Drinnen ist das neue Draußen
Die Ausstellung „Der Komfort-Kuppel-Komplex“erforscht unser Leben hinter Glas
Eine Kuppel scheidet das Drinnen vom Draußen. Was drinnen ist, soll drinnen bleiben, was draußen ist, soll draußen bleiben. Ganz einfach und ziemlich praktisch. Aber in seiner strikten Dualität doch arg eindimensional. Klar, es gibt Dinge, die man schützen muss, damit sie wachsen und überleben können. Utopien zum Beispiel. Oder Grundrechte. Aber wieviel hermetische Abgeschiedenheit ist gut? Und tut gut? Und wem? Wieviel Kontakt zur Außenwelt brauchen Kuppelexistenzen, damit sie überleben können? Das sind so die Fragen, die sich das Kuratorenduo Swantje Grundler und Thomas Mayfried für die Themenausstellung „Der Komfort-Kuppel-Komplex“gestellt haben. Sie berufen sich dabei auf den slowenischen Philosophen Slavoj Žižek, der das Bild einer Kuppel entwarf, in deren Innerem die Gewinner der Globalisierung leben: „Da der Kapitalismus heute keinen äußeren Feind mehr hat, stößt er an seine inneren Grenzen.“Einerseits sitzen wir also bequem und geschützt unter der Kuppel, andererseits sind wir unzufrieden, weil unser Horizont zwar bestenfalls transparent, aber immer begrenzt ist. Und wir uns Sorgen machen. Wie stabil ist diese Kuppel eigentlich? Und wie gerecht? Wer darf rein und wer nicht? Und was passiert eigentlich draußen? Egal – Hauptsache, wir sind drin? Antworten gibt es natürlich keine in dieser fein gedachten Ausstellung, aber viele schlaue Denkanstöße. Zum Beispiel einen auf den ersten Blick ziemlich offensichtlichen: eine Glaskuppel. Sie steht in der Mitte des großen Ausstellungsraums in der Lothringer13_Halle und erinnert an eine Käseglocke. Von der Form her und auch von der Größe. Dass man sofort an Frühstück denken muss, liegt aber vor allem an dem Objekt, das im geschützten Inneren liegt: eine Kaisersemmel. Gerade richtig knusprig, schön goldbraun gebacken – und handbemalt. Es handelt sich um ein Trompel’oeil der alteingesessenen Porzellanmanufaktur Augarten in Wien. Wer genauer hinsieht, wird bemerken, dass diese Fake-Semmel zwar täuschend echt aussieht aber nicht mehr unversehrt ist, sondern bereits aufgeschnitten wurde. Diese Semmel ist eine Dose. Im Museum der Manufaktur gibt es noch eine Porzellansemmel von 1864, deren einzige Funktion es war, großbürgerliche Tafelgäste zu necken. Anlässlich des 100. Todestages von Kaiser Franz Joseph I. (1830 – 1916) wurde die Porzellansemmel neu als Dose auflegt. Für was sie steht? Auf jeden Fall für einen luxuriösen Lebensstil. Feines, weißes Gebäck konnten sich nicht alle und schon gar nicht immer leisten. Und vielleicht war diese Semmel sogar der Grund dafür, dass die französische Revolutionsenergie nicht bis nach Österreich schwappte. Um den hohen Mehlpreisen zu trotzen, forderte die Bäckerinnung 1789 von Kaiser Joseph II. eine freie Preisgestaltung für die Semmel – die er erlaubte. Außerdem ließ er jedes Jahr an seinem Geburtstag am 18. August in allen Städten Kaisersemmeln verteilen. Eine marketingartige Geste, die sehr viel größer aussah, als sie eigentlich war – und womöglich eine Revolution verhindert hat. Immerhin begann die Französische Revolution mit einem Protest der Frauen, die auf die Straße gingen und Brot forderten. Filme des Architekten Yona Friedmann, Konzeptkunst von Fred Forest, Stricknadelskulpturen von Jenni Tischer, eine Tapete, die keine ist, eine „Handshake Training Station“von Mark Henning, mit der man den europäischen Begrüßungshandschlag lernen kann – es gibt viel zu sehen. Und jede Arbeit beschäftigt sich auf ihre Art und Weise mit dem Thema Kuppeldasein. Um alles zu verstehen, muss man die Infos zu den einzelnen Exponaten im Begleitheft lesen. Aber das sollte einen nicht davon abhalten, diese rundherum großartige Ausstellung zu besuchen. Und natürlich der 92-minütige Film „Petit à petit“(1969-71) des französischen Regisseurs Jean Rouch, der in einem kleinen Kino in voller Länge den ganzen Tag durchläuft. Rouch holt zwei Afrikaner in die Kuppel nach Paris, wo sie auf sehr komische Art und Weise die kolonialen Methoden praktizieren. Vertauschte Welten quasi. Drinnen wird Draußen und umgekehrt.
Sehr empfehlenswert: Kuratorenführungen immer sonntags um 17 Uhr (18. Februar und 4./11. März)