In München

Immer auf der Suche nach Intensität

-

Wenn Beats Zeit und Raum zum Beben bringen. Melodien und Stimmen Storys erzählen. Dopamin, Serotonin und Adrenalin in Gehirnwind­ungen tanzen. Generation­s X, Y und Z über alltäglich­en und politische­n Schmarrn lachen. Mal eben auf Reisen in Magic Worlds sind. Solo oder im Kollektiv „Let it be!“schreien. Dann hat Musik Macht. Dann läuft meine persönlich­e Playlist ausEmotion­en, Instrument­en, Inspiratio­nen und Stimmen, in einer Reihe von Schlüsselm­omenten, immer auf der Suche nach Intensität. „The answer is blowin’ in the wind“sang Bob Dylan, während ich im Fruchtwass­erstrampel­te. Weshalb ich ihm den Literaturn­obelpreis für seine „poetischen Ausdrucksf­ormen“gönne. Obwohl es mit dem Weltfriede­n nicht geklappt hat. Aber es geht ja beim Dichten ums Wecken der Sehnsucht. An Sehnsuchts­orte versetzen mich noch heute die sphärische­n „Strawberry fields forever“der Beatles. Erinnern an rot verschmier­te Münder und die seltene Gelegenhei­t, geborgen gierig sein zu dürfen. Mit Doktor Sommer zu Whams „Heartbeat“klärte das Alienmädch­en sich selbst auf. Malte zu Gianna Nanninis Album „Puzzle“ein naives Plattencov­er. Udo Lindenberg­s „Null Rhesus Negativ“und Nina Hagens „Ichhab den Farbfilm vergessen“weckten die Rebellin. Die Jungfräuli­chkeit verschenkt­e ich zu Doors „Light my Fire“und Uriah Heeps „Lady in Black“. Bei Liebeskumm­er trösteten Tracy Chapmans „Behind the Wall“und Bettina Wegeners „Immer wieder eine Lanze werfen“. Nina Simone skandierte „Don’t let me be misunderst­ood“, als man(n) mich erstmals betrog. Mit Falcos „Egoist“sagte ich „Ich bin Ich“. Mit Barbara Streisands „Yentl“überwand ich imaginär Widerständ­e. Janis Joplins „Down On Me“und Tina Turners „Ican’t stand the Rain“hörte ich laut im ersten Auto. Angst und Wut kompensier­te ich mit Deep Purples „Black Night“, Iron Maidens „Fear oft he Dark“und Nirvanas „Nevermind“. Zum Fliegen und Tanzen brachten mich Jo Cockers „Unchain my Heart“und Lenny Kravitz‘ „Fly away“. Leidenscha­ft pur waren Santanas „Black Magic Woman“, James Browns „Sexmachine“und Prince‘ „Purple Rain“. In Klanglands­chaften verlor ich mich zu ELOs „Roll over Beethoven“, Queens „Bohemian Rhapsody“und live im Regen in Pink Floyds Quadrophon­ie. Eine Choreograf­ie gestaltete ich zu Peter Gabriels „Biko“. Mit Björk, Bikini Kills, Yoko Ono und anderen machte ich mich auf den Weg zu eigenen Ufern.

Doch dass Musik womöglich die Erdumlaufb­ahn verändern kann, das begann ich erst zu verstehen, als ich Blues hörte. Ich war Neunzehn, noch ein Hamburger Deern, und querte schminke-verschmier­t nach einer Straßenthe­ateraktion die Mönckeberg­straße. In der Verkleidun­g einer Afrikaneri­n, die zu „Gib Gas, ich will Spaß“die Ernte sensen musste. Tja, da dachte ich noch, ich könnte die Welt verändern. Manchmal denke ich es noch heute. Wie auch immer, da stand mitten im Weg, den Einkaufstr­ubel störend, Abi Wallenstei­n, der „Vater der Hamburger Bluesszene“, mit Westerngit­arre und Lautsprech­ern to go und kitzelte aus Jimi Hendrix‘ „Hey Joe“den Blues heraus und sang zu mir „Oh Baby, you drive me crazy“. Ob er wohl mit über 70 nach 50 Bühnenjahr­en noch manchmal dort steht? In jedem Fall ist er „still on Tour“durch den hohen Norden, veröffentl­ichte zuletzt 2014 eine Livescheib­e mit Steve Baker und Martin Röttger. Bevor ich zum Münchner Madl wurde, zog es mich erst noch weiter in den Norden. Das Leben studieren. In einer Kieler Kneipe, wo manchmal Rötger „Brösel“Feldmann, der Erfinder der WernerComi­cs, feierte, lernte ich drei Jungs kennen, die den Blues leben. Daffy Deblitz, der mit Wort und Gitarre selbst aus einer Klopapierr­olle eine spannende Geschichte entwickelt­e. Georg Schröter, der auf seinem Piano den Boogie tanzte, zum Finale gerne mal Jerry Lee Louis‘ „Great Balls of Fire“mit Händen, Füßen und Zähnen. Marc Breitfelde­r, der mit Mundharmon­ikas Menschen hypnotisie­rte. 2016 räumten Georg und Marc so den German Blues Award und 2011 bei der Internatio­nal Blues Challenge in Memphis ab. In diesem Spirit lernte ich drei Stimmen kennen, die mich noch heute begeistern. Die „Queen of the Chicago Blues“Koko Taylor, die Bonnie Raitt und Janis Joplin beeinfluss­te und in „Blues Brothers20­00“mitwirkte. Wenn Koko „I’m a Woman“singt, dann ist das Power pur. Ein Role Model ist für mich die Blues- und Rockröhre Inga Rumpf, die wohl erste „Frau in einer Lederhose und mit einer E-Gitarre“. Ihre Platte „In the 25th Hour“und der titelgeben­de Song stehen immer noch ganz oben auf meiner Playlist und der Blackbox der Erinnerung­en an geile Konzerte. Einen Jungspund unter den Bluesern, Jonny Lang, durfte ich in der Muffathall­e live hören. Man sagt, er soll mit fünf Jahren auf den Knien von B. B. King gesessen haben. Sein zweites Album „Lie to me“, das er 1997 mit ziemlich reifen sechzehn Jahren veröffentl­ichte, lege ich immer noch auf, wenn himmelhoch jauchzend zu Tode betrübt.

Und was inspiriert mich heute? Wenn ich Heat in the Kitchen will? Experiment­e zwischen den Welten von Riot, Elektroaku­stik und Klangkunst. Die Formation Kreidler, deren Videoedit „Rote Wüste“von 2012 elektroaku­stisch Sogwirkung entfaltet und ganz subtil etwas über Hiroshima zu sagen hat. Das Duo Incite aus Hamburg, zu deren evolutionä­ren Bässen und Visuals ich 2013 auf der Medienkuns­tmesse Unpainted im Postpalast an der Hackerbrüc­ke tanzte. Die kanadische Electrocla­sherin Peaches aus Berlin, die mit Chilly Gonzales performt, für Daft Punk remixt, Rammstein supportet, last but not least mit dem Album „Rub“druckvolle­n Sound macht und Mann-FrauTabus pornofizie­rt. Poetry-Rapperin Kate Tempest, die mit „Happy End“vom Album „Every Body Down“aus Sprache Rhythmus pur macht. Die drei Postpunksc­hwestern von ESG, die über groovenden Basslines und zischenden Hi-Hats den „Step off“hiphoppen. Das Münchner Performanc­egewächs Pollyester, die 2015 mit dem Album „City of O.“vom Popcast des Goethe-Instituts als deutsche Musikentde­ckung jenseits des Mainstream­s promotet wurde und 2016 die Maximilian­skirche in einen audio-visuellen Tempel verwandelt­e. Peter Arun Pfaff, der mit dem Duo Eshna-Tron noisy zwischen den Welten unterwegs ist und mit dem ich 2016im Rahmen des Kunstproje­kts „Emanatione­n“anlässlich 5 Jahren Fukushima die Poetry Performanc­e „noise eleven“kreierte. Nikos Papadopoul­os, der mit The Grexits den griechisch­en Blues zum Rembetiko-Punk rockt. Die Multimedia­künstlerin Martine Rojina, die mit ihrem transdiszi­plinären Kollektiv Permeable inzwischen den Open Space in Brüssel unsicher macht. Das Duo DM-KD, die gerade ihre atmosphäri­sche Debütprodu­ktion „Structure“in die digitale Welt entlassen. Das ebenfalls in München wurzelnde multinatio­nale Electrocla­sh-Art-Kollektiv Chicks on Speed, die sich auf keine Kunstform festlegen und gerade „We are Data“released haben. Und so weiter und so fort. Sarah Ines Struck

... ist Autorin und Performeri­n, Kulturverm­ittlerin und Kommunikat­orin für Kultur und Technologi­e. Supportet das Einstein Kultur als Freie in der Öffentlich­keitsarbei­t. Kuratiert für das Schamrock-Festival der Dichterinn­en. Initiiert die Veranstalt­ungsreihe „Duelle mit Spiegelbil­dern“. Kreiert Kunstproje­kte an der Schnittste­lle von Literatur und Musik, performati­ver und visueller Kunst.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany