„Ich lebe einen Traum“
Daniel Hahn
Das Wannda Kulturfestival auf dem Viehhof (aktuell: 13.4. bis 1.5), die Märchenbazare, der alte Schienenbus vom Bahnwärter Thiel und jetzt auch das Ammerseeschiff „MS Utting“auf der alten Eisenbahnbrücke am Großmarkt: Daniel Hahn ist ein Möglich-Macher, ein Bastler, Tüftler, Sammler und Nostalgiker. Und einer der nicht locker lässt, wenn es um das Wichtigste geht – das Unmögliche zu wagen.
Herr Hahn, woher kommt denn Ihre Begeisterung für sehr ungewöhnliche Sammelobjekte, zu denen jetzt auch der Ausflugsdampfer gehört? Man kauft sich ja nicht einfach einen Schienenbus. Wie groß waren denn als Kind Ihre ModellbahnTräume?
Ich hatte tatsächlich keine Modell-Eisenbahn. Bei uns gab’s nur Bio-Spielzeug. Und deswegen hatte ich eine Eisenbahn aus Holz und auf Holz-Schienen. Weitaus handlicher als das, womit Sie sich heute umgeben.
Natürlich. Tatsächlich hatte ich in meiner Jugend immer schon den Kopf voller unterschiedlicher Interessen und Leidenschaften. Deswegen tat ich mir auch unglaublich schwer, ein Zukunftsbild für mich zu entwickeln. Es war schwierig, mich für einen Weg zu entscheiden – und erwachsen zu werden.
Klingt doch toll.
Klar, aber es ging eben nie in die Richtung eines klassischen Berufs. Ich war lange auf der Suche. Mehr oder weniger durch Zufall habe ich dann verschiedene Projekte gemacht – und daraus ist nach und nach Vieles entstanden. Allerdings kam mir das lange nur als ein Zwischenprojekt vor, weil ich danach eigentlich noch Psychologie studieren wollte. Oder Architektur. Bis ich eines Tages merkte, dass ich schon längst genau das mache, was mich total erfüllt.
Muss man sich manchmal offenbar erst vor Augen führen.
Als ich das merkte, war ich sehr glücklich und habe viel Energie und Leidenschaft in meine Projekte gesteckt, die dann auch schnell recht erfolgreich wurden. Das war zum Beispiel meine Arbeit für das pathos transport Theater. 2012 haben wir Wannda e.V. gegründet. Dahinter stand ein Freundeskreis, der in ganz unterschiedlichen Bereichen aktiv ist: Manche malen, manche schneidern, manche sind Handwerker, andere arbeiten beim Theater. Daher kam uns die Idee, dass es cool wäre, wenn man all das verknüpfen könnte. Unser Ziel war, dass Wannda für Außenstehende wie eine Marke erkennbar ist, die für viele gute Sachen steht. Und die es den Leuten ermöglicht, sich auch mal mit etwas auseinanderzusetzen, was man noch nicht kennt.
Wie im Bahnwärter Thiel.
Dort gehen unsere Gäste, die sonst ins Theater gehen, auch mal auf ein Konzert oder bleiben für eine Club-Nacht. Die Flohmarkt-Gäste hängen danach noch eine Lesung dran. Interessierte Menschen lernen bei uns auch mal ganz andere Dinge kennen. Aber gleichzeitig wissen sie, dass sie in einer Art Kosmos zuhause sind.
So einen Ort zu schaffen, ist schon mal die erste große Leistung.
Das größte Problem in München ist, dass es kaum Freiraum gibt. Der Markt für Immobilien und Freiflächen ist brutal umkämpft. Das betrifft ja nicht nur
uns: Auch ein Handwerker tut sich sehr schwer, einen Ort für seine Schlosserei zu finden. Deswegen waren wir bei Wannda schon immer auf der Suche nach einem Ort, der eine gute Mischung abgibt – als Spielstätte, aber auch als Mix aus Ateliers, Werkstätten und Lagerräumen. Irgendwann haben wir festgestellt, dass es leichter ist, eine Freifläche als einen festen Raum zu finden. Mit 18 hatte ich dann mein erstes Zirkuszelt gekauft, um so einen Ort zu schaffen.
Macht auch nicht jeder in dem Alter. Andere Abiturienten träumen vom ersten Auto. Oder von einer Weltreise.
Schon klar. Das war allerdings in gewisser Weise der Startschuss für alles, was danach kam. So ein Zirkuszelt ist recht teuer – vor allem aus Sicht eines 18-Jährigen. Wir haben alle unser Geld in das Zelt gesteckt. Das war ein Weckruf an alle: Das ist eine ziemlich ernst gemeinte Sache! Zum Glück fanden wir dann später auch zunächst eine Fläche am Leonrodplatz, wo wir das Zelt aufstellen konnten. Am Anfang hatten wir nicht mal einen Raum, um es zu lagern.
Ziemlich irre Planung.
Und natürlich kein Fahrzeug, um es zu transportieren. Das Zelt am Leonrodplatz kam total gut an – das hat alle Beteiligten und Mitstreiter beflügelt und motiviert, noch mehr Leidenschaft und Zeit in unsere Projekte zu stecken. 2013 konnte ich das Zelt das erste Mal auf das Areal auf dem Viehhof vermieten. Und wir waren mit unseren eigenen Projekten so erfolgreich, dass wir ein zweites Zelt kaufen konnten. Ab diesem Zeitpunkt waren wir logistisch schon so an unsere Ideen ausgeliefert, dass wir beschlossen, Orte zu schaffen, die Besucher faszinieren – nicht nur wegen ihres Programms, sondern auch schon allein durch ihr Erscheinungsbild.
Kunst braucht Raum – und wenn’s ein Schienenbus oder ein Schiff ist.
Unsere Veranstaltungsorte müssen eine Aussage haben – und die Leute wirklich begeistern. Beim Bahnwärter Thiel haben wir auf einer Kiesfläche, die selbst keine Geschichte mehr hat, etwas mit Historie entstehen lassen. In anderen Städten wie Leipzig, Berlin oder Hamburg ist das oft einfacher. Dort gibt es noch so viele alte Industriebauten, die super schöne Geschichten erzählen.
In München sind immer schneller.
die Investoren
Das sieht man schon im Städtebild, wie clean das hier ist. Wenn ich früher durch Obersendling gelaufen bin, gab’s dort noch kleinere Werkstatthäuser. Etwa eine historische Kesselgießerei. Noch vor einiger Zeit konnte man sich richtig vorstellen, wie es mal war und was die Leute so gearbeitet hatten. Das gab mir ein schönes Gefühl einer Zeitreise. So was berührt mich sehr. Heute sind viele Straßen toll hergerichtet und repräsentativ. Aber an vielen Orten in München findet man gar keine Geschichte mehr.
Wie sehr sind Sie denn Nostalgiker?
Ich sammle gerne Objekte mit Geschichte. Nostalgische Dinge erzählen eine Story – und einen Prozess, woher wir kommen und wie sich das Leben entwickelt hat. Das Schöne ist, dass viele alte Dinge auch noch ganz anders gefertigt wurden. Früher legte man auf Nachhaltigkeit ganz anders Wert. Früher sollte ein Firmensitz für etwas stehen, so dass im Prinzip noch die Urenkel den Betrieb weiter leiten können. Heute werden Häuser gebaut, von denen man jetzt schon weiß, dass man in 30 Jahren ohnehin was anderes hinsetzt. Das ist sogar bei U- oder S-Bahnen so ...
... wieder eines Ihrer Lieblingsthemen: die Schienenfahrzeuge.
Bei denen weiß man ja auch schon, dass sie spätestens in zehn Jahren durch ein neueres, viel moderneres Modell abgelöst werden. Fahrzeuge wie unser Schienenbus von 1950 werden gar nicht mehr gebaut.
Der Bahnwärter Thiel als Gnadenhof für ausrangierte Technik?
Schon als Jugendlicher hatte ich in der Münchner U-Bahn das Gefühl, dass sich so ein Wagon sehr gut als Café oder Bar eignen würde. Ich wollte ursprünglich eine U-Bahn kaufen.
Wirklich?
Na klar. Es war mir aber nicht möglich, an so etwas zu kommen. Ich habe wirklich jahrelang danach gesucht. Ursprünglich waren wir mal an einem Objekt von der Deutschen Bahn dran. Dort gab es auch einen kleinen Gleisanschluss. Die erste Idee war, auf diese Gleise einen alten U-Bahn-Zug zu stellen. Es hat aber nicht funktioniert. Dann lief uns die Ausschreibung für das Areal auf dem Viehhof über den Weg. Wir hatten bereits unseren Pavillon...
... der schon als ehemaliger KartenVerkaufsraum für die Franz-Marc-Ausstellung vor dem Lenbachhaus stand.
Exakt. Die Herausforderung, so einem temporären Ort aber wirklich Leben und Geschichte zu geben, war groß. Deswegen haben wir die Idee mit dem Bahnwärter-Häuschen, an dem wir zehn Jahre lang interessiert waren, aufgegeben. So kam der Vorschlag auf, hier diesen Bahnwärter Thiel zu realisieren – ganz anders als ursprünglich gedacht. Wir haben dann tatsächlich alles selber gebaut. Lieber machen als lange warten. Dafür kam der Schienenbus dann genau richtig.
Man könnte es sich aber auch einfacher machen. Ein Schienenfahrzeug bringt ja nicht ganz unerhebliche logistische Probleme mit sich.
Schon klar. Aber Eisenbahnen sind einfach etwas, was mich fasziniert. Ich liebe schon von früher her das Gefühl an Bahnhöfen. Schienen vernetzen die Welt. Und wenn man in der Eisenbahn sitzt, bekommt man anders als auf der Autobahn viel mehr von der Landschaft und von den Ortschaften mit.
Spricht da der alte Interrailer durch?
Eisenbahnen sind für mich etwas, das auch Sinnbild für die Kunst sein kann. Die Kunst vernetzt und schafft Austausch. Wie die Eisenbahn auch. Deswegen ist die Bahn für mich eine Mischung aus totaler Vergangenheit und absoluter Gegenwart. Als wir die UBahn-Idee endlich aufgegeben hatten, wollten wir zunächst einen Güter-Wagon kaufen und ihn zu einer U-Bahn umbauen. Das wäre wahnsinnig aufwendig und fast unrealisierbar gewesen. Aber dort, wo wir den Güter-Wagen kaufen wollten, stand in einer alten Halle dieses Schmuckstück. Genau das, was wir eigentlich suchten: Und so holten wir den Schienenbus hierher.
Und der Schienenbus zog ja auch in der Stadt um – im letzten Sommer vor die HFF. Wie wichtig war das als Schaufenste?
Im Sommer können wir ja leider nicht auf dem Viehhof-Gelände sein, weil das Freiluft-Kino kommt. Jeweils am 1. Mai müssen wir das Gelände räumen.
Das wird auch dieses Jahr so sein?
Der Bahnwärter Thiel dauert jedes Mal bis zum 1. Mai. Zuletzt wussten wir gar nicht, wohin mit dem Wagon. Wir hätten ihn auf ein Feld stellen oder einlagern können. Das wäre sehr schade gewesen. Auch weil die Gefahr besteht, dass er besprüht wird. Dann hat sich zum Glück Doris Dörrie gemeldet und uns angeboten, den Schienenbus vor die HFF zu holen. Sie hatte sich immer schon ein Lese-Café vor der HFF gewünscht, weil der Bahnwärter inhaltlich sehr gut zur Filmhochschule passt. Mittlerweile finden sogar die Reiseführer, dass der Bahnwärter Thiel ein Ort ist, der für München spricht.
Und der Fahrplan für dieses Jahr?
Wir werden aller Voraussicht nach wieder an die HFF kommen, weil es eine tolle Kooperation war. Das erste Jahr ist immer die größte Herausforderung – gerade im Genehmigungsbereich.
Das muss ja ein Albtraum sein. Auch beim neuen Schiff.
Wir machen ja nur Projekte, wo der klassische Genehmigungskatalog nicht anzuwenden ist. Man muss sich wirklich was trauen – auch in der Stadtverwaltung. Das zweite Jahr ist immer deutlich entspannter. Die Zuständigen im KVR kennen uns jetzt schon ganz gut. Zum Glück finden sie es spannend, was wir auf die Beine stellen.
Ihre Vorgeschichte hat sicher auch bei dem Schiffsprojekt geholfen?
Ich hab mich noch nie so schwer getan. Vor allem, was die Entscheidung betraf, es überhaupt zu wagen. Vielleicht liegt das daran, dass ich älter werde. Mit dem Bahnwärter Thiel sind wir sehr erfolgreich – und alle total erfüllt davon. Ich lebe einen Traum. Alles was wir uns wünschen, klappt – unglaublich! Beim Boot hätten wir uns um ein Haar dagegen entschieden.
Wirklich?
Ich war sehr lange hin- und hergerissen. Als wir den Vertrag mit der Bayerischen Seenschifffahrt unterschrieben, gab es noch ganz viele Punkte, die nicht kalkulierbar waren. Diese Unsicherheit hatte mich richtig fertig gemacht.
Jetzt thront es auf der Brücke. Noch ein Wunsch, der in Erfüllung ging?
Es hat sich wie im Traum gelöst. Selbst die Werft hatte uns eindringlich gewarnt, dass wir uns die Idee möglichst schnell aus dem Kopf schlagen sollten, weil wir angeblich unsere Existenz damit zerstören. Zur Verschrottung gab’s allem Anschein nach keine Alternative. Und jetzt ist es da.
Und wann heißt’s: Leinen los?
Es gibt noch so viel zu tun. Ich würde aber auf jeden Fall sagen: Frühsommer!