-ACHT UND -ECHANISMEN
&ASZINIERENDER 3OG ~)NDIKA AM 6OLKSTHEATER
Lang ist der Applaus, herzlich, die Darsteller sind erleichtert, der freudig lächelnde Regisseur auch: sie haben es wieder einmal geschafft am Volkstheater, uns mit etwas sehr Eigenem zu überraschen. Auch wenn man vorher schon vermuten konnte: Folkloretheater gibt es nicht zu sehen, wenn Indien-Fan Christian Stückl seinem alten Regie-Spezl Sankar Venkateswaran wieder eine Inszenierung hier in München überträgt. Man kennt den Stil des 38-Jährigen, der sich in seiner Ausbildung viel mit asiatischen Theatertraditionen beschäftigt hat, wie etwa dem japanischen Nô-Theater oder der Peking-Oper, und der auch Schauspieler und Komponist ist: letztes Jahr hat er am Volkstheater „Tage der Dunkelheit“gemacht, eine Episode aus dem indischen „Mahabharata“-Epos. Nun also „Indika“: wieder greift Venkateswaran einen archaischen Stoff auf, diesmal aus der großen Politik: nachdem Alexander der Große um 320 v. Chr. aus Indien wieder abgezogen war, installierte Candragupta das Maurya-Reich. Aus kleinen Verhältnissen stammend, schaffte er das nur dank eines Brahmanen, der in Indien eine gewisse Berühmtheit hat: Kautilya. Pascal Fligg spielt ihn, und er ist so was wie der Mastermind dieser Inszenierung, die einzig durchgehende Rolle: der Königsflüsterer ist ein McKinsey-lässiger Berater, durchaus smart, aber immer zielorientiert. Dieser Zeitgenosse steht für den Bogen aus der für uns erst einmal fremden Geschichte in die zeitlos relevanten Fragen. Die Macht und die Mechanismen des Machterhalts, der Herrscher und sein Volk, die alten Fragen von Sein und Haben (einmal ersäuft der König fast im Goldmünzenhagel) – das sind die Aspekte, über die diese Inszenierung mehr optisch bis ins Performancehafte philosophiert als inhaltlich argumentiert. Dabei vermischt der spärliche Text historische Fakten und fiktive Dramaturgie, aber im Zentrum, hat man den Eindruck, steht er nie. Mantrahaftes Zählen, schmerzhaftes Auf-den-Boden-Knallen, Yoga-Körperlichkeit, Rennen bis die Puste ausgeht: das Konkrete verschwindet hinter dem Allegorischen. Das wiederum hat zwei grandiose Helfer: die metallisch-expressive Musik von Lin Wang und Günter E. Weiß mit seinem so simplen wie großartigen Raum, einem Fichtenholzquader, nach vorne und oben offen. Wenn die Gesellschaft „reformiert“wird, werden Platten aus den Wänden gerissen – und dahinter zeigen sich schon die Risse in der Stabilität. Da mögen sie noch so schöne Denkmäler aus den Platten formen. Mehmet Sözer, der König Candragupta, der keine Krone trägt, sondern ein Stirnband mit Scheuklappen, zieht dann – das eindrucksvollste Bild – das gesamte neue Reich, den Holzkasten, ganz alleine, die Schulter ins Seil gepresst, die Füße in den Boden gespreizt. Aber nicht lange. Schon zu Beginn hat der Text verraten, dass er auf alles wieder verzichtet, er „entsagt gar seiner Kleidung und beginnt zu laufen, auf der Suche nach einem Moment der Ruhe, des Friedens“. Abrupt endet die Aufführung nach nicht einmal eineinhalb Stunden, abrupt, weil die Geschichte weiter geht. Nichts ist vorbei. „Indika“, diese bei aller Symbolik nie artifizielle, immer ernsthafte Auseinandersetzung mit zutiefst menschlichen Fragen, entwickelt einen faszinierenden Sog. Und das vor allem, weil das Ensemble – Silas Breiding, Luise Deborah Daberkow, Jakob Immervoll, Nina Steils, Magdalena Wiedenhofer –, das Sklaven und Führer, Liebende und Enttäuschte verkörpert, nie vergisst, dass Power alleine noch lange keinen Charakter prägt.