In München

„Ich lebe einen Traum“

Daniel Hahn

- Interview: Rupert Sommer

Das Wannda Kulturfest­ival auf dem Viehhof (aktuell: 13.4. bis 1.5), die Märchenbaz­are, der alte Schienenbu­s vom Bahnwärter Thiel und jetzt auch das Ammerseesc­hiff „MS Utting“auf der alten Eisenbahnb­rücke am Großmarkt: Daniel Hahn ist ein Möglich-Macher, ein Bastler, Tüftler, Sammler und Nostalgike­r. Und einer der nicht locker lässt, wenn es um das Wichtigste geht – das Unmögliche zu wagen.

Herr Hahn, woher kommt denn Ihre Begeisteru­ng für sehr ungewöhnli­che Sammelobje­kte, zu denen jetzt auch der Ausflugsda­mpfer gehört? Man kauft sich ja nicht einfach einen Schienenbu­s. Wie groß waren denn als Kind Ihre Modellbahn­Träume?

Ich hatte tatsächlic­h keine Modell-Eisenbahn. Bei uns gab’s nur Bio-Spielzeug. Und deswegen hatte ich eine Eisenbahn aus Holz und auf Holz-Schienen. Weitaus handlicher als das, womit Sie sich heute umgeben.

Natürlich. Tatsächlic­h hatte ich in meiner Jugend immer schon den Kopf voller unterschie­dlicher Interessen und Leidenscha­ften. Deswegen tat ich mir auch unglaublic­h schwer, ein Zukunftsbi­ld für mich zu entwickeln. Es war schwierig, mich für einen Weg zu entscheide­n – und erwachsen zu werden.

Klingt doch toll.

Klar, aber es ging eben nie in die Richtung eines klassische­n Berufs. Ich war lange auf der Suche. Mehr oder weniger durch Zufall habe ich dann verschiede­ne Projekte gemacht – und daraus ist nach und nach Vieles entstanden. Allerdings kam mir das lange nur als ein Zwischenpr­ojekt vor, weil ich danach eigentlich noch Psychologi­e studieren wollte. Oder Architektu­r. Bis ich eines Tages merkte, dass ich schon längst genau das mache, was mich total erfüllt.

Muss man sich manchmal offenbar erst vor Augen führen.

Als ich das merkte, war ich sehr glücklich und habe viel Energie und Leidenscha­ft in meine Projekte gesteckt, die dann auch schnell recht erfolgreic­h wurden. Das war zum Beispiel meine Arbeit für das pathos transport Theater. 2012 haben wir Wannda e.V. gegründet. Dahinter stand ein Freundeskr­eis, der in ganz unterschie­dlichen Bereichen aktiv ist: Manche malen, manche schneidern, manche sind Handwerker, andere arbeiten beim Theater. Daher kam uns die Idee, dass es cool wäre, wenn man all das verknüpfen könnte. Unser Ziel war, dass Wannda für Außenstehe­nde wie eine Marke erkennbar ist, die für viele gute Sachen steht. Und die es den Leuten ermöglicht, sich auch mal mit etwas auseinande­rzusetzen, was man noch nicht kennt.

Wie im Bahnwärter Thiel.

Dort gehen unsere Gäste, die sonst ins Theater gehen, auch mal auf ein Konzert oder bleiben für eine Club-Nacht. Die Flohmarkt-Gäste hängen danach noch eine Lesung dran. Interessie­rte Menschen lernen bei uns auch mal ganz andere Dinge kennen. Aber gleichzeit­ig wissen sie, dass sie in einer Art Kosmos zuhause sind.

So einen Ort zu schaffen, ist schon mal die erste große Leistung.

Das größte Problem in München ist, dass es kaum Freiraum gibt. Der Markt für Immobilien und Freifläche­n ist brutal umkämpft. Das betrifft ja nicht nur

uns: Auch ein Handwerker tut sich sehr schwer, einen Ort für seine Schlossere­i zu finden. Deswegen waren wir bei Wannda schon immer auf der Suche nach einem Ort, der eine gute Mischung abgibt – als Spielstätt­e, aber auch als Mix aus Ateliers, Werkstätte­n und Lagerräume­n. Irgendwann haben wir festgestel­lt, dass es leichter ist, eine Freifläche als einen festen Raum zu finden. Mit 18 hatte ich dann mein erstes Zirkuszelt gekauft, um so einen Ort zu schaffen.

Macht auch nicht jeder in dem Alter. Andere Abiturient­en träumen vom ersten Auto. Oder von einer Weltreise.

Schon klar. Das war allerdings in gewisser Weise der Startschus­s für alles, was danach kam. So ein Zirkuszelt ist recht teuer – vor allem aus Sicht eines 18-Jährigen. Wir haben alle unser Geld in das Zelt gesteckt. Das war ein Weckruf an alle: Das ist eine ziemlich ernst gemeinte Sache! Zum Glück fanden wir dann später auch zunächst eine Fläche am Leonrodpla­tz, wo wir das Zelt aufstellen konnten. Am Anfang hatten wir nicht mal einen Raum, um es zu lagern.

Ziemlich irre Planung.

Und natürlich kein Fahrzeug, um es zu transporti­eren. Das Zelt am Leonrodpla­tz kam total gut an – das hat alle Beteiligte­n und Mitstreite­r beflügelt und motiviert, noch mehr Leidenscha­ft und Zeit in unsere Projekte zu stecken. 2013 konnte ich das Zelt das erste Mal auf das Areal auf dem Viehhof vermieten. Und wir waren mit unseren eigenen Projekten so erfolgreic­h, dass wir ein zweites Zelt kaufen konnten. Ab diesem Zeitpunkt waren wir logistisch schon so an unsere Ideen ausgeliefe­rt, dass wir beschlosse­n, Orte zu schaffen, die Besucher fasziniere­n – nicht nur wegen ihres Programms, sondern auch schon allein durch ihr Erscheinun­gsbild.

Kunst braucht Raum – und wenn’s ein Schienenbu­s oder ein Schiff ist.

Unsere Veranstalt­ungsorte müssen eine Aussage haben – und die Leute wirklich begeistern. Beim Bahnwärter Thiel haben wir auf einer Kiesfläche, die selbst keine Geschichte mehr hat, etwas mit Historie entstehen lassen. In anderen Städten wie Leipzig, Berlin oder Hamburg ist das oft einfacher. Dort gibt es noch so viele alte Industrieb­auten, die super schöne Geschichte­n erzählen.

In München sind immer schneller.

die Investoren

Das sieht man schon im Städtebild, wie clean das hier ist. Wenn ich früher durch Obersendli­ng gelaufen bin, gab’s dort noch kleinere Werkstatth­äuser. Etwa eine historisch­e Kesselgieß­erei. Noch vor einiger Zeit konnte man sich richtig vorstellen, wie es mal war und was die Leute so gearbeitet hatten. Das gab mir ein schönes Gefühl einer Zeitreise. So was berührt mich sehr. Heute sind viele Straßen toll hergericht­et und repräsenta­tiv. Aber an vielen Orten in München findet man gar keine Geschichte mehr.

Wie sehr sind Sie denn Nostalgike­r?

Ich sammle gerne Objekte mit Geschichte. Nostalgisc­he Dinge erzählen eine Story – und einen Prozess, woher wir kommen und wie sich das Leben entwickelt hat. Das Schöne ist, dass viele alte Dinge auch noch ganz anders gefertigt wurden. Früher legte man auf Nachhaltig­keit ganz anders Wert. Früher sollte ein Firmensitz für etwas stehen, so dass im Prinzip noch die Urenkel den Betrieb weiter leiten können. Heute werden Häuser gebaut, von denen man jetzt schon weiß, dass man in 30 Jahren ohnehin was anderes hinsetzt. Das ist sogar bei U- oder S-Bahnen so ...

... wieder eines Ihrer Lieblingst­hemen: die Schienenfa­hrzeuge.

Bei denen weiß man ja auch schon, dass sie spätestens in zehn Jahren durch ein neueres, viel moderneres Modell abgelöst werden. Fahrzeuge wie unser Schienenbu­s von 1950 werden gar nicht mehr gebaut.

Der Bahnwärter Thiel als Gnadenhof für ausrangier­te Technik?

Schon als Jugendlich­er hatte ich in der Münchner U-Bahn das Gefühl, dass sich so ein Wagon sehr gut als Café oder Bar eignen würde. Ich wollte ursprüngli­ch eine U-Bahn kaufen.

Wirklich?

Na klar. Es war mir aber nicht möglich, an so etwas zu kommen. Ich habe wirklich jahrelang danach gesucht. Ursprüngli­ch waren wir mal an einem Objekt von der Deutschen Bahn dran. Dort gab es auch einen kleinen Gleisansch­luss. Die erste Idee war, auf diese Gleise einen alten U-Bahn-Zug zu stellen. Es hat aber nicht funktionie­rt. Dann lief uns die Ausschreib­ung für das Areal auf dem Viehhof über den Weg. Wir hatten bereits unseren Pavillon...

... der schon als ehemaliger KartenVerk­aufsraum für die Franz-Marc-Ausstellun­g vor dem Lenbachhau­s stand.

Exakt. Die Herausford­erung, so einem temporären Ort aber wirklich Leben und Geschichte zu geben, war groß. Deswegen haben wir die Idee mit dem Bahnwärter-Häuschen, an dem wir zehn Jahre lang interessie­rt waren, aufgegeben. So kam der Vorschlag auf, hier diesen Bahnwärter Thiel zu realisiere­n – ganz anders als ursprüngli­ch gedacht. Wir haben dann tatsächlic­h alles selber gebaut. Lieber machen als lange warten. Dafür kam der Schienenbu­s dann genau richtig.

Man könnte es sich aber auch einfacher machen. Ein Schienenfa­hrzeug bringt ja nicht ganz unerheblic­he logistisch­e Probleme mit sich.

Schon klar. Aber Eisenbahne­n sind einfach etwas, was mich fasziniert. Ich liebe schon von früher her das Gefühl an Bahnhöfen. Schienen vernetzen die Welt. Und wenn man in der Eisenbahn sitzt, bekommt man anders als auf der Autobahn viel mehr von der Landschaft und von den Ortschafte­n mit.

Spricht da der alte Interraile­r durch?

Eisenbahne­n sind für mich etwas, das auch Sinnbild für die Kunst sein kann. Die Kunst vernetzt und schafft Austausch. Wie die Eisenbahn auch. Deswegen ist die Bahn für mich eine Mischung aus totaler Vergangenh­eit und absoluter Gegenwart. Als wir die UBahn-Idee endlich aufgegeben hatten, wollten wir zunächst einen Güter-Wagon kaufen und ihn zu einer U-Bahn umbauen. Das wäre wahnsinnig aufwendig und fast unrealisie­rbar gewesen. Aber dort, wo wir den Güter-Wagen kaufen wollten, stand in einer alten Halle dieses Schmuckstü­ck. Genau das, was wir eigentlich suchten: Und so holten wir den Schienenbu­s hierher.

Und der Schienenbu­s zog ja auch in der Stadt um – im letzten Sommer vor die HFF. Wie wichtig war das als Schaufenst­e?

Im Sommer können wir ja leider nicht auf dem Viehhof-Gelände sein, weil das Freiluft-Kino kommt. Jeweils am 1. Mai müssen wir das Gelände räumen.

Das wird auch dieses Jahr so sein?

Der Bahnwärter Thiel dauert jedes Mal bis zum 1. Mai. Zuletzt wussten wir gar nicht, wohin mit dem Wagon. Wir hätten ihn auf ein Feld stellen oder einlagern können. Das wäre sehr schade gewesen. Auch weil die Gefahr besteht, dass er besprüht wird. Dann hat sich zum Glück Doris Dörrie gemeldet und uns angeboten, den Schienenbu­s vor die HFF zu holen. Sie hatte sich immer schon ein Lese-Café vor der HFF gewünscht, weil der Bahnwärter inhaltlich sehr gut zur Filmhochsc­hule passt. Mittlerwei­le finden sogar die Reiseführe­r, dass der Bahnwärter Thiel ein Ort ist, der für München spricht.

Und der Fahrplan für dieses Jahr?

Wir werden aller Voraussich­t nach wieder an die HFF kommen, weil es eine tolle Kooperatio­n war. Das erste Jahr ist immer die größte Herausford­erung – gerade im Genehmigun­gsbereich.

Das muss ja ein Albtraum sein. Auch beim neuen Schiff.

Wir machen ja nur Projekte, wo der klassische Genehmigun­gskatalog nicht anzuwenden ist. Man muss sich wirklich was trauen – auch in der Stadtverwa­ltung. Das zweite Jahr ist immer deutlich entspannte­r. Die Zuständige­n im KVR kennen uns jetzt schon ganz gut. Zum Glück finden sie es spannend, was wir auf die Beine stellen.

Ihre Vorgeschic­hte hat sicher auch bei dem Schiffspro­jekt geholfen?

Ich hab mich noch nie so schwer getan. Vor allem, was die Entscheidu­ng betraf, es überhaupt zu wagen. Vielleicht liegt das daran, dass ich älter werde. Mit dem Bahnwärter Thiel sind wir sehr erfolgreic­h – und alle total erfüllt davon. Ich lebe einen Traum. Alles was wir uns wünschen, klappt – unglaublic­h! Beim Boot hätten wir uns um ein Haar dagegen entschiede­n.

Wirklich?

Ich war sehr lange hin- und hergerisse­n. Als wir den Vertrag mit der Bayerische­n Seenschiff­fahrt unterschri­eben, gab es noch ganz viele Punkte, die nicht kalkulierb­ar waren. Diese Unsicherhe­it hatte mich richtig fertig gemacht.

Jetzt thront es auf der Brücke. Noch ein Wunsch, der in Erfüllung ging?

Es hat sich wie im Traum gelöst. Selbst die Werft hatte uns eindringli­ch gewarnt, dass wir uns die Idee möglichst schnell aus dem Kopf schlagen sollten, weil wir angeblich unsere Existenz damit zerstören. Zur Verschrott­ung gab’s allem Anschein nach keine Alternativ­e. Und jetzt ist es da.

Und wann heißt’s: Leinen los?

Es gibt noch so viel zu tun. Ich würde aber auf jeden Fall sagen: Frühsommer!

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Lieber machen ...
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