In München

ORTSGESPRÄ­CH

mit San2

- Interview: Rupert Sommer

Seinen Künstlerna­men hatte sich San2 einst als junger Graffiti-Sprayer zugelegt: Aus Münchner Musikerkre­isen ist Daniel Gall, der eigentlich aus Ingolstadt stammt, aber über San Francisco und Amsterdam zuerst eine ganz große Runde drehte, nicht mehr wegzudenke­n. Aktuell liegt sein Album „Hold On“in den Plattenreg­alen – und das hat er zuletzt noch mal für eine erweiterte und aufpoliert­e Fassung gepimpt. Achtung, das geht ins Bein!

Herr Gall, Sie haben mal gesagt, Ihr Traum wäre, Deutschlan­d so richtig für Rhythm’n’Blues zu begeistern. Die Mission läuft recht erfolgreic­h. Wie schwer ist es aber, die Mitmensche­n an den Groove zu gewöhnen?

R’n’B ist in Deutschlan­d nicht so sehr Mainstream wie zum Beispiel Rock. Es ist ein Genre, mit dem du aufs erste nicht so viele Leute ansprechen kannst. Wir versuchen schon, den Bogen so weit zum Pop zu spannen, dass meine Musik massentaug­lich sein kann. Ich setz mich aber nicht hin und nehme mir vor einen Song zu schreiben, der

unbedingt für alle funktionie­rt. In erster Linie muss er erst mal für mich funktionie­ren – sonst muss ich nichts schreiben.

Klar.

Man nimmt sich ja nicht vor, an einem Tag einen Blues-Song zu schreiben. Morgen einen Soul-Song. Und übermorgen einen radiotaugl­ichen Pop-Hit. Wenn du hierzuland­e in einem Konzert die Leute einfach mal mitklatsch­en lässt, dann ist die Wahrschein­lichkeit sehr groß, dass sie auf eins und drei klatschen – und nicht auf den Offbeat. Das signalisie­rt mir, dass du dem Publikum oft noch ein bisschen helfen musst. Wenn du ihnen zeigst, was du dir vorstellst, dann machen sie begeistert mit. Das ist meine Mission. Wir geben den Leuten was. Wo die Leute das dann ablegen – in der AfroEcke, im Soul, im Blues oder im Pop -, ist dann ihre Sache.

Wer die San2-Konzerte kennt, weiß natürlich, wie schnell der Funke überspring­t.

Mich hat von früh auf Gospel-Musik geprägt. Damit bin ich aufgewachs­en, weil meine Eltern die in ihrer Plattensam­mlung hatten. Mein Vater zusätzlich mehr Jazz, bei meiner Mutter fanden sich auch Chuck Berry, Little Richard oder Elvis. Wenn meine Eltern so was aufgelegt haben, saß ich als Kind nur da, habe gestaunt und mitgeklats­cht. Toll! Diese Begeisteru­ngsfähigke­it steckt bis heute in mir. Immer wenn ich was Neues höre, und das hat Gospel-Elemente, dann reißt mich das mit. Und berührt mich. Da muss ich mich nicht verbiegen, das wiederzuge­ben: Es kommt einfach so aus mir heraus.

Kann man Ihren Eltern dankbar sein. Sie hätten ja auch Metal- oder HippieElte­rn haben können ...

Na klar. Aber obwohl: Mit einer zünftigen Metal-Vorprägung wäre ich heute vielleicht viel erfolgreic­her. Sehr wahrschein­lich sogar.

Gospel oder Soul: So was kann nicht aufgesetzt sein, oder? Das muss von Innen, aus dem Herzen kommen.

Ich habe Musik ja nie studiert. Als ich Anfang 20 war, ging ich für ein Jahr nach San Francisco. Dort habe ich schnell mit vielen Leuten gespielt, die viel älter waren als ich – und viel besser. Das waren alles Musiker, die nicht versuchten zu klingen wie irgendwer. Sie waren einfach, wofür sie standen. Ich habe hauptsächl­ich mit schwarzen Leuten gespielt – zunächst einmal hinter ihnen – und habe viel von ihnen gelernt. Die größte Lektion war, als mir einer mal gesagt hat: San2, don’t play the songs, play with the songs!

Guter Tipp.

Das war für mich ein prägendes Erlebnis. Bevor ich eine Nummer von vorne bis hinten einfach nur runterspie­le, lege ich besser die CD auf. Ans Original kommt man eh nicht ran. Und live will man ja auch gar keinen CD-Sound. Deswegen habe ich angefangen, Songs, die auf meiner Platte vielleicht zwei oder drei Minuten dauern, mit diesen Musikern zu jammen. Ich will mir immer Freiräume schaffen. So auch bei meinem aktuellen Album. Keine Nummer darauf dauert länger als vier Minuten. Alles ziemlich kompakt. Und wenig Soli. Wenn ich damit auf die Bühne gehe, kommt natürlich was ganz anderes dabei raus. Mit den Songs spielen.

Eigentlich ja der Kern des Musikmache­ns – mit anderen was auszuprobi­eren.

Aus dieser Ecke komme ich – von der Jam Session. In München habe ich mit 19 im Hide Out angefangen, um mit den alten Cracks zu spielen. Und um so viel wie möglich aufzusauge­n und zu lernen. Auch heute sehe ich mich immer noch als Schüler.

Setzt natürlich auch Offenheit voraus, sich mit den Münchner Musikern zusammenzu­tun.

Von anderen Leuten und anderen Städten hört man oft, dass die Leute dort ellenbogen­mäßig unterwegs sind und am liebsten die Bühne komplett für sich allein hätten. So was habe ich in München zum Glück noch nie erlebt. Ich bin ja erst vor fünf Jahren hierher gezogen. Vorher war ich ja länger in Amsterdam. Dort habe ich gemerkt, dass die Musiker alle in die Clubs drängen. Die Unterstütz­ung untereinan­der kam mir sehr begrenzt vor. Natürlich konnte man sich mal montags einen Amp leihen. Aber dann wollten ihn die Leute doch gleich am Mittwoch wieder haben. In München kam mir das bislang ganz anders – viel offener – vor. Hier muss ich nur ein paar Kollegen fragen, ob sie mein Album produziere­n wollen. Schon heißt’s: Mach ma!

Spricht für die Szene hier.

So ist’s im Gegenzug bei mir auch. Als wir vor zwei Jahren die „Munich Sessions“machten, wollte ich auch nur mit Kollegen kochen, unter anderem mit Dr. Will – und gleichzeit­ig ein paar YouTube-Videos aufnehmen. Aus der Idee heraus ist das Album entstanden. Eine sehr freundscha­ftliche Angelegenh­eit! Alle helfen zusammen. Die Münchner Szene ist schon sehr familiär.

Den Dr. Will kann man wahrschein­lich übers Kochen auch ganz gut locken. Was haben Sie denn gebrutzelt?

(lacht) Nicht vom Äußeren aufs Innere schließen! Er kocht sehr gerne. Und er weiß auch, dass ich im Hobbyberei­ch leidenscha­ftlich gerne koche. Er hatte mir vorgeschla­gen, dass wir mal was zum Thema Soulfood machen. Wir haben damals ein Red Gumbo gekocht. Mit Barbecue Ribs. Echtes Südstaaten­Futter eben. Dazu haben wir uns unterhalte­n. Und dann immer wieder ein paar Songs zusammen gespielt.

Finger abschlecke­n: Und zurück an die Gitarre.

(lacht) Wir haben eigentlich alles abgeschlec­kt.

Um noch mal auf die San-Francisco-Zeit zu sprechen zu kommen: Wie viel Mut braucht man eigentlich als junger Mann aus Deutschlan­d, um die Kollegen anzusprech­en, ob man in den Clubs einfach mal mitmachen darf? Gut möglich, dass das Englisch damals noch nicht ganz sattelfest war?

Mein Englisch war eigentlich schon ganz okay, als ich dort hinkam. Ich hatte in Ingolstadt ein paar Freunde von der Audi Academy, die Leute auch zweisprach­ig ausbildet. Die hatten mich damals auf der Bühne gesehen und zum Glück gleich gesagt: Hey, du singst wie ein Amerikaner. Irgendwann hatte ich zufällig mal meine Lyrics auf einen Zettel dabei. Als sie sich die genauer anschauten, waren sie total baff. Das hast du gesungen? Das stimmt doch überhaupt nicht. Da sitzt kein einziges Wort! Da wurde mir klar: Die Musik habe ich schon emotional drauf. An den Lyrics und den Inhalten musste ich noch arbeiten. Südstaaten-Amerikanis­ch ...

... schwierig!

Das ist echt schwer. Sogar manche Engländer verstehen oft nicht genau, wovon da die Rede sein soll. Auch die müssen sich die Texte wieder und wieder anhören, bis sie überhaupt ein Wort verstehen. In San Francisco hatte ich mir als Au-pair ein Visum ermogelt. Ein halbes Jahr hatte ich das sogar durchgehal­ten. Bis ich dann kündigte, um alles Mögliche zu machen – Barkeeper oder sogar Security Guard. (lacht) Damals war ich noch sehr stark. An die Musiker ranzutrete­n, war gar nicht so mutig. Ich hatte ja nichts zu verlieren. Jam Sessions kannte ich schon vorher gut. Einfach mal mitzumache­n, war der erste Schritt. Im zweiten fanden die Musiker vor Ort das wahnsinnig skurril und originell, dass ein junger Zwanzigjäh­riger aus Europa ganz gut Blues-Songs singt und sogar James-Brown- oder Michael-Jackson-Moves draufhat.

Der Klassiker.

Den Moonwalk konnte ich schon mit Sieben oder Acht.

Eine beneidensw­erte Unbekümmer­theit scheint Sie schon auszuzeich­nen. Später haben Sie ja auch Geoff Gascoyne, den bekannten Produzente­n und Jamie-Callum-Entdecker, einfach mal angehauen, ob er sich für Ihre Songs interessie­rt: Das traut sich ja auch nicht jeder.

Bis zu meinem neuem Album „Hold On“hatte ich nie etwas an eine Plattenfir­ma geschickt.

Warum?

Weiß ich nicht. Ich hatte einfach das Gefühl, das Zeug wäre noch nicht gut genug. Von Geoff Gascoyne hatte ich eine E-Mail-Adresse im Internet gefunden und ihn einfach angeschrie­ben. Zum meiner Frau sagte ich damals: Das funktionie­rt eh nicht. Aber er wäre schon ein Sechser im Lotto. Und dann hat er trotzdem gleich angebissen.

Er hat wirklich nach zwei Stunden zurückgesc­hrieben, als er sich meine Band im Netz ausgeschec­kt hatte. The voice sounds great – let’s skype! Wir haben uns dann vor unsere Computer gesetzt und uns sofort sympathisc­h gefunden. Er ist einfach ein Typ, den man vom ersten Augenblick mögen muss. Er ist super freundlich und hat die berühmte englische Höflichkei­t. Trotzdem ist nichts aufgesetzt, und er sagt, was er meint. Er kam auch mit der Band vom ersten Augenblick an bestens zurecht.

Praktisch.

Wir haben dann aber gleich DemoAufnah­men mit ihm gemacht. Meine Band ist schon ein Haufen, den musst zu zähmen.

Inwiefern?

Es sind alles keine einfachen Charaktere, jeder hat seine ganz eigenen Vorstellun­gen. Es sind keine Ja-Sager. Sie bringen viel Ego mit. Deswegen wollen sie auch nicht, dass ich einfach mal einen neuen Song mit in den Probenraum bringe und sie den genau so spielen lasse. Jeder aus der Band will sich ein stückweit selbst verwirklic­hen. Da war ich sehr froh. Ich musste nicht die Peitsche schwingen. Bei der Arbeit an dem Album hat Geoff mir das auf sehr diplomatis­che Art aus der Hand genommen. So glaube ich, ist das am besten, Jungs, sagte er. Lass es uns so ausprobier­en! Und dann haben wir das gemacht. Er arbeitet wie ein Dirigent, der alles live arrangiert. Großartig!

Und Sie haben ja auch live eingespiel­t?

Nur! Wir saßen alle zusammen in einem Aufnahmera­um. Und Geoff stand mitten im Raum – und führte uns als Guide durch die Arrangemen­ts.

Wie wichtig ist es, so eine äußere Stimme zu haben, die dabei hilft, die eine oder andere Idee zu veredeln?

Geoff war für das Album total wichtig. Jeder Song hat eine Grundmelod­ie. Sie ist so stark, wie sie eben ist. Aus Scheiße kann er auch kein Gold machen. Aber es ist ein bisschen wie in der Photograph­ie: Wenn man schon eine tolle Aufnahme hat – dann kann man die in Photoshop ein bisschen pimpen. Und erhält dann ein sehr gutes Foto. Man muss so was schon zulassen können. Sonst braucht man keinen Produzente­n. Ich höre meine Platte immer noch saugern. Wenn ich im Auto sitze, darf sie nicht fehlen. Gutes Zeichen, gutes Gefühl!

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Das ist meine Mission ...
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... wir geben den Leuten was

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