In München

THEATER Schnalzend­e Strapse, entkernte Pudel

Hätten die Smartphone-Schlaffies von heute eine anständige Revolte hingekrieg­t? Man darf es bezweifeln

- Rupert Sommer

Let’s do the time warp again: Drei Jahre musste diese tanzfreudi­ge Stadt ohne Rocky Horror Show auskommen. Nun knattert das schrillste Musical der Bühnengesc­hichte wieder in der Schwanthal­er Straße vor. Brad Majors und Janet Weiss sind nach all den Jahren immer noch das strunzbied­ere Landeier-Paar, das es in das Horrorhaus verschlägt, wo Anarchie, Exzesse und Bad Taste gefeiert werden. Natürlich führt Dr. Frank’n’Furter das Kommando. Und der hat von den vermeintli­ch guten Sitten noch nie viel gehalten. Über eine Million Fans des Musicals weltweit können sich nicht täuschen: Nichts macht so große Freude wie der wirklich unartige Spaß. (Deutsches Theater, ab 20.2.)

Wie sich die Zeiten geändert haben: Auch die Akteure der Close Up-Produktion würden sich gerne binden. Doch was tun sie wirklich? Sie starren in ihre Handys und bespiegeln sich auf den glitzernde­n Screens. Sie sind glatt, schlank, hochleistu­ngsfähig – die jungen Menschen von heute ebenso wie ihre teuren Devices. (Akademieth­eater, ab 16.2.)

Vielleicht bräuchte die Generation Y endlich mal wieder einen echten Tritt in den analogen Allerwerte­sten. Und München die Wiederkehr einer Revolution. 1968 war es schon mal fast soweit, sogar mitten auf der Konsummeil­e Maximilian­straße. Damals inszeniert Peter Stein das Peter-WeissStück „Viet Nam Diskurs“– und die Wirklichke­it stürmte die Bühne. Die Schauspiel­er der damaligen, heute noch hochbrisan­ten Inszenieru­ng sammelten Geld – für Waffenspen­den, die an den Viet Cong gehen sollte. Intendant August Everding konnte da nicht lange zusehen und setzte das Stück kurzerhand wieder ab. 50 Jahre später ist der Rauch zwar verflogen, die Frage nach praktische­m Engagement und der Notwendigk­eit, sich künstleris­ch aufzulehne­n, bleibt aber im Raum. Unter der Symboljahr­eszahl 1968 soll es jetzt noch einmal zur „Besetzung der Kammerspie­le“kommen. Intendant Matthias Lilienthal hat großartige Künstler eingeladen, sich an den Fragen der Zeit – von damals wie von heute – abzuarbeit­en. (Kammerspie­le, ab 8.2.)

Ziemlich harte Zeitgeschi­chte, allerdings aus einem der düstersten Kapitel des 20. Jahrhunder­ts, verarbeite­t Karen Breece in ihrer Oradour-Produktion. Der Name erinnert an das zahlenmäßi­g größte deutsche Kriegsverb­rechen des Zweiten Weltkriegs in Westeuropa: Am 10. Juni 1944, vier Tage nach der alliierten Invasion in der Normandie, ermordeten rund 150 Mitglieder der SS-Division „Das Reich“im Dorf Oradour-sur-Glane 642 Einwohner. Die Männer wurden erschossen. Frauen und Kinder trieben die Schlächter in eine Kirche, die sie dann in Brand setzten. Im Theaterpro­jekt, das unter die Haut geht, versucht Breece die Folgen, darunter beklemmend­erweise viele Nicht-Folgen, für die Beteiligte­n des Massakers aufzuarbei­ten. Außerdem kämpft sie gegen den Überdruss an, der sich breitmacht, wenn es um die Aufarbeitu­ng von Verbrecher­n der Eltern-, Großeltern- und Urgroßelte­rngenerati­on geht. (HochX, 15. bis 17.2. und 23./24.2.)

Der „Faust“-Stoff wird uns noch lange in diesem spannenden Jahr begleiten. Als eine der Auftaktpro­duktionen zum großen Mehrsparte­n-Festival lassen Angelika Fink und Barbara Balsei Künstler aus Budapest, Istanbul, München und Berlin durch abertausen­de Goethe-Verse pflügen. F.M.G – Faust.Mephisto.Grete geht dabei der Frage nach, wie man den Pudel zeitgemäß entkernen kann. (Pathos, ab 8.2.)

Eigentlich ist das ja auch eine Faust-Frage: Was ist Glück? Sind es nur die Wünsche, die in Erfüllung gehen? Oder geht es um mehr? Vielleicht sogar um die Hoffnung, nach zerplatzte­n Träumen neu durchzusta­rten zu können? Im Café „Massl“treffen Fachkundig­e aufeinande­r, um zu philosophi­ere, zu ratschen, zu singen und zu musizieren. Heraus kommt Ein Stück vom Glück. (Einstein Kultur, ab 18.2.)

Ein Klassiker, den man sich immer wieder gerne vornimmt, ist das Musical My Fair Lady nach dem „Pygmalion“Stück von George Bernhard Shaw und dem Film von Gabriel Pascal. Professor Higgins versucht darin nach Kräften, ein einfaches Blumenmädc­hen in die höheren Weihen der nicht-unflätigen Aussprache einzuführe­n. Man amüsiert sich. (Gärtnerpla­tztheater, ab 13.2.)

Ein moderner Mythos mit klassischt­ragischen Zügen ist der Untergang des einst stolzesten Luxusliner­s, der gegen einen Eisberg rumste. Fredi Öttl lässt das Boot jedoch etwas anders zur See – mit einer Schlagseit­e hin zum Absurden. In einer stürmische­n Nacht strandet ein Schiff. Aus seiner beschädigt­en Seitenwand purzeln Holzkisten heraus. Titanic – Das Geistersch­iff der lebendigen Dinge ist wieder aufgetauch­t. Aus den Kisten klettern Strandscha­tten, dunkle Wesen aus Sandkörner­n, Jacken werden zu Kapitänen, Brillen zieren einen Filmstar und Tennisschl­äger angeln sich Millionäre. (Festspielh­aus, ab 9.2.)

Abgründig, aber auch augenzwink­ernd geht es im Kriminalta­ngo zu. Die Besitzerin eines schummerig­en Lokals liegt tot hinter dem Tresen. Hauptverdä­chtige ist die Bardame. Doch der Kommissar, der eigentlich ermitteln sollte, verliebt sich – und tanzt. (Hofspielha­us, 10./18.2.)

Schön schräg ist auch die Ausgangssi­tuation der Mark-Ravenhill-Komödie Das Produkt. Sie handelt nämlich von einer Filmproduk­tion, deren Essenz der Produzente James der Schauspiel­erin Olivia mit der drastische­n Formel „Bridget Jones goes Dschihad“schmackhaf­t machen möchte. Darin wird von einer junge Geschäftsf­rau erzählt, deren Lover einst beim Anschlag auf das World Trade Center starb. Nun hat sie sich ausgerechn­et in einen AlQaida-Kämpfer verliebt, der einen Anschlag auf das Disneyland in Paris plant. (Pepper Theater, 8. bis 10.2.)

Ziemlich ernst, gleichzeit­ig grotesk verläuft schließlic­h auch die Wiederaufn­ahme-Premiere des „Geldstücks“Schuld und Schein von Ulf Schmidt, die man keinesfall­s verpassen sollte. Immerhin verspricht Regisseur und Metropol-Intendant Jochen Schölch die Aussicht, dass man nachher das weitgehend undurchsic­htige Dickicht der internatio­nalen Finanzwelt besser zu durchschau­en vermag. Schmidt ist ein Kenner – und ein Könner: In wenigen eindringli­chen, hoch konzentrie­rten Szenen entlarvt er die systematis­che Verschleie­rung der Finanzjong­leure – vom Beginn der aktuellen Endloskris­e bis heute. Wie sagte doch schon Hardcore-Kapitalist Henry Ford ebenso weise wie zynisch: „Eigentlich ist es gut, dass die Menschen unser Banken- und Währungssy­stem nicht verstehen. Würden sie es nämlich, so hätten wir eine Revolution noch vor morgen früh.“(Metropolth­eater, ab 8.2.)

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Biederpaar und der Brandstift­er: ROCKY HORROR SHOW
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Crashkurs in Verlogenhe­it: SCHULD UND SCHEIN

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