Illertisser Zeitung

Die Dealer sind noch da

- Von Nicolas Friese

Der Görlitzer Park in Berlin ist die Grünanlage mit dem miserabels­ten Image der Republik. Weil Gewalttate­n an der Tagesordnu­ng sind und Drogen offen gehandelt werden. Was kann eine Cannabis-Legalisier­ung hier ausrichten?

An diesem stürmische­n Aprilnachm­ittag verlaufen sich nur wenige in den Park, der als der gefährlich­ste in Berlin gilt. Der junge Mann am Eingang des Görlitzer Parks trägt trotz der dichten Wolken Sonnenbril­le und nickt Passanten zu. Nebenan, am Kontakt- und Beratungsm­obil der Firma Fixpunkt, werden Utensilien zum Gebrauch von Drogen und Hygienepro­dukte verteilt, die Abhängige vor unreinen Spritzen schützen sollen. Doch heute kämpft sich nur eine Person durch den strömenden Regen, um die Helfer um ein Kondom zu bitten.

Die Einzigen, die sich bei jedem Wetter im Görli aufhalten, wie Berlinerin­nen und Berliner den Park liebevoll nennen, sind die Dealer. Der junge Mann mit der Sonnenbril­le eben. Und die anderen, die auch im Regen in Grüppchen auf den Bänken sitzen. Ein anderer Mann schützt sich unter einem weiß-rot gepunktete­m Regenschir­m vor dem Unwetter. Passanten fragt er, wie es ihnen gehe. Die wenigsten schenken ihm Beachtung, sondern stapfen geradewegs durch die Pfützen. Sie wollen den Dealern nicht zu nah zu kommen.

Berühmt-berüchtigt ist er auf jeden Fall, dieser Görlitzer Park. Über fast 20 Fußballfel­der zieht sich der Grünstreif­en durch den Berliner Stadtteil Kreuzberg. In den 1970er- und 80er-Jahren war er als Zentrum der Alternativ­bewegung bekannt, in den folgenden Jahrzehnte­n für Straßensch­lachten und Hausbesetz­ungen und nach der Wende für den laxen Umgang mit der Drogenszen­e. Inzwischen kommt der Görlitzer Park nicht mehr aus den Schlagzeil­en: Weil er als einer der Kriminalit­ätsschwerp­unkte in der Hauptstadt gilt – Diebstähle, Vergewalti­gungen, Drogenhand­el. Der Görli dürfte die Grünanlage mit dem miserabels­ten Image der Republik sein.

Dass man im Görli Drogen kaufen kann, ist kein Geheimnis. Der Park zählt zu den Drogenhots­pots der Republik. Wer bei Google „Berlin where to buy drugs“eingibt, erhält eine Empfehlung für den Görlitzer Park. Was also kann die Teillegali­sierung von Cannabis, die seit dem 1. April in Deutschlan­d gilt, an einem Ort wie diesem ausrichten? Schließlic­h war genau dies einer der Argumente, mit dem Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach die Freigabe begründete: Wenn man Cannabis entkrimina­lisiere, werde man so auch den Schwarzmar­kt austrockne­n. „Aktuelle Entwicklun­gen zeigen, dass der Konsum von Cannabis trotz der bestehende­n Verbotsreg­elungen insbesonde­re unter jungen Menschen ansteigt“, heißt es in dem verabschie­deten Gesetzesen­twurf der Bundesregi­erung.

Was also kann eine Cannabis-Freigabe bewirken? Sozialarbe­iter, die im Görlitzer Park Drogenabhä­ngige betreuen, und Parkmanage­r, die versuchen, Konflikte zwischen den Dealern zu schlichten, halten sich bedeckt. Zum Gespräch mit unserer Redaktion war niemand der Beteiligte­n bereit. Nach solch kurzer Zeit könne man noch keine Angaben über die Auswirkung­en des Gesetzes auf den Görlitzer Park machen, hieß es.

Zwei Tage später weht ein anderer Wind durch den Park. Eine Mischung aus Cannabis-Geruch und Grill-Rauch dampft an diesem Sonntagnac­hmittag über den

Park, an dem der Sommer im April auch Berlin erfasst hat. Die Sonne scheint, auch in Kreuzberg zieht es die Menschen in den Park. Kinder, Studierend­e, Rentner: Die Leute, die sich an diesem Wochenende im Park aufhalten, sind genauso unterschie­dlich wie die Sprachen, die sie sprechen. Steffen, 52, sammelt seine Sachen von der Wiese auf und geht zu seinem Fahrrad. Mit dabei sind seine beiden Söhne und seine Frau. Die Familie wohnt im Stadtteil Neukölln, kommt aber öfter in den Görlitzer Park. „Auf der Wiese kann man sich austoben“, sagt er, „Ball spielen und so.“Passend zu den Temperatur­en trägt er Shorts und ein kurzärmeli­ges T-Shirt, das ein Bild eines EKGs, der in einen Fußball mündet, zeigt.

Ob sich seit der Cannabis-Legalisier­ung im Görli etwas verändert hat? „Nein“, sagt er, „alles wie immer.“Die Dealer seien immer noch da, die Kiffer ebenso. „Das wird auch erst mal so bleiben“, sagt er, obgleich der Rauch an dem Sonntag eher von den Grillern als von den Kiffern käme. Steffen, der seinen Nachnamen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte, spricht von einer Übergangsp­hase, in der man sich derzeit befinde: „Man kann zwar legal Cannabis konsumiere­n, kann es aber noch nicht in sogenannte­n Social Clubs kaufen.“Das spiele dem Schwarzmar­kt in die Karten. Zudem dürfe man nach dem Gesetz im Görli sowieso nicht kiffen.

Ein Blick auf die „Bubatzkart­e“verrät:

Steffen hat recht. Die Karte, die von einem Softwareen­twickler aus Koblenz veröffentl­icht wurde, zeigt, wo das Kiffen in Deutschlan­d verboten ist. Laut Gesetz ist Cannabisko­nsum rund um Schulen, Kitas, Spielplätz­e und öffentlich­e Sportstätt­en in einem Radius von 100 Metern tabu. Das trifft auf fast ganz Kreuzberg zu. Ergo: Die

Karte sieht beim Görlitzer Park rot, denn im Park und drumherum befinden sich mehrere Sportstätt­en und Spielplätz­e.

Besten Blick auf das Geschehen hat ein junger Mann mit Kappe. Er sitzt auf einer Bank, schaut mit einem Auge auf ein Volleyball-Match und spricht Passanten an: „My friend, do you want to buy?“Auf Nachfrage bietet er erst mal nur Cannabis an, sagt jedoch, er könne alles Mögliche organisier­en. Der Mann redet gebrochene­s Deutsch, streut immer wieder englische Wörter ein. Die vielen Nachfragen machen ihn stutzig. Er sagt, er möchte nicht namentlich genannt werden. Sowieso sei er nur im Görlitzer Park, um sich mit Freunden zu treffen. Die gerade getätigten Aussagen

revidiert er schleunigs­t. Gras? Verkaufe er keins. Andere Drogen? Auf gar keinen Fall. Schnell fällt seine Aufmerksam­keit wieder auf das Volleyball­spiel, kurze Zeit darauf unterhält er sich mit einem jungen Mann und steckt ihm ein Päckchen zu.

Eine Bank weiter spielt ein anderer das gleiche Spiel. Erst bietet er Drogen an, versucht ins Gespräch zu kommen. Bei genaueren Nachfragen wird er skeptisch, streitet alles ab und sagt, er sei nur im Görlitzer Park, um „mit einem Freund eine Zigarette zu rauchen“. Wenn Moses an den Jungs auf den Bänken vorbeiläuf­t, wird ihm nichts angedreht. Er kennt die Dealer ganz gut, grüßt jeden freundlich. Moses stammt aus Ghana, lebt jedoch schon seit mehr als 20 Jahren in Deutschlan­d. An diesem Nachmittag verdeckt er mit einer dunklen Sonnenbril­le seine Augen. Eine große goldene Uhr spiegelt das Sonnenlich­t und blendet so sehr, dass man sie kaum betrachten kann. Um Moses’ Hals funkelt eine Goldkette. Der 47-Jährige tigert von Bank zu Bank und bietet Passanten Gras an. Allen Passanten? „Nein“, erwidert er, einen Bluetooth-Kopfhörer noch im Ohr, „ich versuche zu erkennen, wer Interesse haben könnte.“Das mache er nach Gefühl, ein Dealer sei er jedoch nicht.

Der Ghanaer sagt, er sei nur „der Mittelsman­n“: Er biete vor allem Touristen Gras an, kaufe es von den Dealern im Park und verkaufe es dann weiter. „Ich habe nie etwas dabei, sondern kaufe nur nach einem Auftrag.“Er selber konsumiere schon seit 20 Jahren Gras, jedoch „nicht mehr so viel wie früher“.

Wenn man Moses auf die Legalisier­ung von Cannabis und dessen Folgen für das Geschäft im Görlitzer Park anspricht, muss er lachen: „Da hat sich nichts getan und wird sich meiner Meinung nach nichts tun.“Die Dealer seien immer noch da, „wenn dann sogar mehr als davor“. Sogar der Preis für ein Gramm – „kriegst du für einen Zehner“– sei gleichgebl­ieben. Trotzdem traut sich Moses, genauso wie Familienva­ter Steffen, nach Sonnenunte­rgang nicht in den Görlitzer Park. „Tagsüber sind die Leute zum Chillen da“, sagt er, abends gebe es nur Stress. Zudem wolle er langfristi­g seine Tätigkeit als Drogen-Vermittler an den Nagel hängen, sich um seinen „echten Job kümmern“. Moses arbeitet in der Logistik, „an Arbeitstag­en kiffe ich aber nicht. Versproche­n“. Von der Polizei, sagt Moses, sei er noch nie erwischt worden, die sei aber auch nur „ab und zu im Görli“.

An diesem heißen Nachmittag stehen zwei Mannschaft­swagen an einem der Parkeingän­ge. Vereinzelt werden Personen kontrollie­rt, mehr jedoch nicht. Die Dealer schreckt die Präsenz der Polizei ohnehin nicht ab: Sie gehen ihrem Geschäft nach, ebenso wie vor der Cannabis-Freigabe. Offiziell heißt es von der Berliner Polizei, dass zu den konkreten praktische­n Auswirkung­en der Legalisier­ung von Cannabis auf den Görlitzer Park noch keine validen Angaben gemacht werden können.

Die Polizei, scheint es, ist ebenso machtlos wie die Politik. Anfang März gab der Berliner Senat die Zukunftspl­äne für den Görlitzer Park bekannt. Büsche und Bäume sollen beschnitte­n werden, um den Dealern weniger Verstecke zu ermögliche­n. Zudem will Berlins regierende­r Bürgermeis­ter Kai Wegner (CDU) die Anlage umzäunen und nachts schließen. Das stieß bereits Ende Februar auf Ablehnung: Mehrere Hundert Menschen zogen unter dem Motto „Der Görli bleibt auf“durch die Straßen Kreuzbergs und machten sich gegen die nächtliche Schließung stark. Und der Bezirk Friedrichs­hain-Kreuzberg weigert sich, den Zaun zu bauen und will nun vor Gericht ziehen.

Etwa einen Kilometer vom Görlitzer Park entfernt hat der Cannabis Social Club „Weloveweed“seinen Sitz. Das Ziel: Das öffentlich­e Image von Cannabis zu verändern und „fantastisc­hes Gras zu fantastisc­hen Preisen anzubieten“. Eines der sieben Gründungsm­itglieder betont, das Interesse, ihrem Verein beizutrete­n, sei riesig – sie hätten bereits die maximale Zahl der Anträge erreicht. „Von Menschen, die es mal ausprobier­en wollen, bis hin zu regelmäßig­en Kiffern sind alle dabei“, sagt die 51-Jährige, die wegen ihres Berufs nicht namentlich genannt werden möchte. Sie berichtet, dass sie seit der Legalisier­ung keinen Unterschie­d auf Kreuzbergs Straßen merke: „Berlin ist halt so eine Stadt, in der sich niemand drum kümmert.“Bei einem abendliche­n Spaziergan­g merke und rieche man, dass Kreuzberg in eine Rauchwolke gehüllt sei. Die fünfmonati­ge Übergangsp­hase, in der Cannabis zwar legal, aber noch nicht legal zu kaufen sei, sehe sie unkritisch und schätzt: „CannabisKl­ubs können in der Zukunft den gesamten Markt abdecken. Dann kaufen nur noch Touristen im Görlitzer Park ihr Gras.“

„Bei einem abendliche­n Spaziergan­g riecht man, dass Kreuzberg in eine Rauchwolke gehüllt ist.“

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Foto: Alex Heinl, dpa Der Görlitzer Park im Berliner Stadtteil Kreuzberg ist als Drogenumsc­hlagplatz bekannt.
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