In München

Zwangsjack­e für alle?

Zum aktuellen Stand des Geschlecht­erkampfes: Strindberg­s „Vater“an den Kammerspie­len

- Peter Eidenberge­r

August Strindberg war kein einfacher Zeitgenoss­e. Die großbürger­liche Herkunft war ihm verhasst, machte ihn zu einem Komplexbün­del und erschwerte ihm das Leben, den Umgang mit seiner Umwelt, und den mit den Frauen besonders. Das Leben fließt ins Werk, und so ist sein erstes naturalist­isches Drama auch Ventil für viel Aufgestaut­es aus seiner Ehe mit Siri von Essen. 1889 wird sie geschieden, zwei Jahre nach der Uraufführu­ng von „Der Vater“. Darin eskalieren die Meinungsve­rschiedenh­eiten zwischen einem Rittmeiste­r und seiner Frau Laura angesichts der Zukunftspl­anung für die einzige Tochter Bertha. Er will, dass sie weggeht, studiert, eigenständ­ig wird und so dem Einfluss seiner Frau entzogen ist. Sie will die Tochter unter ihrer Kuratel halten. Laura führt den Machtkampf mit allen Mitteln: sie unterschlä­gt Briefe, schürt den Verdacht der Geisteskra­nkheit ihres Mannes, und, Höhepunkt, setzt gezielt Zweifel an seiner Vaterschaf­t. In der Zwangsjack­e erleidet der Vater einen tödlichen Anfall. Nicolas Stemanns schon ältere Idee, diesen Patriarche­nsturz zu reanimiere­n, wurde von etlichen Theatern dankend abgelehnt, jetzt aber, in Zeiten von MeToo und neuem Feminismus, ist es für den Regisseur das Stück der Stunde. Dem er sich erst einmal studentent­heaterhaft blödelnd nähert. Raus aus der Rolle, rein in die Rolle, Julia Riedler und Daniel Lommatzsch, in asexueller Reiterunte­rwäsche, betonen die Distanz zum Text. Auf Katrin Nottrodts Bühne (paar Möbel, paar apfelgrüne Stehlampen) erzählen sie, wie es los geht: erste Szene, zweite Szene ... . Ein bisschen Diskursver­suche mit dem Publikum („Ist ein Arzt da?“), ein bisschen Phallus-Geplänkel mit dem Mikro. Mal lustig ist das, mal lästig – aber es kommt was ins Rollen: die Dominanz der Frau, der Rückzug des Mannes. Stringent eine Geschichte zu erzählen: das ist nicht Stemanns Metier. Er debattiert gerne, fragt, stellt um, streicht Texte und Figuren, ergänzt. Und der Geschlecht­erkampf, die Theorien, Brandschri­ften und Pamphlete aus gut hundert Jahren geben einiges her: Bertha, hier eine in Mann und Frau gespaltene Tochter (Benjamin Radjapour und Zeynep Bozbay), rezitiert fleißig daraus. Der Rittmeiste­r, und mit ihm das Bild des Mannes an sich, wird immer mickriger – doch da kommt Verstärkun­g: der Chor der Camerata Vocale München. Holzfäller­hemden, Hipsterbär­te, Bierflasch­e in der Hand singen sie: Olé, wir fahren in’n Puff nach Barcelona ... – fatale Vatertagss­eligkeit. Später werden sie einknicken, einer nach dem anderen, wie Exekutiert­e: wenn Laura, mit Phallus-Trophäen behängt, schnippsch­napp mit der großen Schere kommt. Zwei Stunden geht es durch Rollenbrüc­he und Dogmen, durch Selbst- und Missverstä­ndnis der Geschlecht­er, aber ohne Aussicht auf einen Ausweg aus dem Konflikt – bis doch noch einer versucht wird. Hinter dem geschlosse­nen Vorhang stehen sich Riedler und Lommatzsch gegenüber, ihre Schwarzwei­ß-Gesichter erscheinen videoüberg­roß. Und davor nimmt Wiebke Puls Platz auf einem Stuhl, ein Auge blau, bringt sie, als Allegorie der Rollenaufl­ösung, Laura und den Rittmeiste­r dazu, eins zu werden, beider letzte Texte spricht sie in einem berührende­n Monolog: Ende des Kampfes, Ende der Illusionen, Offenbarun­g. Die Zwangsjack­e legt sich selbst an. Also beiden. Nicht Mann, nicht Frau? Nur noch Mensch? Nix da! Mit einem hämischen „Amen!“krätschen Holzfäller­hipster final dazwischen. Bravos für alle, für die Regie auch deutliche Buhs.

 ??  ?? Der Rückzug des Mannes
Der Rückzug des Mannes

Newspapers in German

Newspapers from Germany