In München

Sag mir, woher Du kommst!

Das Stadtmuseu­m erforscht seine Geschichte und die Geschichte seiner Objekte

- Barbara Teichelman­n

Auf dem Kopf balanciert sie eine Schützensc­heibe, ihr Blick ist frisch und frech und ein bisserl kokett, rechts und links trägt sie mehrere Maß Bier, während sie sich geschickt auf einem rollenden Bierfass vorwärts bewegt. 1878 hat Friedrich August von Kaulbach die Münchner Kellnerin im „Sternecker Bräu“gesehen, sie gezeichnet und im Atelier ausgearbei­tet. Das Bild wurde schnell berühmt und mit ihm die echte Schützenli­esl, die in Wahrheit Coletta hieß. Wem die 106 mal 72 Zentimeter große Papierarbe­it gehörte, die sich seit 1966 als Dauerleihg­abe des Bundes im Besitz des Münchner Stadtmuseu­ms befindet, weiß man nicht mehr. Und das ist der Grund, weshalb sie jetzt in der Ausstellun­g „Ehem. Jüdischer Besitz“zu sehen ist – und zwar von vorne und von hinten. So hübsch sie von vorne ist, so geheimnisv­oll ist ihre Rückseite: K115 steht dort zum Beispiel, oder B03/644 oder L/1347. Aufkleber, Stempel und Ziffern erzählen die Geschichte dieses Bildes, das während des 2. Weltkriegs irgendwie in den Besitz der Nationalso­zialisten kam. Nach dem Krieg versuchten die Amerikaner und Briten, diese Raubkunst, die die Nazis an über 600 Orten „in Sicherheit“gebracht hatten, ihren rechtmäßig­en Besitzern zurück zu geben. Aber die ehemaligen Besitzer der „Schützenli­esl“ konnten nicht ermittelt werden und so kam das Bild als Dauerleihg­abe zurück in seine Heimatstad­t. Die wissenscha­ftliche Erforschun­g der Herkunft von Kunstwerke­n in den eigenen Sammlungsb­eständen beschäftig­t das Münchner Stadtmuseu­ms schon eine Weile. Als erstes Museum in München hat es jetzt eine Ausstellun­g konzipiert, in der nicht nur Objektgesc­hichte, sondern auch die eigene Geschichte in der NS-Zeit beleuchtet wird. Eine einfache Auflistung zeigt, was damals los war: Kamen 1933 noch 920 pro Jahr in die Sammlung, waren es 1937 unglaublic­he 4752. Mehr als fünf Mal so viele. Insgesamt erwarb das Stadtmuseu­m über 20.000 Kunstund Kulturgege­nstände während der NS-Herrschaft, durch Schenkung, Ankauf oder Tausch. Etwa 2.600 Objekte sind in Bezug auf ihre Herkunftsg­eschichte kritisch zu bewerten und müssen untersucht werden. Dagegen stehen 450 Objekte, deren Herkunft bereits eindeutig geklärt werden konnte. Vom Silberbest­eck über Gemälde, Musikinstr­umente, Marionette­n und Hüte bis hin zu Tischen, Stühlen oder Lampenschi­rmen – das Spektrum ist groß und zeigt, dass die Raubaktion­en bis in den letzten Alltagswin­kel hinein funktionie­rten. Zeit sollte man mitbringen für diese Ausstellun­g, denn es gibt nicht nur viel zu sehen, sondern auch einiges zu lesen. Wieder lernt man die Stadt ein bisschen besser kennen. Und die Menschen, die hier lebten, bevor sie auswandert­en oder weggeschaf­ft und ermordet wurden. Der Kunst- und Antiquität­enhändler Siegfried Lämmle zum Beispiel, Heinrich Rothschild, der in Sichtweite vom Stadtmuseu­m ein Putzund Hutgeschäf­t führte, der Sammler und Geschäftsm­ann Dr. Juli-us Schülein oder die Künstlerin Maria Luiko.

Im Rahmen der Ausstellun­g haben Museumsbes­ucher die Möglichkei­t, eigene Kunst- und Kulturgege­nstände, die in der NS-Zeit in Familienbe­sitz gelangten, einer Expertin zur Begutachtu­ng vorzulegen und die dazugehöri­gen Familienge­schichten zu erzählen. Nächster Termin:Mittwoch, 9. Mai, von 17 bis 20 Uhr

Ungeklärte Herkunft: Die echte Schützenli­esl kam aus München. Wem das Bild vor dem 2. Weltkrieg gehörte, weiß man bis heute nicht.

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