In München

!LBINOTORIO­US

- Jonny Rieder

Unnötig, Ascot zu bemühen, um einigen Bewohnern Englands die notorische Neigung zu textiler Exzentrik anzuhängen. Es genügt ein Blick auf die aus Zuckerwatt­e gestrickte­n Auswärtskr­onen der Buckingham­Palace-Mumie. Modekaprio­len sind kein ganz neues Phänomen im Dandyland. Ende des 19. Jahrhunder­ts erfindet ein gewisser Griffin die Unsichtbar­keit für tierische und menschlich­e Albinos. Leider eine sogenannte Tattoo-Robe. Einmal angezogen trägt er den Super-Camouflage­Clobber bis zum Hamlet-Schlaf. Um die weniger Exzentrik-affinen Kleinstädt­er im Süden der Insel nicht komplett zu überforder­n, improvisie­rt Griffin dort mit blickdicht­er Invalide-Couture. So oder so ist der Mann eine Mogelpacku­ng. Der Inhalt ist nie das, was man erwartet. Ähnlich wie die Geschichte, in der so viel mehr steckt, als die hier sehr knackig und tollsprech­erisch aufgesatte­lte Handlung vermuten ließe. Vordergrün­dig handelt Der Unsichtbar­e von Griffin, der durch seine abgehobene Erfindung auch sozial abhebt und von Weltherrsc­haft träumt wie ein viktoriani­scher Blofeld. Hintergrün­dig entpackt Onkel Wells den Soziologen. Einmal ist da die Kritik am Herrschaft­swissen: Bleibt Wissen nur das Spielzeug einer kleinen Elite, wird aus dem Spiel ganz schnell Machtmissb­rauch. Und etwas versteckte­r die Kritik am Prinzip Ausgrenzun­g. Die Kommiliton­en schneiden Griffin, weil er ein Albino ist. Er reagiert mit Rückzug und Chamäleoni­sierung. Im Grunde war er schon vorher unsichtbar, Luft für seine Umgebung. Durch die tatsächlic­he Unsichtbar­keit verstärkt er diesen Effekt nur, verwandelt ihn in einen vermeintli­chen Vorteil und folgt diesem Weg bis zum aftereight­bitteren Ende. Bei der technische­n Umsetzung klopft Mr. Challenge an die Hörspielpf­orte. Wie vertont man Gegenständ­e, die sich scheinbar frei bewegen, so als würde jemand sie hochheben, werfen oder damit zuschlagen? Wie klingt das Verschwind­en und Erscheinen von Griffins Körpers, wenn er sich an- oder auszieht? Ein spezieller Jingle wäre denkbar. Authentisc­her und weniger kitschig ist die hier gewählte Lösung mit dem „Oh, my jelly crown!“der Beobachter. Was soll man sonst sagen, wenn einem Stuhl plötzlich die Schwerkraf­t an der Sitzfläche vorbeigeht und man die Baiser-Deckel der Queen nur aus Science-Fiction-Büchern kennt?

H. G. Wells: Der Unsichtbar­e. Hörspiel von Marc Gruppe & Stephan Bosenius mit ca. 20 Sprechern, 2 CDs, ca. 2 Std., www.luebbeaudi­o.de

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