Schauplatz Mensch
Das Deutsche Theatermuseum erforscht die Bühnengeschichte von Goethes Faust
Wenn dann zum Schluss der übermächtige Muttergotteskoloss sich gnädig über das Häuflein Elend beugt, das von Gretchen übrig geblieben ist, vornüber kippt, in sich zusammensackt und die blonde Sünderin unter sich begräbt – das ist wirklich großartig. Kurz vorher wurde Gretchen „von oben“vergeben, nun ist sie tot. Mephisto und Faust fliehen, Teil zwei kann beginnen. Sunnyi Melles spielt das Gretchen, Helmut Griem den Faust und Romuald Pekny den smart abgeklärten Mephisto. Wer Dieter Dorns Faust-Inszenierung 1988 an den Kammerspielen nicht gesehen hat, der kann das jetzt im Theatermuseum nachholen (bis Ende Mai täglich um 10 Uhr, außer Montag, dann jeden Monat eine andere Inszenierung, alle Infos hier: deutschestheatermuseum. de). Hier erfährt man, was Theater kann und wie stark es ist. Selbst an einem sonnigen, launigen Frühsommertag sitzen hier 15 Leute und schauen und staunen und bleiben dann noch ein bisschen still vor der längst leeren Leinwand sitzen. Aber natürlich gibt es noch viel mehr zu sehen in der Ausstellung „Faust-Welten“, sogar Jan Böhmermann ist da. Er trägt Perücke und spielt einen von sich selbst überzeugten Goethe, der als Leiter des Weimarer Hoftheaters den neuen Spielplan bespricht. Folge 85 des Neo Magazin Royale, die kurz vor Beginn der Sommerferien 2017 ausgestrahlt wurde. Und das bisschen TV-Klamauk tut tatsächlich ganz gut bei all den existentiellen Themen wie Liebe, Tod, Religion. Wobei es gar nicht um die Inhalte selbst geht, sondern um die dramatische Umsetzung – von der Beschneidung und Ergänzung des Theatertextes über die Darstellung der drei Hauptrollen bis zum Bühnenbild. Das sind die zentralen Themen dieser Ausstellung, die durch den Lauf der Inszenierungsgeschichte verfolgt werden. Welche Herausforderungen stellt das Drama an die Theatermacher? Zum Beispiel ganz profan und organisatorisch: Ist das Ensemble groß genug? Oder: Wie meistern wir den rasanten Schauplatzwechsel? Gezeigt werden Kulissen- und Kostümentwürfe, Inszenierungsausschnitte und 23 Bühnenmodelle, die zwischen 1875 und 2017 erdacht und umgesetzt wurden. Immer wieder dabei: die Drehbühne als Metapher für den sich selbst reproduzierenden Weltenlauf. Kein Anfang, kein Ende, das eine geht ins andere über, alles ist eins und steht doch für einen Moment ganz für sich. Der Theatermaschinist Carl Lautenschläger hat die Drehbühne für das europäische Theater erfunden, 1896 kam sie zum ersten Mal in der Aufführung von Mozarts Don Giovanni im alten Münchner Residenztheater zum Einsatz. Und zuletzt 2014 in Frank Castorfs großer Faust-Abschiedsinszenierung von der Volksbühne.