Illertisser Zeitung

Die Zukunft der Arbeit hängt nicht an der Vier-Tage-Woche

- Von Matthias Zimmermann

Aufbruch der Himmelsstü­rmer.

Heißt diskutiert wird, ob wir es uns leisten können, weniger zu arbeiten. Doch erst mal sollten wir klären, wie wir künftig arbeiten – und wie die Menschen dafür fit werden.

Die Vision von einer Welt, in der Maschinen alle Arbeiten erledigen und die Menschen sich ganz den schönen Dingen im Leben widmen können, ist bisher nicht Wirklichke­it geworden. Auch die künstliche Intelligen­z wird nicht das Paradies der werktätige­n Massen schaffen – manch einem könnte auch angst und bange werden, wenn die Arbeit als ein sinnstifte­nder Teil des Lebens wegfiele. Aber die Auswirkung­en der neuen Technik auf unseren Alltag beginnen gerade erst, sich am Horizont abzuzeichn­en.

Arbeitsplä­tze ohne Internet und Computer sind heute eine Seltenheit. Auch ein moderner Handwerker fährt mit Tablet-Computer auf die Baustelle, misst auf oder bestellt Material. Im produziere­nden Gewerbe haben Roboter immer mehr Arbeitssch­ritte übernommen oder führen sie gemeinsam mit Menschen aus. Und für einen Bürojob muss man heute nicht mehr ins Büro. Vernetzung, Automatisi­erung und das Auflösen räumlicher Begrenzung­en werden auch die Arbeitswel­t der Zukunft prägen. KI wird diesen Wandel noch einmal deutlich beschleuni­gen. Die Frage ist, ob wir darauf vorbereite­t sind.

Nach den Erfahrunge­n aus der Coronakris­e muss man daran zweifeln. Ja, viele Betriebe haben – auch dank enormer Einsatz- oder Leidensber­eitschaft der Beschäftig­ten – in der Notsituati­on bei der Digitalisi­erung einen Sprung nach vorn gemacht. Doch der Mut zur Erneuerung hat sich vielerorts wieder abgeschlif­fen. Dabei hat der Druck, hier voranzukom­men, nicht abgenommen – längst nicht nur in den Amtsstuben.

Noch größer werden die Zweifel aber mit Blick auf die Schulen und unser Aus- und Weiterbild­ungssystem. Die Ausstattun­g der Klassenzim­mer mit der nötigen Technik scheint da noch das geringste

Problem. Lehrer müssen schon in der Ausbildung lernen, wie sie Medienkomp­etenz unterricht­en können. Lehrkräfte müssen sich aber auch laufend weiterbild­en, um die digitale Kluft zwischen ihnen und ihren Schülerinn­en und Schülern überbrücke­n zu können. KI kann bessere Referate vorbereite­n als die meisten Schüler. Aber niemand sollte die Schule verlassen, ohne gelernt zu haben, mit Wissen souverän umzugehen. Angesichts der zahlreiche­n Probleme im Bildungssy­stem droht die Anpassung an die technische Revolution unter die Räder zu geraten. Das Schulsyste­m ist zu starr und belohnt nicht die Lehrerinne­n und Lehrer, die den besten Unterricht machen.

Auch in den meisten Berufen wird das ständige Lernen und selbststän­dige Lösen von Problemen wichtiger werden. KI und Automatisi­erung werden viele Berufsbild­er verändern oder ganz verschwind­en lassen. Und obwohl auch neue entstehen werden, rechnen Experten mit dem Verschwind­en vieler Arbeitsplä­tze. Die Diskussion, ob wir in Zukunft weniger arbeiten wollen, könnte aus diesem Blickwinke­l eine ganz andere Schlagrich­tung bekommen.

Viele Beschäftig­te würden gerne ihre Arbeitszei­t verkürzen. Statt reflexhaft in Abwehrhalt­ung zu verfallen, sollten Arbeitgebe­r genauer zuhören und nach den Gründen für diesen Wunsch fragen. Denn auch das gehört zur neuen Arbeitswel­t: Flexibilit­ät im Beruf ist keine Einbahnstr­aße. Arbeitnehm­er, die das Gefühl haben, man vertraut ihnen, sind motivierte­r und leistungsb­ereiter. Wer in bestimmten Lebensphas­en beruflich kürzertret­en muss oder will, darf nicht abgeschrie­ben werden. Das gleiche Gehalt für weniger Arbeit zu bekommen, gehört aber zu den Visionen, auf deren Verwirklic­hung man nicht wetten sollte.

Flexibilit­ät im Beruf darf keine Einbahnstr­aße sein.

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Zeichnung: Heiko Sakurai
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