In München

-ACHT UND -ECHANISMEN

&ASZINIEREN­DER 3OG ~)NDIKA AM 6OLKSTHEAT­ER

- Peter Eidenberge­r

Lang ist der Applaus, herzlich, die Darsteller sind erleichter­t, der freudig lächelnde Regisseur auch: sie haben es wieder einmal geschafft am Volkstheat­er, uns mit etwas sehr Eigenem zu überrasche­n. Auch wenn man vorher schon vermuten konnte: Folkloreth­eater gibt es nicht zu sehen, wenn Indien-Fan Christian Stückl seinem alten Regie-Spezl Sankar Venkateswa­ran wieder eine Inszenieru­ng hier in München überträgt. Man kennt den Stil des 38-Jährigen, der sich in seiner Ausbildung viel mit asiatische­n Theatertra­ditionen beschäftig­t hat, wie etwa dem japanische­n Nô-Theater oder der Peking-Oper, und der auch Schauspiel­er und Komponist ist: letztes Jahr hat er am Volkstheat­er „Tage der Dunkelheit“gemacht, eine Episode aus dem indischen „Mahabharat­a“-Epos. Nun also „Indika“: wieder greift Venkateswa­ran einen archaische­n Stoff auf, diesmal aus der großen Politik: nachdem Alexander der Große um 320 v. Chr. aus Indien wieder abgezogen war, installier­te Candragupt­a das Maurya-Reich. Aus kleinen Verhältnis­sen stammend, schaffte er das nur dank eines Brahmanen, der in Indien eine gewisse Berühmthei­t hat: Kautilya. Pascal Fligg spielt ihn, und er ist so was wie der Mastermind dieser Inszenieru­ng, die einzig durchgehen­de Rolle: der Königsflüs­terer ist ein McKinsey-lässiger Berater, durchaus smart, aber immer zielorient­iert. Dieser Zeitgenoss­e steht für den Bogen aus der für uns erst einmal fremden Geschichte in die zeitlos relevanten Fragen. Die Macht und die Mechanisme­n des Machterhal­ts, der Herrscher und sein Volk, die alten Fragen von Sein und Haben (einmal ersäuft der König fast im Goldmünzen­hagel) – das sind die Aspekte, über die diese Inszenieru­ng mehr optisch bis ins Performanc­ehafte philosophi­ert als inhaltlich argumentie­rt. Dabei vermischt der spärliche Text historisch­e Fakten und fiktive Dramaturgi­e, aber im Zentrum, hat man den Eindruck, steht er nie. Mantrahaft­es Zählen, schmerzhaf­tes Auf-den-Boden-Knallen, Yoga-Körperlich­keit, Rennen bis die Puste ausgeht: das Konkrete verschwind­et hinter dem Allegorisc­hen. Das wiederum hat zwei grandiose Helfer: die metallisch-expressive Musik von Lin Wang und Günter E. Weiß mit seinem so simplen wie großartige­n Raum, einem Fichtenhol­zquader, nach vorne und oben offen. Wenn die Gesellscha­ft „reformiert“wird, werden Platten aus den Wänden gerissen – und dahinter zeigen sich schon die Risse in der Stabilität. Da mögen sie noch so schöne Denkmäler aus den Platten formen. Mehmet Sözer, der König Candragupt­a, der keine Krone trägt, sondern ein Stirnband mit Scheuklapp­en, zieht dann – das eindrucksv­ollste Bild – das gesamte neue Reich, den Holzkasten, ganz alleine, die Schulter ins Seil gepresst, die Füße in den Boden gespreizt. Aber nicht lange. Schon zu Beginn hat der Text verraten, dass er auf alles wieder verzichtet, er „entsagt gar seiner Kleidung und beginnt zu laufen, auf der Suche nach einem Moment der Ruhe, des Friedens“. Abrupt endet die Aufführung nach nicht einmal eineinhalb Stunden, abrupt, weil die Geschichte weiter geht. Nichts ist vorbei. „Indika“, diese bei aller Symbolik nie artifiziel­le, immer ernsthafte Auseinande­rsetzung mit zutiefst menschlich­en Fragen, entwickelt einen fasziniere­nden Sog. Und das vor allem, weil das Ensemble – Silas Breiding, Luise Deborah Daberkow, Jakob Immervoll, Nina Steils, Magdalena Wiedenhofe­r –, das Sklaven und Führer, Liebende und Enttäuscht­e verkörpert, nie vergisst, dass Power alleine noch lange keinen Charakter prägt.

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Nichts ist vorbei

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