In Zeiten des ...
„In Zeiten des abnehmenden Lichts“von Matti Geschonneck
Fluchtpunkt des westdeutschen Familiengedächtnisses ist bis heute die Nazi-Zeit. Die ostdeutschen Generationsgräben verlaufen an anderen Markierungen. Statt Paris ’68 und Deutscher Herbst heißen sie Prag ’68 und Wende. „In Zeiten des abnehmenden Lichts“, die große Ost-Familiensaga aus den Tiefen des realsozialistischen Universums von Romanautor Eugen Ruge galt lange als unverfilmbar. Doch Regisseur Matti Geschonneck und Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase gelingt ein Stück kammerspielartiges, originäres Kino. Im Zentrum steht eine Geburtstagsfeier, die ganz anders endet, als erhofft. Ostberlin im Herbst 1989. Es sind die letzten Tage der DDR. Lotti Powileit (Hildegard Schmahl) ist nervös. Der 90. Geburtstag ihres Mannes Wilhelm (Bruno Ganz), einem hochdekorierter SEDFunktionär, steht an. Zahlreiche Gäste werden in der etwas heruntergekommenen Villa erwartet. Der große Jugendstilausziehtisch aus Mahagoni für das Buffet ist noch nicht aufgebaut. Das übernimmt traditionsgemäß Enkel Sascha (Alexander Fehling). Aber der lässt sich nicht blicken. Stattdessen geben sich Nachbarn und Genossen die Klinke in die Hand, singen Junge Pioniere ein Ständchen. Jubilar Wilhelm Powileit lässt alles stoisch über sich ergehen. Seit 75 Jahren überzeugter Kommunist, ist er einst aus Nazi-Deutschland geflohen. Er war im Exil in Mexiko. Längst hat der 90jährige keinen Sinn mehr für die Blumensträuße der Gratulanten, deren Namen ihm schon mal entfallen. „Bringt das Gemüse zum Friedhof“, raunzt er. Und plötzlich besteht der Patriarch darauf, selbst zur Tat zu schreiten. Er nähert sich dem antiquarischen „Nazi-Tisch“zum stummen Entsetzen seiner Frau mit einer Handvoll Nägeln. Der Schweizer Ausnahmeschauspieler Bruno Ganz ist Wilhelm Powileit, immer an der Grenze zwischen Senilität und Originalität. Harmonisch soll der Tag werden, nicht getrübt durch die politisch unruhigen Zeiten. Doch bald brechen sie auf, die Wunden, über die immer geschwiegen wurde. Und wie ein Damoklesschwert hängt die Flucht des Enkels Sascha über den Feierlichkeiten und mit ihr das nahende Ende eines ganzen Staates. Matti Geschonnecks Inszenierung, mit ihren tiefenscharfen Nahaufnahmen einer kommunistisch bürgerlichen Familie in aller ihrer Zerrissenheit ist ein Geniestreich. Sie bietet trotz des schwierigen Stoffs rührende und komische Szenen. Sein sensibles Gesellschaftsbild über verlorene Utopien und zerbrochene Lebensentwürfe ist zudem brillant besetzt bis in die Nebenrollen. Die Zeitreise in die letzten Wochen der DDR kurz vor dem Mauerfall, in der zentrale Gewissheiten ins Rutschen geraten und die heraufziehende Ahnung eines gesellschaftlichen Umbruchs keimt, zeigt die Agonie des Systems zwar schonungslos auf. Doch in keiner Minute gerät sie zur gnadenlosen Abrechnung. Niemals verraten er und Drehbuchgroßmeister Kohlhaase, der über ein halbes Jahrhundert lang die Drehbücher für Berliner Kiez Dramen, wie „Sommer vorm Balkon“, schrieb, ihre Protagonisten. Nicht umsonst ist das ostdeutsche Duo bekannt für seine zutiefst menschliche Haltung.