Die Dealer sind noch da
Der Görlitzer Park in Berlin ist die Grünanlage mit dem miserabelsten Image der Republik. Weil Gewalttaten an der Tagesordnung sind und Drogen offen gehandelt werden. Was kann eine Cannabis-Legalisierung hier ausrichten?
An diesem stürmischen Aprilnachmittag verlaufen sich nur wenige in den Park, der als der gefährlichste in Berlin gilt. Der junge Mann am Eingang des Görlitzer Parks trägt trotz der dichten Wolken Sonnenbrille und nickt Passanten zu. Nebenan, am Kontakt- und Beratungsmobil der Firma Fixpunkt, werden Utensilien zum Gebrauch von Drogen und Hygieneprodukte verteilt, die Abhängige vor unreinen Spritzen schützen sollen. Doch heute kämpft sich nur eine Person durch den strömenden Regen, um die Helfer um ein Kondom zu bitten.
Die Einzigen, die sich bei jedem Wetter im Görli aufhalten, wie Berlinerinnen und Berliner den Park liebevoll nennen, sind die Dealer. Der junge Mann mit der Sonnenbrille eben. Und die anderen, die auch im Regen in Grüppchen auf den Bänken sitzen. Ein anderer Mann schützt sich unter einem weiß-rot gepunktetem Regenschirm vor dem Unwetter. Passanten fragt er, wie es ihnen gehe. Die wenigsten schenken ihm Beachtung, sondern stapfen geradewegs durch die Pfützen. Sie wollen den Dealern nicht zu nah zu kommen.
Berühmt-berüchtigt ist er auf jeden Fall, dieser Görlitzer Park. Über fast 20 Fußballfelder zieht sich der Grünstreifen durch den Berliner Stadtteil Kreuzberg. In den 1970er- und 80er-Jahren war er als Zentrum der Alternativbewegung bekannt, in den folgenden Jahrzehnten für Straßenschlachten und Hausbesetzungen und nach der Wende für den laxen Umgang mit der Drogenszene. Inzwischen kommt der Görlitzer Park nicht mehr aus den Schlagzeilen: Weil er als einer der Kriminalitätsschwerpunkte in der Hauptstadt gilt – Diebstähle, Vergewaltigungen, Drogenhandel. Der Görli dürfte die Grünanlage mit dem miserabelsten Image der Republik sein.
Dass man im Görli Drogen kaufen kann, ist kein Geheimnis. Der Park zählt zu den Drogenhotspots der Republik. Wer bei Google „Berlin where to buy drugs“eingibt, erhält eine Empfehlung für den Görlitzer Park. Was also kann die Teillegalisierung von Cannabis, die seit dem 1. April in Deutschland gilt, an einem Ort wie diesem ausrichten? Schließlich war genau dies einer der Argumente, mit dem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Freigabe begründete: Wenn man Cannabis entkriminalisiere, werde man so auch den Schwarzmarkt austrocknen. „Aktuelle Entwicklungen zeigen, dass der Konsum von Cannabis trotz der bestehenden Verbotsregelungen insbesondere unter jungen Menschen ansteigt“, heißt es in dem verabschiedeten Gesetzesentwurf der Bundesregierung.
Was also kann eine Cannabis-Freigabe bewirken? Sozialarbeiter, die im Görlitzer Park Drogenabhängige betreuen, und Parkmanager, die versuchen, Konflikte zwischen den Dealern zu schlichten, halten sich bedeckt. Zum Gespräch mit unserer Redaktion war niemand der Beteiligten bereit. Nach solch kurzer Zeit könne man noch keine Angaben über die Auswirkungen des Gesetzes auf den Görlitzer Park machen, hieß es.
Zwei Tage später weht ein anderer Wind durch den Park. Eine Mischung aus Cannabis-Geruch und Grill-Rauch dampft an diesem Sonntagnachmittag über den
Park, an dem der Sommer im April auch Berlin erfasst hat. Die Sonne scheint, auch in Kreuzberg zieht es die Menschen in den Park. Kinder, Studierende, Rentner: Die Leute, die sich an diesem Wochenende im Park aufhalten, sind genauso unterschiedlich wie die Sprachen, die sie sprechen. Steffen, 52, sammelt seine Sachen von der Wiese auf und geht zu seinem Fahrrad. Mit dabei sind seine beiden Söhne und seine Frau. Die Familie wohnt im Stadtteil Neukölln, kommt aber öfter in den Görlitzer Park. „Auf der Wiese kann man sich austoben“, sagt er, „Ball spielen und so.“Passend zu den Temperaturen trägt er Shorts und ein kurzärmeliges T-Shirt, das ein Bild eines EKGs, der in einen Fußball mündet, zeigt.
Ob sich seit der Cannabis-Legalisierung im Görli etwas verändert hat? „Nein“, sagt er, „alles wie immer.“Die Dealer seien immer noch da, die Kiffer ebenso. „Das wird auch erst mal so bleiben“, sagt er, obgleich der Rauch an dem Sonntag eher von den Grillern als von den Kiffern käme. Steffen, der seinen Nachnamen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte, spricht von einer Übergangsphase, in der man sich derzeit befinde: „Man kann zwar legal Cannabis konsumieren, kann es aber noch nicht in sogenannten Social Clubs kaufen.“Das spiele dem Schwarzmarkt in die Karten. Zudem dürfe man nach dem Gesetz im Görli sowieso nicht kiffen.
Ein Blick auf die „Bubatzkarte“verrät:
Steffen hat recht. Die Karte, die von einem Softwareentwickler aus Koblenz veröffentlicht wurde, zeigt, wo das Kiffen in Deutschland verboten ist. Laut Gesetz ist Cannabiskonsum rund um Schulen, Kitas, Spielplätze und öffentliche Sportstätten in einem Radius von 100 Metern tabu. Das trifft auf fast ganz Kreuzberg zu. Ergo: Die
Karte sieht beim Görlitzer Park rot, denn im Park und drumherum befinden sich mehrere Sportstätten und Spielplätze.
Besten Blick auf das Geschehen hat ein junger Mann mit Kappe. Er sitzt auf einer Bank, schaut mit einem Auge auf ein Volleyball-Match und spricht Passanten an: „My friend, do you want to buy?“Auf Nachfrage bietet er erst mal nur Cannabis an, sagt jedoch, er könne alles Mögliche organisieren. Der Mann redet gebrochenes Deutsch, streut immer wieder englische Wörter ein. Die vielen Nachfragen machen ihn stutzig. Er sagt, er möchte nicht namentlich genannt werden. Sowieso sei er nur im Görlitzer Park, um sich mit Freunden zu treffen. Die gerade getätigten Aussagen
revidiert er schleunigst. Gras? Verkaufe er keins. Andere Drogen? Auf gar keinen Fall. Schnell fällt seine Aufmerksamkeit wieder auf das Volleyballspiel, kurze Zeit darauf unterhält er sich mit einem jungen Mann und steckt ihm ein Päckchen zu.
Eine Bank weiter spielt ein anderer das gleiche Spiel. Erst bietet er Drogen an, versucht ins Gespräch zu kommen. Bei genaueren Nachfragen wird er skeptisch, streitet alles ab und sagt, er sei nur im Görlitzer Park, um „mit einem Freund eine Zigarette zu rauchen“. Wenn Moses an den Jungs auf den Bänken vorbeiläuft, wird ihm nichts angedreht. Er kennt die Dealer ganz gut, grüßt jeden freundlich. Moses stammt aus Ghana, lebt jedoch schon seit mehr als 20 Jahren in Deutschland. An diesem Nachmittag verdeckt er mit einer dunklen Sonnenbrille seine Augen. Eine große goldene Uhr spiegelt das Sonnenlicht und blendet so sehr, dass man sie kaum betrachten kann. Um Moses’ Hals funkelt eine Goldkette. Der 47-Jährige tigert von Bank zu Bank und bietet Passanten Gras an. Allen Passanten? „Nein“, erwidert er, einen Bluetooth-Kopfhörer noch im Ohr, „ich versuche zu erkennen, wer Interesse haben könnte.“Das mache er nach Gefühl, ein Dealer sei er jedoch nicht.
Der Ghanaer sagt, er sei nur „der Mittelsmann“: Er biete vor allem Touristen Gras an, kaufe es von den Dealern im Park und verkaufe es dann weiter. „Ich habe nie etwas dabei, sondern kaufe nur nach einem Auftrag.“Er selber konsumiere schon seit 20 Jahren Gras, jedoch „nicht mehr so viel wie früher“.
Wenn man Moses auf die Legalisierung von Cannabis und dessen Folgen für das Geschäft im Görlitzer Park anspricht, muss er lachen: „Da hat sich nichts getan und wird sich meiner Meinung nach nichts tun.“Die Dealer seien immer noch da, „wenn dann sogar mehr als davor“. Sogar der Preis für ein Gramm – „kriegst du für einen Zehner“– sei gleichgeblieben. Trotzdem traut sich Moses, genauso wie Familienvater Steffen, nach Sonnenuntergang nicht in den Görlitzer Park. „Tagsüber sind die Leute zum Chillen da“, sagt er, abends gebe es nur Stress. Zudem wolle er langfristig seine Tätigkeit als Drogen-Vermittler an den Nagel hängen, sich um seinen „echten Job kümmern“. Moses arbeitet in der Logistik, „an Arbeitstagen kiffe ich aber nicht. Versprochen“. Von der Polizei, sagt Moses, sei er noch nie erwischt worden, die sei aber auch nur „ab und zu im Görli“.
An diesem heißen Nachmittag stehen zwei Mannschaftswagen an einem der Parkeingänge. Vereinzelt werden Personen kontrolliert, mehr jedoch nicht. Die Dealer schreckt die Präsenz der Polizei ohnehin nicht ab: Sie gehen ihrem Geschäft nach, ebenso wie vor der Cannabis-Freigabe. Offiziell heißt es von der Berliner Polizei, dass zu den konkreten praktischen Auswirkungen der Legalisierung von Cannabis auf den Görlitzer Park noch keine validen Angaben gemacht werden können.
Die Polizei, scheint es, ist ebenso machtlos wie die Politik. Anfang März gab der Berliner Senat die Zukunftspläne für den Görlitzer Park bekannt. Büsche und Bäume sollen beschnitten werden, um den Dealern weniger Verstecke zu ermöglichen. Zudem will Berlins regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) die Anlage umzäunen und nachts schließen. Das stieß bereits Ende Februar auf Ablehnung: Mehrere Hundert Menschen zogen unter dem Motto „Der Görli bleibt auf“durch die Straßen Kreuzbergs und machten sich gegen die nächtliche Schließung stark. Und der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg weigert sich, den Zaun zu bauen und will nun vor Gericht ziehen.
Etwa einen Kilometer vom Görlitzer Park entfernt hat der Cannabis Social Club „Weloveweed“seinen Sitz. Das Ziel: Das öffentliche Image von Cannabis zu verändern und „fantastisches Gras zu fantastischen Preisen anzubieten“. Eines der sieben Gründungsmitglieder betont, das Interesse, ihrem Verein beizutreten, sei riesig – sie hätten bereits die maximale Zahl der Anträge erreicht. „Von Menschen, die es mal ausprobieren wollen, bis hin zu regelmäßigen Kiffern sind alle dabei“, sagt die 51-Jährige, die wegen ihres Berufs nicht namentlich genannt werden möchte. Sie berichtet, dass sie seit der Legalisierung keinen Unterschied auf Kreuzbergs Straßen merke: „Berlin ist halt so eine Stadt, in der sich niemand drum kümmert.“Bei einem abendlichen Spaziergang merke und rieche man, dass Kreuzberg in eine Rauchwolke gehüllt sei. Die fünfmonatige Übergangsphase, in der Cannabis zwar legal, aber noch nicht legal zu kaufen sei, sehe sie unkritisch und schätzt: „CannabisKlubs können in der Zukunft den gesamten Markt abdecken. Dann kaufen nur noch Touristen im Görlitzer Park ihr Gras.“
„Bei einem abendlichen Spaziergang riecht man, dass Kreuzberg in eine Rauchwolke gehüllt ist.“