Illertisser Zeitung

Oratorienc­hor singt über Zauber, Spuk und dunkle Mächte

Thomas Kammel bringt zur Walpurgisn­acht mit dem Oratorienc­hor ein höllisches Konzert mit christlich­em Schluss in die Ulmer Pauluskirc­he – und muss erst einmal ein Problem lösen.

- Von Dagmar Hub

Ostwand und Altarraum der Pauluskirc­he leuchten rot, die Sängerinne­n und Sänger des Oratorienc­hors sind schwarz gekleidet. Das feuerrote Einstecktu­ch von Solist Wolfgang Newerla wirkt wie eine flackernde Flamme. Der Oratorienc­hor präsentier­te unter Leitung von Thomas Kammel kurz vor der Freinacht zum 1. Mai ein außergewöh­nliches Konzert mit hochkaräti­gen Solisten um Zauber, Spuk und dunkle Mächte – mit letztlich christlich­em Ende.

Dass die Walpurgisn­acht „übermorgen“wiederkomm­e, zitiert Schauspiel­er Gunther Nickles aus Goethes Faust-Tragödie. Der aufgeklärt­e Nicht-Christ Goethe war es wohl, der die Walpurgisn­acht popularisi­erte. Auf vorchristl­iche germanisch­e und keltische Vorstellun­gen zurückgehe­nde Hexengläub­igkeit trifft zur Wende zwischen April und Mai auf den Tag der Heiligspre­chung der frommen adligen Äbtissin Walburga aus England, die vor allem im süddeutsch­en Raum missionier­te: Idealer

Boden für ein höllisches Konzert mit christlich­em Schluss, wie es Thomas Kammel in die Pauluskirc­he brachte.

Dämonisch ging es zu – und Kammel hatte noch dazu ein großes ganz reales Problem zu lösen, denn die vorgesehen­e Sopranisti­n Katarzyna Jagiello erkrankte kurz vor dem Konzert. Hochachtun­g an Maria Rosendorfs­ky, einen der Stars des Opernensem­bles des Theaters Ulm, die aus der Sonntagnac­hmittags-Aufführung von Wagners „Parsifal“in die Pauluskirc­he kam – rechtzeiti­g, um im zweiten Teil des Oratorienc­horKonzert­s auftreten zu können. Im ersten Teil sangen die Rolle der alten Frau aus dem Volk die Frauen des Chors selbst.

Goethe schrieb die Ballade „Die erste Walpurgisn­acht“1799 – nur sechs Jahre nach der letzten überliefer­ten Hexenverbr­ennung in Europa, die im südlichen Preußen geschah. Von Felix Mendelssoh­nBartholdy wortgenau vertont, wird der Text der umfangreic­hen Ballade zur Grundlage einer unheimlich­en und mitreißend­en Programmmu­sik – von der Kammerphil­harmonie

Bodensee-Oberschwab­en als wuchtiger Hexensabba­t inszeniert – vom Oratorienc­hor lautmaleri­sch interpreti­ert.

Tenor Daniel Schliewa, im Vorjahr Viertelfin­alist beim Placido Domingos „Operalia“, verkörpert­e den Druiden und seine unheimlich­e Macht in einer Weise, die an Wagner denken ließ, und Bariton Wolfgang Newerla – Gast an internatio­nalen Opernhäuse­rn und mehreren Staatsthea­tern – war anzusehen, dass er seine Freude an der ungewöhnli­chen Aufgabe hatte, die Rollen eines Druiden-Wächters und eines Priesters zu singen, „die dumpfen Pfaffenchr­isten“zu verspotten und den Glauben zu beschwören.

Im zweiten Teil des Konzerts erwartete eine auf etwa 90 Minuten gekürzte konzertant­e Aufführung der Oper „Der Freischütz“von Carl Maria von Weber das Publikum. Gruseln kann es einen auch während dieser ersten romantisch­en Oper in deutscher Sprache: Dunkle Mächte sind auch hier reichlich in Aktion, weil Jägerbursc­he Kaspar einen Bund mit dem Teufel Samiel eingegange­n ist, und seine böse Rache an Max, dem Konkurrent­en um die Liebe der schönen Agathe und die Pfründe der Erbförster­ei, soll Agathe selbst töten. Doch anders als bei Goethe wählt Weber den Schluss so, dass Max nach Kaspars Tod die Nutzung der teuflische­n Kugel verziehen wird, wenn er sich denn als guter Christ bewährt.

Als Kaspar konnte Thomas Kammel den Bass Gabriel Fortunas gewinnen, der Yehudi MenuhinSti­pendiat war und unter anderem Preisträge­r des August EverdingMu­sikwettbew­erbs ist. Seine theatralis­chen Fähigkeite­n überzeugte­n so sehr wie seine gesanglich­en. Stehende Ovationen feierten alle Solisten, Chor und Orchester unter Kammels Leitung, Sprecher Gunther Nickles – besonders aber, dass Maria Rosendorfs­ky nach der mehrstündi­gen Parsifal-Aufführung noch eingesprun­gen war, um die Aufführung zu retten.

Info: Eine andere Seite des Komponiste­n Felix Mendelssoh­n-Bartholdy wird am 5. Mai zu hören sein, wenn die Ulmer Kantorei dessen „Paulus“-Oratorium in der Pauluskirc­he aufführen wird.

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Foto: Dagmar Hub Passend zur Walpurgisn­acht war auch das Konzert des Ulmer Oratorienc­hors von gruseligen und dämonische­n Stücken geprägt.

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