!LBINOTORIOUS
Unnötig, Ascot zu bemühen, um einigen Bewohnern Englands die notorische Neigung zu textiler Exzentrik anzuhängen. Es genügt ein Blick auf die aus Zuckerwatte gestrickten Auswärtskronen der BuckinghamPalace-Mumie. Modekapriolen sind kein ganz neues Phänomen im Dandyland. Ende des 19. Jahrhunderts erfindet ein gewisser Griffin die Unsichtbarkeit für tierische und menschliche Albinos. Leider eine sogenannte Tattoo-Robe. Einmal angezogen trägt er den Super-CamouflageClobber bis zum Hamlet-Schlaf. Um die weniger Exzentrik-affinen Kleinstädter im Süden der Insel nicht komplett zu überfordern, improvisiert Griffin dort mit blickdichter Invalide-Couture. So oder so ist der Mann eine Mogelpackung. Der Inhalt ist nie das, was man erwartet. Ähnlich wie die Geschichte, in der so viel mehr steckt, als die hier sehr knackig und tollsprecherisch aufgesattelte Handlung vermuten ließe. Vordergründig handelt Der Unsichtbare von Griffin, der durch seine abgehobene Erfindung auch sozial abhebt und von Weltherrschaft träumt wie ein viktorianischer Blofeld. Hintergründig entpackt Onkel Wells den Soziologen. Einmal ist da die Kritik am Herrschaftswissen: Bleibt Wissen nur das Spielzeug einer kleinen Elite, wird aus dem Spiel ganz schnell Machtmissbrauch. Und etwas versteckter die Kritik am Prinzip Ausgrenzung. Die Kommilitonen schneiden Griffin, weil er ein Albino ist. Er reagiert mit Rückzug und Chamäleonisierung. Im Grunde war er schon vorher unsichtbar, Luft für seine Umgebung. Durch die tatsächliche Unsichtbarkeit verstärkt er diesen Effekt nur, verwandelt ihn in einen vermeintlichen Vorteil und folgt diesem Weg bis zum aftereightbitteren Ende. Bei der technischen Umsetzung klopft Mr. Challenge an die Hörspielpforte. Wie vertont man Gegenstände, die sich scheinbar frei bewegen, so als würde jemand sie hochheben, werfen oder damit zuschlagen? Wie klingt das Verschwinden und Erscheinen von Griffins Körpers, wenn er sich an- oder auszieht? Ein spezieller Jingle wäre denkbar. Authentischer und weniger kitschig ist die hier gewählte Lösung mit dem „Oh, my jelly crown!“der Beobachter. Was soll man sonst sagen, wenn einem Stuhl plötzlich die Schwerkraft an der Sitzfläche vorbeigeht und man die Baiser-Deckel der Queen nur aus Science-Fiction-Büchern kennt?
H. G. Wells: Der Unsichtbare. Hörspiel von Marc Gruppe & Stephan Bosenius mit ca. 20 Sprechern, 2 CDs, ca. 2 Std., www.luebbeaudio.de