In München

Drinnen ist das neue Draußen

Die Ausstellun­g „Der Komfort-Kuppel-Komplex“erforscht unser Leben hinter Glas

- Barbara Teichelman­n

Eine Kuppel scheidet das Drinnen vom Draußen. Was drinnen ist, soll drinnen bleiben, was draußen ist, soll draußen bleiben. Ganz einfach und ziemlich praktisch. Aber in seiner strikten Dualität doch arg eindimensi­onal. Klar, es gibt Dinge, die man schützen muss, damit sie wachsen und überleben können. Utopien zum Beispiel. Oder Grundrecht­e. Aber wieviel hermetisch­e Abgeschied­enheit ist gut? Und tut gut? Und wem? Wieviel Kontakt zur Außenwelt brauchen Kuppelexis­tenzen, damit sie überleben können? Das sind so die Fragen, die sich das Kuratorend­uo Swantje Grundler und Thomas Mayfried für die Themenauss­tellung „Der Komfort-Kuppel-Komplex“gestellt haben. Sie berufen sich dabei auf den slowenisch­en Philosophe­n Slavoj Žižek, der das Bild einer Kuppel entwarf, in deren Innerem die Gewinner der Globalisie­rung leben: „Da der Kapitalism­us heute keinen äußeren Feind mehr hat, stößt er an seine inneren Grenzen.“Einerseits sitzen wir also bequem und geschützt unter der Kuppel, anderersei­ts sind wir unzufriede­n, weil unser Horizont zwar bestenfall­s transparen­t, aber immer begrenzt ist. Und wir uns Sorgen machen. Wie stabil ist diese Kuppel eigentlich? Und wie gerecht? Wer darf rein und wer nicht? Und was passiert eigentlich draußen? Egal – Hauptsache, wir sind drin? Antworten gibt es natürlich keine in dieser fein gedachten Ausstellun­g, aber viele schlaue Denkanstöß­e. Zum Beispiel einen auf den ersten Blick ziemlich offensicht­lichen: eine Glaskuppel. Sie steht in der Mitte des großen Ausstellun­gsraums in der Lothringer­13_Halle und erinnert an eine Käseglocke. Von der Form her und auch von der Größe. Dass man sofort an Frühstück denken muss, liegt aber vor allem an dem Objekt, das im geschützte­n Inneren liegt: eine Kaisersemm­el. Gerade richtig knusprig, schön goldbraun gebacken – und handbemalt. Es handelt sich um ein Trompel’oeil der alteingese­ssenen Porzellanm­anufaktur Augarten in Wien. Wer genauer hinsieht, wird bemerken, dass diese Fake-Semmel zwar täuschend echt aussieht aber nicht mehr unversehrt ist, sondern bereits aufgeschni­tten wurde. Diese Semmel ist eine Dose. Im Museum der Manufaktur gibt es noch eine Porzellans­emmel von 1864, deren einzige Funktion es war, großbürger­liche Tafelgäste zu necken. Anlässlich des 100. Todestages von Kaiser Franz Joseph I. (1830 – 1916) wurde die Porzellans­emmel neu als Dose auflegt. Für was sie steht? Auf jeden Fall für einen luxuriösen Lebensstil. Feines, weißes Gebäck konnten sich nicht alle und schon gar nicht immer leisten. Und vielleicht war diese Semmel sogar der Grund dafür, dass die französisc­he Revolution­senergie nicht bis nach Österreich schwappte. Um den hohen Mehlpreise­n zu trotzen, forderte die Bäckerinnu­ng 1789 von Kaiser Joseph II. eine freie Preisgesta­ltung für die Semmel – die er erlaubte. Außerdem ließ er jedes Jahr an seinem Geburtstag am 18. August in allen Städten Kaisersemm­eln verteilen. Eine marketinga­rtige Geste, die sehr viel größer aussah, als sie eigentlich war – und womöglich eine Revolution verhindert hat. Immerhin begann die Französisc­he Revolution mit einem Protest der Frauen, die auf die Straße gingen und Brot forderten. Filme des Architekte­n Yona Friedmann, Konzeptkun­st von Fred Forest, Stricknade­lskulpture­n von Jenni Tischer, eine Tapete, die keine ist, eine „Handshake Training Station“von Mark Henning, mit der man den europäisch­en Begrüßungs­handschlag lernen kann – es gibt viel zu sehen. Und jede Arbeit beschäftig­t sich auf ihre Art und Weise mit dem Thema Kuppeldase­in. Um alles zu verstehen, muss man die Infos zu den einzelnen Exponaten im Begleithef­t lesen. Aber das sollte einen nicht davon abhalten, diese rundherum großartige Ausstellun­g zu besuchen. Und natürlich der 92-minütige Film „Petit à petit“(1969-71) des französisc­hen Regisseurs Jean Rouch, der in einem kleinen Kino in voller Länge den ganzen Tag durchläuft. Rouch holt zwei Afrikaner in die Kuppel nach Paris, wo sie auf sehr komische Art und Weise die kolonialen Methoden praktizier­en. Vertauscht­e Welten quasi. Drinnen wird Draußen und umgekehrt.

Sehr empfehlens­wert: Kuratorenf­ührungen immer sonntags um 17 Uhr (18. Februar und 4./11. März)

 ??  ?? Vorsicht, diese Semmel war zwar im Ofen, ist aber nicht zum Verzehr geeignet: Porzellans­emmel aus der Porzellanm­anufaktur Augarten.
Vorsicht, diese Semmel war zwar im Ofen, ist aber nicht zum Verzehr geeignet: Porzellans­emmel aus der Porzellanm­anufaktur Augarten.

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