Zwangsjacke für alle?
Zum aktuellen Stand des Geschlechterkampfes: Strindbergs „Vater“an den Kammerspielen
August Strindberg war kein einfacher Zeitgenosse. Die großbürgerliche Herkunft war ihm verhasst, machte ihn zu einem Komplexbündel und erschwerte ihm das Leben, den Umgang mit seiner Umwelt, und den mit den Frauen besonders. Das Leben fließt ins Werk, und so ist sein erstes naturalistisches Drama auch Ventil für viel Aufgestautes aus seiner Ehe mit Siri von Essen. 1889 wird sie geschieden, zwei Jahre nach der Uraufführung von „Der Vater“. Darin eskalieren die Meinungsverschiedenheiten zwischen einem Rittmeister und seiner Frau Laura angesichts der Zukunftsplanung für die einzige Tochter Bertha. Er will, dass sie weggeht, studiert, eigenständig wird und so dem Einfluss seiner Frau entzogen ist. Sie will die Tochter unter ihrer Kuratel halten. Laura führt den Machtkampf mit allen Mitteln: sie unterschlägt Briefe, schürt den Verdacht der Geisteskrankheit ihres Mannes, und, Höhepunkt, setzt gezielt Zweifel an seiner Vaterschaft. In der Zwangsjacke erleidet der Vater einen tödlichen Anfall. Nicolas Stemanns schon ältere Idee, diesen Patriarchensturz zu reanimieren, wurde von etlichen Theatern dankend abgelehnt, jetzt aber, in Zeiten von MeToo und neuem Feminismus, ist es für den Regisseur das Stück der Stunde. Dem er sich erst einmal studententheaterhaft blödelnd nähert. Raus aus der Rolle, rein in die Rolle, Julia Riedler und Daniel Lommatzsch, in asexueller Reiterunterwäsche, betonen die Distanz zum Text. Auf Katrin Nottrodts Bühne (paar Möbel, paar apfelgrüne Stehlampen) erzählen sie, wie es los geht: erste Szene, zweite Szene ... . Ein bisschen Diskursversuche mit dem Publikum („Ist ein Arzt da?“), ein bisschen Phallus-Geplänkel mit dem Mikro. Mal lustig ist das, mal lästig – aber es kommt was ins Rollen: die Dominanz der Frau, der Rückzug des Mannes. Stringent eine Geschichte zu erzählen: das ist nicht Stemanns Metier. Er debattiert gerne, fragt, stellt um, streicht Texte und Figuren, ergänzt. Und der Geschlechterkampf, die Theorien, Brandschriften und Pamphlete aus gut hundert Jahren geben einiges her: Bertha, hier eine in Mann und Frau gespaltene Tochter (Benjamin Radjapour und Zeynep Bozbay), rezitiert fleißig daraus. Der Rittmeister, und mit ihm das Bild des Mannes an sich, wird immer mickriger – doch da kommt Verstärkung: der Chor der Camerata Vocale München. Holzfällerhemden, Hipsterbärte, Bierflasche in der Hand singen sie: Olé, wir fahren in’n Puff nach Barcelona ... – fatale Vatertagsseligkeit. Später werden sie einknicken, einer nach dem anderen, wie Exekutierte: wenn Laura, mit Phallus-Trophäen behängt, schnippschnapp mit der großen Schere kommt. Zwei Stunden geht es durch Rollenbrüche und Dogmen, durch Selbst- und Missverständnis der Geschlechter, aber ohne Aussicht auf einen Ausweg aus dem Konflikt – bis doch noch einer versucht wird. Hinter dem geschlossenen Vorhang stehen sich Riedler und Lommatzsch gegenüber, ihre Schwarzweiß-Gesichter erscheinen videoübergroß. Und davor nimmt Wiebke Puls Platz auf einem Stuhl, ein Auge blau, bringt sie, als Allegorie der Rollenauflösung, Laura und den Rittmeister dazu, eins zu werden, beider letzte Texte spricht sie in einem berührenden Monolog: Ende des Kampfes, Ende der Illusionen, Offenbarung. Die Zwangsjacke legt sich selbst an. Also beiden. Nicht Mann, nicht Frau? Nur noch Mensch? Nix da! Mit einem hämischen „Amen!“krätschen Holzfällerhipster final dazwischen. Bravos für alle, für die Regie auch deutliche Buhs.