. Denn Beamte der Dienststel­le in der Fuggerstad­t hatten am Morgen bereits versucht, das Tier einzufange­n. Gegen 8 Uhr, so heißt es im Polizeiber­icht, ging bei der Inspektion Weißenhorn eine Mitteilung ein, wonach sich auf dem Gelände einer Firma an der Adolf-Wolf-Straße ein Rehbock befinden soll, der von Zäunen gefangen sei.

Eine Polizeistr­eife machte sich auf den Weg – und sah den Rehbock auch. Das Wildtier ließ sich jedoch nicht einfangen. Es rannte in Panik auf dem Firmengelä­nde umher und entfernte sich in Richtung Innenstadt. Die Streife habe den Rehbock dann nicht mehr gesehen, berichtet Zanker, der bei dem morgendlic­hen Einsatz selbst nicht dabei war. Eine Dreivierte­lstunde später klingelte erneut das Telefon in der Dienststel­le: Es war der Inhaber der Pizzeria am Hauptplatz, der berichtete, dass ein Rehbock durch die geschlosse­ne Glastüre seines Lokals gesprungen und so in die Gasträume gelangt sei. „Es ist eigentlich unmöglich, aber es ist passiert“, erzählt Francesco Iervolino am Nachmittag im Gespräch mit unserer Redaktion. Das verängstig­te Tier hatte sich beim Sprung durch die Glastüre schwer verletzt und rannte durch die Räumlichke­iten der Pizzeria. Laut Polizei richtete der Rehbock dabei erhebliche­n Schaden an. Es sei nicht so schlimm gewesen, sagt der Inhaber. Im Grunde sei nicht viel kaputtgega­ngen, niemand sei verletzt worden. Den Schaden beziffert er auf etwa 700 Euro. Die Eingangstü­r wurde schon im Laufe des Tages ausgetausc­ht.

Um das Tier einzufange­n, forderte die Polizei selbst Unterstütz­ung an. Für den Jagdpächte­r André Feher aus Pfaffenhof­en war es der erste Einsatz dieser Art. Der 37-Jährige hat seit drei Jahren einen Jagdschein. Als der Anruf kam, war er gerade in seiner Firma im Nersinger Ortsteil Straß. Zusammen mit Iervolino und den Polizisten gelang es dem Jäger, den Rehbock im Gastraum der Pizzeria festzuhalt­en und nach draußen zu bringen. „Ich habe ihn am Geweih gepackt“, erzählt Feher. Ein Polizist legte die Schleife einer Fangstange um den Hals des Tieres.

Der unangemeld­ete Besucher war Feher zufolge kein Jungtier, sondern ein älteres Männchen. Das Tier habe sehr viel Blut verloren, ihm sei leider nicht mehr zu helfen gewesen. „Es wäre qualvoll gestorben“, fügt der Jäger hinzu. Also erlöste er den Rehbock nach Absprache der Polizei mit einem Stich ins Herz von seinen Schmerzen.

Üblicherwe­ise werden schwer verletzte Wildtiere, wie zum Beispiel nach Wildunfäll­en, mit einer Schusswaff­e getötet. Doch Feher und die Polizisten waren sich einig, dass am Hauptplatz die andere Methode sinnvoller ist. Darauf geht auch der Vize-Polizeiche­f im Gespräch mit unserer Redaktion ein.

„Schusswaff­engebrauch in der Innenstadt ist nicht möglich. Das ist viel zu gefährlich“, sagt Zanker. Eine Pistolenku­gel gehe aus kurzer Distanz üblicherwe­ise durch den Körper des Tieres durch. Sie könne danach irgendwo abprallen oder im Körper durch einen Knochen abgelenkt werden. Dadurch werde das Geschoss unkontroll­ierbar, betont Zanker. Das Risiko, dass auch eine Person tödlich verletzt wird, sei zu groß.

Einige Schaulusti­ge haben am Morgen das Einsatzges­chehen verfolgt. Von seinen Kollegen hat Zanker erfahren, dass sie auch gefragt worden seien, warum in dem Fall nicht geschossen werde. Der stellvertr­etende Inspektion­sleiter sagt dazu: „Wir wollen nicht, dass ein Schaulusti­ger umfällt.“

Nicht nur bei der Polizei in Weißenhorn, sondern auch in der Pizzeria wird der außergewöh­nliche Vorfall wohl noch einige Tage Gesprächst­hema bleiben.

 ?? Fotos: André Feher ?? Ein Rehbock hat am Mittwochmo­rgen eine ziemliche Sauerei in der Pizzeria Dolce Vita am Hauptplatz in Weißenhorn angerichte­t. Das Tier verlor dabei sehr viel Blut. Polizisten fingen es gemeinsam mit einem Jäger ein, um es zu erlegen.
Fotos: André Feher Ein Rehbock hat am Mittwochmo­rgen eine ziemliche Sauerei in der Pizzeria Dolce Vita am Hauptplatz in Weißenhorn angerichte­t. Das Tier verlor dabei sehr viel Blut. Polizisten fingen es gemeinsam mit einem Jäger ein, um es zu erlegen.

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