THEATER Schnalzende Strapse, entkernte Pudel
Hätten die Smartphone-Schlaffies von heute eine anständige Revolte hingekriegt? Man darf es bezweifeln
Let’s do the time warp again: Drei Jahre musste diese tanzfreudige Stadt ohne Rocky Horror Show auskommen. Nun knattert das schrillste Musical der Bühnengeschichte wieder in der Schwanthaler Straße vor. Brad Majors und Janet Weiss sind nach all den Jahren immer noch das strunzbiedere Landeier-Paar, das es in das Horrorhaus verschlägt, wo Anarchie, Exzesse und Bad Taste gefeiert werden. Natürlich führt Dr. Frank’n’Furter das Kommando. Und der hat von den vermeintlich guten Sitten noch nie viel gehalten. Über eine Million Fans des Musicals weltweit können sich nicht täuschen: Nichts macht so große Freude wie der wirklich unartige Spaß. (Deutsches Theater, ab 20.2.)
Wie sich die Zeiten geändert haben: Auch die Akteure der Close Up-Produktion würden sich gerne binden. Doch was tun sie wirklich? Sie starren in ihre Handys und bespiegeln sich auf den glitzernden Screens. Sie sind glatt, schlank, hochleistungsfähig – die jungen Menschen von heute ebenso wie ihre teuren Devices. (Akademietheater, ab 16.2.)
Vielleicht bräuchte die Generation Y endlich mal wieder einen echten Tritt in den analogen Allerwertesten. Und München die Wiederkehr einer Revolution. 1968 war es schon mal fast soweit, sogar mitten auf der Konsummeile Maximilianstraße. Damals inszeniert Peter Stein das Peter-WeissStück „Viet Nam Diskurs“– und die Wirklichkeit stürmte die Bühne. Die Schauspieler der damaligen, heute noch hochbrisanten Inszenierung sammelten Geld – für Waffenspenden, die an den Viet Cong gehen sollte. Intendant August Everding konnte da nicht lange zusehen und setzte das Stück kurzerhand wieder ab. 50 Jahre später ist der Rauch zwar verflogen, die Frage nach praktischem Engagement und der Notwendigkeit, sich künstlerisch aufzulehnen, bleibt aber im Raum. Unter der Symboljahreszahl 1968 soll es jetzt noch einmal zur „Besetzung der Kammerspiele“kommen. Intendant Matthias Lilienthal hat großartige Künstler eingeladen, sich an den Fragen der Zeit – von damals wie von heute – abzuarbeiten. (Kammerspiele, ab 8.2.)
Ziemlich harte Zeitgeschichte, allerdings aus einem der düstersten Kapitel des 20. Jahrhunderts, verarbeitet Karen Breece in ihrer Oradour-Produktion. Der Name erinnert an das zahlenmäßig größte deutsche Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkriegs in Westeuropa: Am 10. Juni 1944, vier Tage nach der alliierten Invasion in der Normandie, ermordeten rund 150 Mitglieder der SS-Division „Das Reich“im Dorf Oradour-sur-Glane 642 Einwohner. Die Männer wurden erschossen. Frauen und Kinder trieben die Schlächter in eine Kirche, die sie dann in Brand setzten. Im Theaterprojekt, das unter die Haut geht, versucht Breece die Folgen, darunter beklemmenderweise viele Nicht-Folgen, für die Beteiligten des Massakers aufzuarbeiten. Außerdem kämpft sie gegen den Überdruss an, der sich breitmacht, wenn es um die Aufarbeitung von Verbrechern der Eltern-, Großeltern- und Urgroßelterngeneration geht. (HochX, 15. bis 17.2. und 23./24.2.)
Der „Faust“-Stoff wird uns noch lange in diesem spannenden Jahr begleiten. Als eine der Auftaktproduktionen zum großen Mehrsparten-Festival lassen Angelika Fink und Barbara Balsei Künstler aus Budapest, Istanbul, München und Berlin durch abertausende Goethe-Verse pflügen. F.M.G – Faust.Mephisto.Grete geht dabei der Frage nach, wie man den Pudel zeitgemäß entkernen kann. (Pathos, ab 8.2.)
Eigentlich ist das ja auch eine Faust-Frage: Was ist Glück? Sind es nur die Wünsche, die in Erfüllung gehen? Oder geht es um mehr? Vielleicht sogar um die Hoffnung, nach zerplatzten Träumen neu durchzustarten zu können? Im Café „Massl“treffen Fachkundige aufeinander, um zu philosophiere, zu ratschen, zu singen und zu musizieren. Heraus kommt Ein Stück vom Glück. (Einstein Kultur, ab 18.2.)
Ein Klassiker, den man sich immer wieder gerne vornimmt, ist das Musical My Fair Lady nach dem „Pygmalion“Stück von George Bernhard Shaw und dem Film von Gabriel Pascal. Professor Higgins versucht darin nach Kräften, ein einfaches Blumenmädchen in die höheren Weihen der nicht-unflätigen Aussprache einzuführen. Man amüsiert sich. (Gärtnerplatztheater, ab 13.2.)
Ein moderner Mythos mit klassischtragischen Zügen ist der Untergang des einst stolzesten Luxusliners, der gegen einen Eisberg rumste. Fredi Öttl lässt das Boot jedoch etwas anders zur See – mit einer Schlagseite hin zum Absurden. In einer stürmischen Nacht strandet ein Schiff. Aus seiner beschädigten Seitenwand purzeln Holzkisten heraus. Titanic – Das Geisterschiff der lebendigen Dinge ist wieder aufgetaucht. Aus den Kisten klettern Strandschatten, dunkle Wesen aus Sandkörnern, Jacken werden zu Kapitänen, Brillen zieren einen Filmstar und Tennisschläger angeln sich Millionäre. (Festspielhaus, ab 9.2.)
Abgründig, aber auch augenzwinkernd geht es im Kriminaltango zu. Die Besitzerin eines schummerigen Lokals liegt tot hinter dem Tresen. Hauptverdächtige ist die Bardame. Doch der Kommissar, der eigentlich ermitteln sollte, verliebt sich – und tanzt. (Hofspielhaus, 10./18.2.)
Schön schräg ist auch die Ausgangssituation der Mark-Ravenhill-Komödie Das Produkt. Sie handelt nämlich von einer Filmproduktion, deren Essenz der Produzente James der Schauspielerin Olivia mit der drastischen Formel „Bridget Jones goes Dschihad“schmackhaft machen möchte. Darin wird von einer junge Geschäftsfrau erzählt, deren Lover einst beim Anschlag auf das World Trade Center starb. Nun hat sie sich ausgerechnet in einen AlQaida-Kämpfer verliebt, der einen Anschlag auf das Disneyland in Paris plant. (Pepper Theater, 8. bis 10.2.)
Ziemlich ernst, gleichzeitig grotesk verläuft schließlich auch die Wiederaufnahme-Premiere des „Geldstücks“Schuld und Schein von Ulf Schmidt, die man keinesfalls verpassen sollte. Immerhin verspricht Regisseur und Metropol-Intendant Jochen Schölch die Aussicht, dass man nachher das weitgehend undurchsichtige Dickicht der internationalen Finanzwelt besser zu durchschauen vermag. Schmidt ist ein Kenner – und ein Könner: In wenigen eindringlichen, hoch konzentrierten Szenen entlarvt er die systematische Verschleierung der Finanzjongleure – vom Beginn der aktuellen Endloskrise bis heute. Wie sagte doch schon Hardcore-Kapitalist Henry Ford ebenso weise wie zynisch: „Eigentlich ist es gut, dass die Menschen unser Banken- und Währungssystem nicht verstehen. Würden sie es nämlich, so hätten wir eine Revolution noch vor morgen früh.“(Metropoltheater, ab 8.2.)