Seltsame Symbiose
Nachdenklicher Witz: George Taboris „Mein Kampf“am Volkstheater
Ganz klar: der Jude ist schuld. Er heißt Schlomo Herzl. Er war es, der Hitler, dem erfolglosen Kunstmaler, in einem Wiener Obdachlosenasyl erst einmal Manieren beigebracht und auch die typischen Merkmale verpasst hat: die wirren Haare zum akkuraten Scheitel getrimmt und den breiten Schnurrbart gestutzt auf das bekannte Hitlerbärtchen. Und, als ob das noch nicht reicht: er hat ihn auch auf den Trip mit der Politik gebracht. Natürlich, das ist ein Witz, ein großer, jüdischer Witz, bei dem das Lachen immer auch ein Aua hinterlässt (wie dieser Abend auch enden wird: mit einem Witz und einem Aua.) Und George Tabori, der wunderbare Theatermacher, 2007 viel zu früh gestorben, mit jungen 93, hat ihn sich ausgedacht. Den Vater in Auschwitz verloren, war es Taboris lebenslange Aufgabe, mit beißendem Humor, Sarkasmus und überlegter Provokation einerseits und unbändiger Menschenliebe andererseits, dem Grauen einen verhandelbaren Ort zu geben, um vielleicht so etwas wie Erkenntnis und Wahrheit zu ermöglichen. Gerne auch mit den Mitteln der Farce. In „Mein Kampf“,1987 in Wien uraufgeführt, schreibt der fliegende Buchhändler Herzl in einem Wiener Männerheim an seinen Memoiren, kommt aber nicht wirklich dazu, weil er sich mit seinem Mitbewohner Lobkowitz, einem arbeitslosen Koch, der sich für Gott hält, viel zu viel herumkabbelt, dabei aber immerhin den Titel für die Memoiren findet: Mein Kampf – Hitler wird diesen später dankbar kopieren. Vorerst ist er aber – das Stück spielt um 1910 – noch gar nicht da, und doch blicken wir im Bühnenbild von Stefan Hageneier schon auf das Ende: der geduckte Kellerraum hat Wände wie eine Baracke und einen Ofen wie aus einem KZ-Krematorium. Timocin Zieglers Koch ist ein etwas durchgeknallter, zotteliger HippieMessias, die Zubereitung eines Huhns wird bei ihm zur mehrdeutigen KochShow, die Shlomo heftige Phantomschmerzen versetzt. Pascal Fligg spielt ihn als zweifelnden Intellektuellen und Orthodoxen mit Schläfenlocken, wobei ihm der Glaube abhandengekommen ist, als seine Mutter ermordet wurde. Er ist ein unbeirrter Erzieher, aber sehr ambivalent im Umgang mit Hitler: mal brüllt er ihn an, dann wieder bringt er ihm tänzelnd, zu Tom Wörndls Klezmer-Walzer, das Schuhwichsen bei (wofür es Szenenapplaus gibt). Hitler ist bei Jakob Immervoll ein Landei aus Braunau, in der Kurzledernen, Socken und Krawatte sind schon braun, das Denken ist schon krude, die Sätze – Tabori zitiert auch aus Hitlers „Mein Kampf“– sind schon Phrasen und endlos. Unsicher flüchtet sich der Hypochonder und Popelschnipser in Arroganz und Eitelkeit, Immervoll lässt seine Figur immer erkennbarer Hitler werden, ohne ihn je kopieren oder gar parodieren zu wollen: beeindruckend. Die Frauen in dieser Welt sind lieb oder tödlich. Julia Richter als Gretchen, blond, Haarkranz, Dirndl, ist nett, aber auch schnell zu faszinieren: sie mutiert später zur BDM-Marionette. Caroline Hartmann ist Frau Tod, im grauen Kostüm der KZ-Aufseherin, dreckige Lache, Kettenraucherin. Hitler (der Nichtraucher) folgt ihr ohne Zögern, wie ein Automatenmensch. Regisseur Christian Stückl schätzt Tabori, man sieht es. Sehr genau hört er in den Text, Sequenz für Sequenz lotet er diese seltsame Symbiose zwischen Opfer und Täter aus: ernsthaft, differenziert, empathisch. Das nimmt zwar der absurden Grundkonstellation an manchen Stellen den Biss. Aber nicht einem nachdenklichen Abend seine Kraft. Langer Applaus.