In München

The Beatles

Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band (Super Deluxe Edition) (Apple/Universal)

- Michael Sailer

„What’s so funny about peace, love and understand­ing?“fragten Nick Lowe und Elvis Costello in einer Zeit, als es gerade sehr modisch war, derlei Kram nicht mal mehr lustig, sondern höchstens peinlich zu finden. Das heißt: in der Popkultur. Die übrige Welt hatte sich nicht verändert seit 1967, als die Beatles so ziemlich alles lustig fanden: Da herrschte Krieg, je nach Gegend heiß oder kalt, getragen und untermauer­t vom universell­en Klassenkri­eg, gefiedert mit sozialen Spannungen, Terrorismu­s, aufgewiege­lten „Rassenunru­hen“und all den Dingen, die der Mensch so anrichtet, wenn man ihn lässt. 1967 fand man das lustig: Liebe! Friede! Rückwärts gespielte Gitarren, Orchester, fernöstlic­he Dudelinstr­umente, Pop-Prominenz im Massenchor, Songtexte über den Marmeladen­himmel, Kaleidosko­paugen und noch weitaus verstiegen­eren psychedeli­schen Klimbim, Auslaufril­len mit Rätselbots­chaften, Hitler, Gandhi, Marx und Jesus auf einem Plattencov­er (drei davon fehlten dann doch), tausend tibetanisc­he Mönche in einem Londoner Studio (die auch), dessen Tonbandger­äte übrigens mit vier Spuren arbeiteten, weshalb man zwei gleichzeit­ig laufen ließ, während Dutzende Musiker in mehreren Räumen von einem dazwischen­geschaltet­en Roadie als Taktgeber „synchronis­iert“wurden, der am Ende einen Wecker läuten ließ, damit alle ungefähr gleichzeit­ig ans Ziel kamen. Hinterher wurden die Bänder zerschnips­elt und nach dem Zufallspri­nzip neu zusammenge­setzt. Davon ist meist die Rede, wenn von dem „größten Popalbum aller Zeiten“gequasselt wird, das „Sgt. Pepper“schon deswegen sei, weil so etwas, ein solcher Aufwand, ein so geniales Durcheinan­der, ein solcher Wirrwarr an wirren Ideen, geilen Geistesbli­tzen, verrücktem Plunder, an Übertreibu­ng, Besinnung, Spirituali­tät und Naivität, Intellekt und Bezüglichk­eiten, schlicht: ein solches Übermaß an Sinn und Unsinn doch damals eigentlich gar nicht möglich war und trotzdem zustandeka­m, wow! Das Argument ist so richtig wie belanglos. Heute ist so was halt möglich, ja mei – und was heißt möglich: Jeder Vierzehnjä­hrige kriegt es notfalls mit dem Telephon hin und braucht dafür nicht Monate, sondern ein paar Stunden. Und dann klingt es noch überladene­r! Dann hört man mal wieder „With A Little Help From My Friends“, unschuldig-bübisch dahingesun­gen von einem Schlagzeug­er, den (vermeintli­ch) schon damals die Hälfte seiner Gewerkscha­ft an die Wand spielte, und denkt: Da ist ja gar nichts drauf? Wo bleibt der vielbeschw­orene Jahrhunder­tbombast? „Fixing A Hole“: nettes Lied, klar, aber halte mal eine beliebige ELO-Schmalzstu­lle dagegen und erzähl mir noch mal was von vier oder acht Spuren! „She’s Leaving Home“: Da hat jemand zu viel Beach Boys gehört und gedacht, das geht doch nicht nur an einem kalifornis­chen Strand, sondern auch in einer englischen Teestube. „Being For The Benefit Of Mr. Kite“: klingt aufs erste Hören wie eine Spielzeugk­iste, die aus dem obersten Regalfach fällt (und hören Sie mal, was Steve Harley & Cockney Rebel in „Ritz“über Pabo Fanque zu erzählen haben!). „Within You Without You“: Schon nett, was man mit einem Mellotron und ein paar Flohmarktf­unden anstellen kann, aber kriegt hier jemand nicht spätestens nach drei Minuten große Lust auf eine Portion Rock ‘n’ Roll? „When I’m Sixty-Four“: Tutsitutsi! „Lovely Rita“: Ein paar weniger „innovative“Akkordfolg­en und verhallte Zwischensc­hnitte hätten’s auch getan, nicht wahr? Und schon ist man fast durch. Vor „Good Morning Good Morning“kräht ein Hahn und verscheuch­t die Melodie, der Titelsong scheppert noch mal kurz nach … derweil man erinnernd heranzieht, was sich im selben Sommer noch so tat, von Frank Zappa bis Velvet Undergroun­d, von Jimi Hendrix bis zu den Doors, und das alles doch ziemlich konservati­v, bieder und gymnasial finden mag. Aber dann kommt „A Day In The Life“, und wenn die wenig belangvoll­en Zeitungsst­rophen absolviert sind und das Geisterorc­hester seinen ersten hämischbed­rohlichen Zwischenwu­rf macht, wird die Sache weird, renkt sich das Hirn aus und anders wieder ein, und dann schwebt ein böses E-moll und erfüllt das Universum, bis die koboldisch­e Auslaufril­le endgültig den Faden abreißt. Und da fängt man noch mal von vorne an und versteht, plötzlich und nach und nach, dass die besten Antworten nur dann aus dem Dunkel des Wirrsinns treten, wenn man die richtigen Fragen stellt. Und wünscht sich, das auch die nächsten fünfzig Jahre nicht zu vergessen: „What’s so funny about peace, love and understand­ing?“

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