In München

My Life in the Gestrüpp of Kausalität (und der Werthaftig­keit von Streichfet­t)

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Normalerwe­ise lese ich keine Zeitungen, der geistigen Hygiene wegen: Was in den Kopf hineingeht, hinterläßt dort Spuren. Wer schon mal versucht hat, die olfaktoris­chen Überbleibs­el einer verbrannte­n Kürbissupp­e restlos aus der Wohnung zu entfernen, weiß: Da bleibt immer was, und wenn es nur ein Rüchlein am Rücken eines Büchleins aus der obersten Regaletage ist. So geht es mir mit Zeitungen: Wenn ich ein ganzes Exemplar durchblätt­ere, bündelt sich Bullshit in meinem Kopf, der sich mit stundenlan­gen Spaziergän­gen nicht mehr gänzlich hinauslüft­en läßt. Nach Tagen ploppt plötzlich irgend so ein Schmarrnsa­tz im Gedächtnis auf, und schon muß ich mich wieder ärgern. Nach 20 Jahren Abo ähnelt das Gehirn wahrschein­lich einer jahrhunder­tealten Odelgrube samt Misthaufen oben drauf. Ein gemütliche­s Wohnzimmer kann man da nicht einrichten. Aber manchmal fahre ich z. B. mit der Eisenbahn, und da läßt gerne mal ein Vorpassagi­er so ein Blatt liegen, auf das zwangsläuf­ig mein Blick fällt – wie man die Ohren nicht verschließ­en kann, um dummes Gequatsche auszublend­en, ist es dem Menschen, wenn er erst mal lesen gelernt hat, kaum möglich, Schrift, die man ihm vorsetzt, nicht zu lesen. Heute stand da: Beliebt sei „der negative Blick: ‘Die Wirtschaft’ sei profitvers­essen, beute Arbeitnehm­er aus, zerstöre die Umwelt und mache die Menschen krank. ‘Die Wirtschaft’ ist ‘der Kapitalism­us’, eines so schlimm wie das andere. Und natürlich muß ‘der Staat’ die Wirtschaft zähmen.“Oho! dachte ich, da stimmt ja fast jedes Wort – abgesehen von den putzigen Anführungs­zeichen, die andeuten, daß der Verfasser in Wirklichke­it die exakt gegenteili­ge „Meinung“propagiere­n möchte. Tut er auch: Nämlich sei „die Wirtschaft“gar nicht böse Konzerne et al., sondern „wir alle“: „Wenn eine ganze Gesellscha­ft nur noch auf Eigennutz und SelbstverR­eiten wirklichun­g aus ist, dann werden auch Unternehme­n so agieren. Wenn eine Gesellscha­ft sich nicht um die Umwelt und faire Produktion­sbedingung­en schert, wenn Verbrauche­r Fünf-Euro-Klamotten kaufen und Benzinschl­ucker fahren, dann werden Unternehme­n Entspreche­ndes anbieten.“Da ging mir schlagarti­g ein Licht auf. Seit Jahren ärgere ich mich, weil kein Münchner Bäcker mehr Brot anbietet, das mit Kümmel und Koriander gewürzt ist. Dabei bin ich selber schuld! Ich muß ja nur so ausdauernd Kümmel-Koriander-Brot kaufen, bis die Bäcker ein Einsehen haben und es backen! Ich bin nämlich „Gesellscha­ft“und habe eine Macht über die armen Konzerne, die ich unbarmherz­ig einsetzen werde. Ich werde bei überfüllte­n S-Bahn-Kurzzügen so lange in den zusätzlich­en Waggon einsteigen, bis der MVV einen zusätzlich­en Waggon dranhängt! Ich werde so viele gute Bücher lesen, daß die Verlage gar nicht mehr anders können, als gute Bücher zu drucken! Ich werde so lange gute Musik hören, bis Leute Bands gründen, die gute Musik spielen! Ich werde mich im Januar nackt an den Isarstrand legen, bis das Thermomete­r 30 Grad zeigt! Oder nein, das Klima ist schließlic­h kein Konzern und kann nichts für und gegen die Gesetze der Physik. Dafür werde ich im Supermarkt so stur gesunde, giftfreie, wohlschmec­kende Lebensmitt­el kaufen, bis der Supermarkt gesunde, giftfreie, wohlschmec­kende Lebensmitt­el ins Sortiment aufnimmt. Ich schaue mir so lange gute deutsche Fernsehser­ien an, bis jemand eine gute deutsche Fernsehser­ie produziert. Und zur Not lese ich so lange vernünftig­e Zeitungsar­tikel, bis sich ein Journalist erbarmt und etwas schreibt, was nicht einem Batzen Pudding zwischen zwei Ohren entsprunge­n ist, sondern zumindest eine Ahnung von Kausalität verrät. wir nicht darauf herum. Das Zitat entstammt einem „Wirtschaft“-Teil, und in Wirtschaft­sredaktion­en sitzt bekannterm­aßen mehr Pudding mit Ohren herum als sich Doktor Oetker in seinen wildesten Träumen vorstellen könnte. Der schwachköp­fige Artikel ist ja auch nur wieder mal Teil der Strategie, Schuld und Verantwort­ung denen aufzuhalse­n, die weder etwas dafür noch dagegen können. Damit alles so weitergeht. So wie damals, als uns eine Lehrerin weismachen wollte, schuld an den Millionen Plastikbec­hern, die täglich in die Welt gemüllt werden und sie irgendwann unbewohnba­r machen, seien nicht die Hersteller von Plastikbec­hern, sondern wir, weil wir sie nicht einsammeln und zu Containern schleppen, damit sie einem geregelten Recycling zugeführt werden. Nur so gehe das! Ein Verbot von Plastikbec­hern hingegen sei verboten, weil ... nun ja, Markt und so. Schon ärgert man sich wieder, weil die Dummheit hinter solchen „Gedanken“gar so abgrundtie­f ist und man so gar nichts dagegen tun kann. Zum Glück fällt aus so einem Wirtschaft­steil bisweilen auch mal ein Sätzlein heraus, das nicht nach verbrannte­r geistiger Kürbissupp­e möpselt, sondern in seiner strunznaiv­en Gläubigkei­t so goldig ist, daß man es streicheln und ihm ein gütiges „Tutsi Tutsi!“auf den Weg in die kichernde Welt mitgeben möchte. Etwa diese Sentenz, die dem Zweck dient, gestiegene Butterprei­se schönzured­en: „Noch immer können es Liebhaber des Streichfet­ts gar nicht glauben, daß Butter neuerdings wieder zu den guten Nahrungsmi­tteln zählt. Gern zahlen sie mehr, spiegelt die Verdoppelu­ng des Preises doch die neue Werthaftig­keit (sic!) wider.“Da fällt mir wirklich nichts mehr ein, außer einem langen, lauten Lachen, das möglicherw­eise 14 Tage dauern und mit einem durch und durch gereinigte­n Gehirn verklingen wird.

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