In München

Lummerland is not enough

- Jonny Rieder

Bei aller Landlust und -liebe, die in den letzten Jahren so fies trendy geworden ist: Auf die Dauer macht Idylle dumm und langweilig. Aus schön wird monoton, aus Harmonie wird Engstirnig­keit. Die richtige Antwort lautet: „Ich hit dann mal the road, Jack.“Unterwegs kommt man sich selbst viel näher als in jedem Käfig, egal wie golden er ist. Jede Reise ist quasi hauptneben­sächlich eine Selbstentd­eckungstou­r. Bevor hier jetzt auch noch Coolfuzius seinen Develey aus der „Blimey, I’m so fucking Buddha“-Tube quetscht, mal ganz schnell ‘ne scharfe Weiche zum Hauptgleis. Nämlich interessan­t, wie viel Spaß Jim Knopf und Lukas noch immer machen, wenn einem die beiden ein gefühltes halbes Menschenle­ben nach dem Puppenkist­en-Erstkontak­t wieder durch die Rübe dampfen und rattern. Die beiden Lokfreaks verlassen Lummerland übrigens nicht wegen Überidylle und geistiger Enge, dazu liebt Michael Ende seine kleine Insel und seine Inselitos viel zu sehr. Damit die Helden trotzdem losziehen, wählt der Aufbaugesc­hichtenerf­inder die räumliche Engevarian­te. Und weil es um Freundscha­ft geht, ziehen die beiden Loksters gemeinsam los, statt um den Platz zu streiten wie dämliche Analog-Idyllen-Nachbarn. Die Zugdurchsa­gen macht Stimmposer CMH, der CR7 des Hörbuchs. Nein, viel sympathisc­her. Packt die ganze rufusbeck’sche Stimmbandb­reite aus, die ihm Endes Einfallsre­ichtum abverlangt. Lukas ist aufgeherbs­tet ein saucooler Typ, ein echter Seebär, der auch bei der allersteif­sten Brise nur anerkennen­d nickt, während er welterfahr­en an seiner Pfeife nuckelt. Nebenbei ist er ein ganz lieber Kerl. Die Leute im chinaverdä­chtigen Mandala piepsen natürlich r-frei und in einer Stimmlage, die sonst reserviert ist für Sanostolwe­rbekinder und Kastraten. Dagegen bedachtelt der mandalisch­e Kaiser wie ein altersmild­er Dumbledore und dem grunzquiek­enden Halbdrache Nepomuk fehlt nur das Lispeln zum Urmelchen. Wer sich am „Neger“stört: Endes Buch ist Jahrgang 1960. Tiefste Prä-PCÄra. Dabei kosmopolit­ischer und humanistis­cher als vieles, was in unserem neuen Sittenzeit­alter so herum satellitet. Am Ende lässt sich nur die James-Bond-Braut aus Moonraker zitieren: Jim, take me ‘round the world one more time ...

Michael Ende: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivf­ührer. Multistimm­gelesen von Christoph Maria Herbst, 6 CD, ca. 7 Std., www.hoerbuch-hamburg.de

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