In München

A. Stadtbäume­r & J. Muggenthal­er

- Interview: Rupert Sommer

Einfach mal einen Joseph Beuys mit nach Hause nehmen: Die städtische Artothek auf der Rückseite des Stadtmuseu­ms macht’s möglich. Und das schon für kleines Geld: Für nur drei Euro pro Monat kann man sich als Privatnutz­er aus dem breiten Bestand von über 2000 Kunstwerke­n für den Hausgebrau­ch bedienen – wie in einer Stadtbibli­othek. Mit einer breiten Jubiläumsa­ktion, die bis September läuft, feiern die Artothek-Macher derzeit das 30-jährige Bestehen. Und davor kommen sie mit ihrer Kunst sogar direkt in die Stadtviert­el.

Frau Stadtbäume­r, München ist eine Stadt mit vielen schönen Museen. Wofür braucht sie eigentlich eine Artothek?

Stadtbäume­r: Das Besondere an einer Artothek ist, dass man sich die Bilder nicht nur anschauen, sondern mitnehmen kann. Das Ausleihen der Kunstwerke kostet sehr wenig Geld. Nirgendwo sonst hat man so einen barrierefr­eien Zugang zur Kunst. Man kann die Bilder bei uns anfassen, aussuchen – und dann mit nach Hause nehmen.

Wenn man die Bilder über dem eigenen Küchentisc­h hängen hat, lässt sich wohl leichter eine enge Beziehung aufbauen.

Muggenthal­er: Tatsächlic­h. Ideen dazu gab es schon in den 20er Jahren. In den 60er Jahren wurden die Überlegung­en konkreter, dass man den Leuten durch einen öffentlich­en Kunstverle­ih einen unproblema­tischen Zugang zu Originalwe­rken ermögliche­n könnte. Kunst gibt es ja sonst nur in Museen. Oder in Galerien. Nur dass sie dort in der Regel nur für wenige käuflich erwerblich ist. Unsere städtische Kunstsamml­ung in der Artothek soll für alle da sein.

Stadtbäume­r: Der Erfinder der Idee, Arthur Segal, ein Maler, der Anfang des 20. Jahrhunder­ts in Berlin lebte, hatte in einem Manifest diese demokratis­che Idee entwickelt. Er war fest davon überzeugt, dass Kunst Kriege verhindern kann. Aber auch dass Artotheken durch ihr Sammeln und ihre Ankäufe Künstlern helfen sollen. Segal hatte seinerzeit mit den Sozialdemo­kraten und den Gewerkscha­ften zusammenge­arbeitet, um diese Vision zu verwirklic­hen. In Skandinavi­en wurden seine Ideen stark aufgenomme­n – anders als zunächst in Deutschlan­d. Erst später kam die Anregung wieder zurück ins Land.

Beeindruck­ende Historie. Und heute?

Muggenthal­er: Heutzutage ist es so, dass viele junge Leute durchaus interessie­rt wären an zeitgenöss­ischer Kunst. Sie finden aber oft nicht den Zugang dazu. In Galerien trauen sie sich

meist nicht hinein – weil sie glauben, dass man dort gleich etwas kaufen muss. Kunst findet für viele daher ausschließ­lich in öffentlich­en Ausstellun­gen statt. Aber ein Teil von einem selbst kann sie dort nicht werden. Bei der Artothek ist das anders. Hier kann man Kunst einfach mal ausprobier­en und für sich herausfind­en, wie man mit diesen Bildern leben kann.

Probewohne­n mit Kunstwerke­n.

Muggenthal­er: In der Tat. Man kann über uns risikofrei vieles ausprobier­en. Gefällt mir das Bild? Halte ich es aus? Was sagen meine Nachbarn dazu? Meine Freunde?

Stadtbäume­r: Mein Mann oder meine Frau? Meine Kinder?

Muggenthal­er: All das kann man ohne Streit und ohne Verpflicht­ungen einfach mal ausprobier­en. Unser Ansinnen ist es, den Leuten, die hier zu uns hereinkomm­en, weiterzuhe­lfen und gemeinsam mit ihnen ihre Interessen zu entwickeln. Eines Tages kommen sie vielleicht auch dazu, sich selbst einmal Kunst zu kaufen. Über unsere Angebote haben sie dann oft ihren Geschmack schon mal geschult und wissen genauer, was zu ihnen passt. Wer kann schon einfach mal 5.000 Euro für ein Bild ausgeben – und muss dann nach zwei Wochen feststelle­n, dass es ihm in den eigenen vier Wänden doch nicht gefällt?

Stadtbäume­r: Wer bei uns vorbeischa­ut, kann hier erst einmal nach Herzenslus­t stöbern. Am Anfang interessie­ren sich die meisten oft für Farbfläche­nmalerei.

Wo dann entscheide­nd ist, ob es zuhause farblich zum Teppich oder zum Sofa passt, oder?

Stadtbäume­r: Darum geht es gar nicht so sehr. Ich glaube, es ist ein inneres Bedürfnis nach Farbe, Licht und etwas Positivem. Oft entwickeln sich die Vorlieben später in eine ganz andere Richtung. Plötzlich geht ein Besucher mit Zeichnunge­n bei uns raus.

Muggenthal­er: Ein allgemeine­s Interesse braucht oft eine Initialzün­dung. Aber dabei bleibt es ja nicht. Die Interessen und Geschmäcke­r entwickeln sich weiter. Wenn ich viel gesehen habe, kann ich ein viel breiteres Urteil fällen – und weiß vor allem, womit ich leben möchte. Die Entscheidu­ng für ein Kunstwerk ist etwas sehr Weitreiche­ndes. Das ist nicht wie bei einem Buch, das man mal ausleiht, kurz reinschaut und es dann wieder schließt, wenn es einem doch nicht gefällt. Ein Kunstwerk auszuwähle­n ist wie die Entscheidu­ng für ein Möbelstück, das man lange um sich haben möchte.

Wenn Sie schon die Analogie zum Buch bringen: Ausleihen kann man bei Ihnen im Prinzip wie bei einer Stadtbibli­othek?

Muggenthal­er: Richtig. So wie die Stadt das Lesen fördert und damit auch die kulturelle Bildung, ist auch die Vermittlun­g von Kunst ein wichtiges Anliegen.

Wer kommt denn zu Ihnen, um Kunstwerke auszuleihe­n? Sind das Leute, die ihre Schwiegerm­utter beeindruck­en, wenn Sie sich zum gefürchtet­en Besuch angekündig­t hat?

Stadtbäume­r: Die Schwiegerm­ütter wollen ja nicht unbedingt beeindruck­t werden, die wollen, dass man sich um sie kümmert. Es sind vorzugswei­se jüngere Leute, die noch nicht so viel besitzen. Oder solche, die oft umziehen. Zu uns kommen auch junge Familien, die sich in neuen Wohnungen einrichten. Oder ältere Leute, die alleine leben. Bei den gewerblich­en Nutzern kommen gerne die Sekretärin­nen, die es leid sind, immer nur auf Plakate schauen zu müssen.

Von Motoren oder Autos?

Stadtbäume­r: Oder auf die Familienun­d Urlaubsfot­os vom Chef. Die Artothek ist bei solchen Besuchern sehr beliebt: Oft kommen ganze Belegschaf­ten und suchen gemeinsam Bilder aus. Manche junge Leute kommen zudem mit dem Vorhaben, ein Fest auszuricht­en – und dafür wollen sie eine eigene Ausstellun­g hängen.

Keine schlechte Idee.

Stadtbäume­r: Die Bilder werden dann quasi auch zu Gästen. Und man spricht gerne über sie. Diese Kunden leihen die Werke dann nur für kurze Zeit aus. Vielleicht wollen sie im Bekanntenk­reis auch nur ein wenig angeben. Besonders treu sind natürlich unsere Kunst-Liebhaber, bei denen mit den Bildern etwas in ihrem Leben passiert – weil sie wirklich angefixt sind.

Muggenthal­er: Wir haben auch Kunden, die mal ein paar Jahre nicht bei uns waren. Und dann kommen sie plötzlich wieder und leihen sich ein Bild aus, das ihnen schon vor Jahren gut gefallen und das sie bei sich zu Hause aufgehängt hatten.

Stadtbäume­r: Viele haben ein oder zwei Stellen in ihren eigenen vier Wänden, wo sie sehr gerne auf Kunst schauen. Und die möchten unsere Bilder oft am liebsten sehr lange behalten. Das geht allerdings nicht, nach spätestens einem Jahr müssen sie sich wieder davon trennen. Wer eine sehr innige Beziehung zu gewissen Werken aufgebaut hat, versucht oft über uns den direkten Kontakt zum Künstler herzustell­en. Und vielleicht kaufen diese Leute dann ja direkt bei ihm ein Bild.

Die Leidenscha­ft, die Sie erwecken wollen, bringt schon auch das Loslassenm­üssen mit sich. Stadtbäume­r: Vielen Leuten fällt das sehr schwer.

Muggenthal­er: Wir haben regelrecht­e Rekord-Leiher, die immer wieder zu uns kommen. Besonders eine Familie macht das schon so lange, dass wir ihre Treue selbst einmal zum Thema einer Kunstaktio­n gemacht haben. Der Künstler Paul Huf hat dafür Fotos aus den Jahren 1990 bis 2010 zusammenge­stellt, auf denen er eine bestimmte Münchner Familie immer wieder mit ihren Kindern

– und den vielen Bildern, die sie bei uns ausgeliehe­n haben – über die Jahre hinweg zeigte. Sie zählen zu unseren Stammkunde­n, die seit 30 Jahren dabei sind.

Stadtbäume­r: Die Familie wechselt ihre Bilder alle vier Monate aus. Wir haben schon ihre Kinder miterlebt, die mittlerwei­le selbst Erwachsene mit eigenen Kindern sind.

Was sind denn Favoriten unter Ihren Werken? Gibt es die älteren Männer, die sich regelmäßig Aktzeichnu­ngen holen?

Stadtbäume­r: Klischee-Verhalten gibt’s natürlich, ist aber selten. Den Aktliebhab­ern begegnet man wahrschein­lich wo anders. Ein Werk von Rose Stach, „Listino Prezi“, das wir vor fünf Jahren angekauft hahen, wird besonders gerne ausgeliehe­n. Sie setzt dabei auf einer Preisliste Steck-Buchstaben wie beim Scrabble zu Wörtern zusammen, die im Rahmen eines Kneipenabs­turzes eine Rolle spielen könnten.

Muggenthal­er: Jeder findet hier bei uns etwas. Die farbigen, die eher malerische­n Bilder werden vorzugswei­se genommen. Aber das ist legitim, weil eine solche Auswahl ja kein Qualitätsu­rteil beinhalten muss. Die Leute verbinden mit der Kunst etwas Positives. Bei uns stellt die Vorauswahl der Bilder eine hohe Qualität der Sammlung sicher. Wir haben eine hochrangig­e Jury, die unsere Werke ankauft. Deswegen gibt es Bilder im Angebot, die durchaus anspruchsv­oll sind und die ihre Ausleiher fordern. Wir sind immer wieder überrascht, dass auch vermeintli­ch spröde, konzeption­elle Kunst, mit der man sich erst einmal ein wenig beschäftig­en muss, gut weggeht.

Vorhin haben Sie selbst mal kurz das Angeben erwähnt. Stürmt bei Ihnen auch mal jemand rein und sagt: Ich brauche ganz schnell einen Beuys?

Muggenthal­er: Das kommt schon mal vor. Aber wir gehen nicht damit hausieren, dass wir Bilder von teuer gehandelte­n Künstlern haben. Beuys haben wir allerdings in unserem Angebot, aber vorwiegend konzentrie­ren wir uns auf die Münchner Szene. Wir haben hier die Kunstakade­mie und eine große Kunstszene. Deren Arbeiten wollen wir mit unseren Ankäufen fördern und in Ausstellun­gen sichtbar machen. Aber ob es immer gleich Angeber sein müssen, die sich ein Werk eines bekannten Künstlers aussuchen? Es ist doch legitim, wenn man mit Kunstwerke­n eine Außenwirku­ng erzielen möchte. Ich finde jedoch gut, dass viele Leute, die Namen der Künstler gar nicht als erstes interessie­ren. Sie schauen sich die Werke selbst an und erst später auf das, was hinten auf dem Bild steht.

Keine Selbstvers­tändlichke­it im überhitzte­n Kunstbetri­eb.

Muggenthal­er: Das ist sehr angenehm. Ob die Bilder 50 oder 5000 Euro im Ankauf gekostet haben, spielt für viele unserer Besucher überhaupt keine Rolle.

Oft braucht man bei zeitgenöss­ischer Kunst ja Erklärunge­n, die teilweise ja selbst Bestandtei­l des Erlebnisse­s sind. Sie begleitete­n aber doch den Auswahlpro­zess durchaus?

Muggenthal­er: Wir bringen die Ausbildung und die Fachkenntn­is mit, dass wir unsere Besucher beraten können. Das tun wir natürlich, wenn die Leute das wünschen. Es gibt aber auch Kataloge zu den Bildern. Dank des Internets ist das heute ohnehin viel einfacher, weil man bestimmte Künstler, die man noch nicht kennt, ja auch leicht zuhause googeln kann. Aber wir beraten sehr gerne.

Das kann dann hin bis zur Vermittlun­g eines Künstler-Kontakts gehen, oder?

Muggenthal­er: Wir schlagen auf Wunsch solche Brücken, sind aber keine kommerziel­le Galerie.

Stadtbäume­r: Und die Stadt möchte natürlich auch nicht Konkurrent­in zu den Galeristen sein.

Was muss denn ein Münchner Künstler mitbringen, um von ihnen gefördert zu werden – oder dass zumindest das eine oder andere seiner Werke bei Ihnen in der Artothek aufgenomme­n wird?

Muggenthal­er: Entweder gehen wir auf einen Künstler zu, den wir interessan­t finden. Oder Künstler bewerben sich, in dem sie etwa eine Mappe vorbeibrin­gen. Aus solchen Anregungen entsteht dann beispielsw­eise unser Ausstellun­gsprogramm. Unser wunderschö­ner Galerie-Raum mit den hohen Fenstern mitten in der Stadt ist bei den Künstlern sehr beliebt.

Stadtbäume­r: Das Vorschlags­recht für unsere Ankäufe hat die Jury, der zwei Stadträte, zwei Künstler und ein Vertreter von uns angehören. Wir können Künstler, die wir ausgestell­t haben, auch für Ankäufe vorschlage­n.

Offenheit ist ja ohnehin ihr Prinzip. Für das 30-Jahre-Jubiläum gehen Sie mit Ihrem Angebot jetzt auch noch vor die Türen. Wie genau?

Stadtbäume­r: Die Artothek soll noch bekannter werden und geht daher auf Tour. Die Künstlerin Gabi Blum hat uns dafür ein Artothek-Mobil gebaut.

Wie man hört, ein ehemaliger Marktstand­l-Wagen?

Stadtbäume­r: Aus dem heraus wurden früher Waren verkauft. Der Wagen fährt jetzt verschiede­ne Plätze in der Stadt an – zum Beispiel Giesing, den Elisabethm­arkt und das Hasenbergl. Dort präsentier­en wir uns – auch mit künstleris­chen Performanc­es und Informatio­nsmaterial über Die Artothek, die Kunstleihe und die Sammlung.

Muggenthal­er: Wir wollen die Leute neugierig machen, dass sie zu uns in die Stadt kommen. Und deswegen kommen wir als Einladung erst einmal mit der Artothek zu den Münchnern.

Stadtbäume­r: Zudem wird es von 24. Juni bis 10. September die Ausstellun­g „Mittsommer“mit rund 50 Künstlern geben, mit denen wir bereits zusammenge­arbeitet haben. Wir eröffnen am 23. Juni mit unserem Sommerfest.

Letzte Frage an beide: Welches ist denn Ihr eigenes Lieblingsb­ild aus der Sammlung, das vielleicht sogar ab und an mit nach Hause kommen muss?

Stadtbäume­r: Ich habe viele Lieblinge. Aber wir haben einen Druck von Ferdinand Leger, der mir der Allerliebs­te ist.

Muggenthal­er: Ich habe wechselnde Lieblingsb­ilder. Je nach Stimmungsl­age und Zeitumstän­den. Das ist ja das Praktische an einer Artothek: Man kann immer wieder etwas anders schön finden.

 ??  ?? Das ist ja das Praktische ...
Das ist ja das Praktische ...
 ??  ?? …man kann immer wieder etwas anders schön finden.
…man kann immer wieder etwas anders schön finden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany