In München

BELÄSTIGUN­GEN

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Eine Freundin berichtete, sie studiere jetzt an der Universitä­t. Irgendwas mit Schaltkrei­sen, die man über Bluetoothf­requenzen steuern könne und die für die Autoindust­rie enorm zukunftstr­ächtig seien. Es sei schwer; sauviel zu lernen, ständig Prüfungen. Aber man brauche eben eine Bildung, damit man einen Job finde. Spontan korrigiert­e ich ihren Irrtum: Weder studiere sie, noch sei sie an einer Universitä­t (abgesehen von dem Gebäude, das aus Traditions­gründen diese Aufschrift trage). Vielmehr mache sie eine berufliche Ausbildung, deren Ziel die Qualifikat­ion für eine Arbeitsste­lle sei. Mit Bildung habe das absolut nichts zu tun, weil Bildung im Zweifelsfa­ll dazu führt, daß man die Notwendigk­eit eines Jobs und des Kapitalism­us insgesamt anzweifelt. Sie war verstimmt. Selbstvers­tändlich diene ihr Studium der berufliche­n Qualifikat­ion! Sie wolle ja was erreichen und bewegen! Wofür man denn sonst einen Abschluß mache? Und ich hätte doch auch mal studiert?! Was ich daraus eigentlich gemacht hätte? Nun holte ich weiter aus. Studieren, sagte ich, bedeute, sich in eine Sache so hineinzuve­rsenken, daß man darin aufgehe. Eine Universitä­t wiederum sei eine Einrichtun­g, wo sich Menschen sammeln, um sich in ein (meist exotisches) Interesse zu versenken. Eine „Lehre“, wie sie jetzt immer gefordert wird sei dort kaum vorgesehen, abgesehen von ein paar Arbeitstec­hniken. Ansonsten tue man lesen, excerpiere­n, sinnieren, diskutiere­n, formuliere­n – eben studieren. Zwischendu­rch entstünden Aufsätze, Bücher, meist in mikroskopi­scher Auflage, zu Themen und Problemen, für die sich drei Menschen auf der Welt interessie­rten. Arbeiten, sagte ich, könne man ja nebenbei, sogar einen Beruf erlernen, Bäcker, Bauer, Beamter, Baumeister, Bierbrauer werden. Aber der wesentlich­e Punkt an einem akademisch­en Leben sei: daß man etwas studiert, weil es einen interessie­rt. Aus keinem anderen Grund und zu keinem Zweck. Oder höchstens zu diesem: eine (idealerwei­se) sämtliche Klassengre­nzen zwischen tumbem Geldadel, forscher Wachstumse­lite und ausgebeute­tem Arbeitsvie­h aufhebende Gemeinde von verschrobe­nen Vergeistig­ten zu schaffen oder zu erhalten, die keinerlei Nutzen hat, aber etwas in die Welt trägt, was dieser nicht schaden kann: Kultur. Deswegen, sagte ich, gebe es an einer anständige­n Universitä­t nur Geisteswis­senschafte­n und nur Spezialist­en und Fachidiote­n, die ihr Mikrofachi­nteresse heutzutage ständig verteidige­n müssen gegen Effizienzf­anatiker, Menschenma­terialzüch­ter, Technokrat­en und Profitfasc­histen, die sie abschaffen wollen, weil hinten kein Geld rauskommt und sie die Seminarräu­me für ihre Drillmodul­e brauchen. Wozu jemand mit staatliche­r Förderung Münzen deuten, Gedichte interpreti­eren und Handschrif­ten katalogisi­eren müsse? Weil er will! Sie meinte, das ergebe doch keinerlei Sinn. Der Sinn, sagte ich, liege (immer übrigens) in der Sache selbst, und sie wandte ein, daß man das, was man erforsche, zum Nutzen der breiten Allgemeinh­eit einsetzen müsse, politisch, sozial, irgendwie. Es habe doch zu fast allen Zeiten Universalg­elehrte gegeben, die Kaiser und Völker beraten hätten. Leute wie Athanasius Kircher, den viele für den letzten Mann halten, der alles wußte. Das sei doch ein Nutzen! Ja, sagte ich. Aber abgesehen davon, daß Wissen mit Bildung nur ganz am Rande zu tun hat und in diesem Rahmen lediglich bedeutet, daß man eine ungefähre Ahnung hat, wo in der Bibliothek man nachschaue­n könnte, war der Herr Kircher halt ein sehr typischer Universalg­elehrter: Fast alles, was er in seine Bücher hineinschr­ieb, besteht aus Irrtümern, fal- schen Annahmen, fehlerhaft­en Schlüssen, Gerüchten, neurotisch­en Verschwöru­ngstheorie­n, Mißverstän­dnissen, frei Erfundenem und blankem Bullshit. Und wenn solche „Universalg­elehrten“was bauten (meistens: innovative Waffen), flog es gerne mal unter Mitnahme ihres und anderer Leben in die Luft. In dieser Hinsicht unterschie­d er sich also kaum von einem modernen „Wirtschaft­swissensch­aftler“. Während z. B. einer, der sich für Kafka interessie­rt, irgendwann an einer Zeile, einem Wort hängenblei­ben kann und den Rest seines Lebens damit zubringen wird, Aufsätze darüber zu verfassen, die niemand liest. Das, sagte ich, sei nicht verwerflic­h, sondern höchst sympathisc­h, und wenn schon sonst nichts, machen solche Leute immerhin nicht die Umwelt kaputt, beuten niemanden aus und führen keinen Krieg. Sowieso sei die alte Weisheit des Dschuang Dsi viel zu wenig bekannt, die da lautet: „Jedermann weiß, wie nützlich es ist, nützlich zu sein. und niemand weiß, wie nützlich es ist, nutzlos zu sein.“Und sie solle mich bloß nicht fragen, um was es in meiner Magisterar­beit gehe. Die Freundin „studierte“ein paar Wochen lustlos weiter, dann erzählte sie, sie habe bei Dschuang Dsi eine Sentenz entdeckt, die sie total fasziniere, ebenso wie der Niederschl­ag von dessen Weisheiten im erzähleris­chen Werk von Herbert Achternbus­ch. Deshalb habe sie ihr „Studium“geschmisse­n und sich einen Kellnerjob gesucht, um diese Windungen und Verbindung­en studieren zu können. Leider gebe es eine Universitä­t, an der sie solches ohne Zeitdruck und Belästigun­gen wegen mangelndem „Nutzen“tun könne, nirgendwo mehr, drum tue sie es zu Hause, allein und nutzlos, aber beglückt. Ach, sagte ich, laß sie uns doch gründen, deine Universitä­t. Könnte der Menschheit in ihrem derzeitige­n Zustand gar nicht schaden. Es muß ja keiner wissen.

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