Illertisser Zeitung

Wo die Windmühlen mehr als Folklore sind

Bei Zaandam in den Niederland­en können Interessie­rte Müllern noch über die Schulter sehen.

- VON BERND F. MEIER

Am Morgen machen die Männer ihre Mühle startklar, Windmüller Jippe Kreuning, 30 Jahre alt, und der mehr als doppelt so alte Sjors van Leeuwen, Ehrenamtle­r mit Lotsenmütz­e. „Wir bringen die mächtigen Flügel zum Wind, damit die Arbeit beginnen kann“, sagt Kreuning.

Bald drehen sich die Flügel der Ölmühle De Bonte Hen (Die bunte Henne) in der Brise, die von der Nordsee über das flache Land weht. Hölzerne Zahnräder greifen knarrend ineinander, Umlenkwell­en übertragen die Kraft des Windes auf die beiden tonnenschw­eren Mühlsteine, die den Leinsamen zermahlen. Leinöl wird produziert für eine Fabrik, Grundstoff für Ölfarben. Wie in alten Zeiten.

De Bonte Hen hat 330 Jahre auf ihrem breiten Mühlenbuck­el und bewegte Zeiten hinter sich. Bis 1926 mahlte sie den Leinsamen. Zehn Jahre später wurde das stolze Bauwerk teils abgebroche­n und verkam zum Lagerraum. Heute wird wieder gearbeitet, und Besuchende erhalten unweit von Amsterdam Einblick in ein jahrhunder­tealtes Handwerk. Denn in den 1970erJahr­en gab es eine Sammelakti­on,

an der sich auch Königin Juliana beteiligte, und die Mühle konnte wieder aufgebaut werden.

Hinter dem Wiederaufb­au der Ölmühle stand der Verein Zaansche Molen, der 1925 von dem Zaandamer Lehrer, Kunstmaler und Mühlenfreu­nd Frans Mars gegründet worden war. Der Schulmeist­er wollte die alten Windmühlen am Zaan als Denkmäler erhalten. Er sah die Bauwerke als prägend an für den Landstrich nördlich von Amsterdam, immerhin wurden dort mal weit über 600 Windmühlen gezählt.

Hier wird gearbeitet

„Heute betreut der Verein 13 denkmalges­chützte Windmühlen in Zaandam sowie im benachbart­en Wormer und Westzaan“, sagt die Kunsthisto­rikerin Katelijne Prinsenber­g, die den Einsatz der Ehrenamtle­r koordinier­t, die Besucher und Besucherin­nen durchs angegliede­rte Mühlenmuse­um führen oder Rasen und Hecken in den Mühlengärt­en schneiden. Sie gehen auch den Windmüller­n etwa in der Ölmühle De Bonte Henn zur Hand. „Wir sind kein Museum, sondern eine Arbeitsmüh­le“, erklärt van Leeuwen gerade einigen Besuchern.

Auch das junge Schaf (Het Jonge Schaap) nebenan ist eine Arbeitsmüh­le: Ritsch, ratsch, auf und nieder in der Bewegung,

so fressen sich die blanken Sägeblätte­r durch den hellen Kiefernsta­mm. „Wir fertigen Bretter für Möbelwerks­tätten, Zimmereien und Schreiner. Doch wie lange es dauert, bis ein Stamm zersägt ist, kann ich nicht sagen. Wir sind von der Kraft des Windes abhängig“, so Tim Doeves, der seit 16 Jahren als Windmüller am Zaan-Fluss arbeitet.

Das junge Schaf trägt den passenden Namen, denn es wurde erst 2007 als Rekonstruk­tion einer historisch­en Mühle anhand von Zeichnunge­n und mit Computerhi­lfe innerhalb von nur 24 Monaten aufgebaut. Sie ist damit die jüngste Windmühle am Zaan.

Gerade sind 60 Touristen aus aller Herren Länder eingetroff­en: Typisches Holland wollen sie erleben, in nur fünf Stunden! Ob das überhaupt gelingen kann? Zweifelhaf­t! Auf dem gedrängten Programm stehen neben den Windmühlen

Goldenes Zeitalter

Um die 300 Holzsägemü­hlen gab es in der Region Zaanstreek, erläutert Windmüller Doeves den Besuchern. Mächtigen Aufwind bekamen die Sägereien im 17. Jahrhunder­t, dem Goldenen Zeitalter der Niederland­e. Schiffswer­ften verlangten nach Holz, hunderte Segelschif­fe unter anderem unterwegs für die Niederländ­ische Ostindien-Kompanie wurden damals an der Zaan gebaut. Neben den Sägemühlen drehten sich dort auch die Flügel von Korn-, Öl-, Gewürz-, Papier- und Farbmühlen im Wind. Rasant entwickelt­e sich die Region zum ersten Industrieg­ebiet in Westeuropa.

Und ein weiteres Mal schrieben die Windmühlen von Zaandam Geschichte: Im Stadtteil Westzaan steht De Schoolmees­ter, Baujahr 1692. Der Schulmeist­er soll nach Angaben des Mühlenvere­ins die letzte noch arbeitende Wind-Papiermühl­e der Welt sein.

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Fotos: Bernd F. Meier, tmn Nah am Wasser gebaut: zwei historisch­e Windmühlen am Zaan‰Fluss. Früher gab es hier einmal um die 300 Holzsägemü­hlen. Heute sind nur noch wenige Mühlen im Dienst.
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Neue Windmühlen dienen heute der Entwässeru­ng im Wormerpold­er ne‰ benan.

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