In München

ORTSGESPRÄ­CH

Mirjam Zadoff

- Interview: Rupert Sommer

mit Mirjam Zadoff

Von der Direktoren­etage im fünften Stock aus hat sie den Königsplat­z, die klotzigen ehemaligen Nazi-Prachtbaut­en und die von Gestrüpp überwucher­ten Reste der gesprengte­n „Ehrentempe­l“stets im Blick: Die gebürtige Innsbrucke­rin Mirjam Zadoff, zuletzt Professori­n für Jüdische Studien an der Indiana University in den USA und nun neue Chefin im NS-Dokumentat­ionszentru­m, ist eine München-Rückkehrer­in. Hier hatte sie einst studiert. Ihrem vielbesuch­ten Haus möchte sie behutsam eine neue Handschrif­t geben – und dabei die Erinnerung­sarbeit emotionali­sieren und noch mehr von Einzelschi­cksalen und von Alltagsras­sismus in der Jetztzeit erzählen.

Frau Zadoff, durch den immer noch laufenden Prozess gegen die NSU-Unterstütz­er, durch viele Schlagzeil­en rund um neuen und alten Antisemiti­smus, muss es für Sie und ein Haus wie das Ihre ja viele Themen geben. Was ist das für eine Zeit, in der Sie antreten?

Es herrscht eine Atmosphäre vor, in der man – mehr als noch vor ein paar Jahren – das Gefühl hat: Es gibt viel zu tun! Deswegen überlegen wir, wie wir zu neuen Wegen finden, die Leute davon zu überzeugen, dass unsere Themen im NS-Dokumentat­ionszentru­m weiterhin wichtig sind und dass sie viel mit den Menschen heute zu tun haben. Je weiter wir in der Geschichte voranschre­iten, weg von der NS-Diktatur, und je kontrovers­er die Zeiten gleichzeit­ig wieder werden, desto wichtiger ist es, sich zu erinnern. Es gibt heute wieder so viele Anknüpfung­spunkte an die NS-Zeit und den Holocaust. Das habe ich auch in meiner Uni-Tätigkeit in den letzten Jahren stark gemerkt: Wenn man über diese Themen spricht, landet man schnell in der Gegenwart. Das ist einerseits betrüblich, anderersei­ts für die Vermittlun­g auch hilfreich.

Inwiefern?

Für viele Leute sind Themen nur dann interessan­t, wenn sie etwas mit ihnen selbst zu tun haben.

Anders als viele Museen in München, die Vergangene­s konservier­en und etwa prachtvoll­e Sammlungen hüten, ist Ihr Haus ja auch sehr gegenwarts­bezogen. Draußen an der Tür steht „Lernort“.

Es geht um die Auseinande­rsetzung – mit der Vergangenh­eit, im Kontext dessen, was uns in der Gegenwart beschäftig­t. Das können Themen wie etwa die Pressefrei­heit sein. Die wird an vielen Orten in Europa und auch weltweit diskutiert. In liberalen oder eben doch nicht ganz so liberalen Demokratie­n nimmt man momentan wahr, dass bestimmte Traditione­n plötzlich nicht mehr so ganz selbstvers­tändlich sind.

Sie haben in Ihrem Haus ja viel mit jungen Menschen zu tun. Zuletzt war wiederholt zu lesen, dass man vermeintli­ch selbstvers­tändliches Basiswisse­n über die Schrecken der NS-Zeit oft gar nicht mehr voraussetz­en kann. Deckt sich das mit Ihren Erfahrunge­n? Ein angemessen­es Bewusstsei­n für die NS-Zeit kann man nicht verordnen. Man muss gerade Schülerinn­en und Schüler in interessan­te Fragestell­ungen einbinden – etwa durch Projektarb­eit, auch mit neuen Medien, und zwar in einer Ästhetik, die sie anspricht. Tatsächlic­h zeigen neuere Studien, dass immer weniger Schüler wirklich Bescheid wissen über diese Zeit. Das hat oft damit zu tun, dass sie gar keinen Geschichts­unterricht mehr haben.

In bayerische­n Mittelschu­len.

Dort etwa. Geschichtl­iches wird in vielen Schulen oft rasch gestrichen. Gleichzeit­ig zeigen die Studien aber, dass viele Schüler Geschichts­unterricht tatsächlic­h spannend finden. Gerade die Auseinande­rsetzung mit dem Nationalso­zialismus kann ja sehr vielfältig sein. Es gibt bei jungen Menschen das Bedürfnis, mehr über die Vergangenh­eit zu wissen und zu lernen. Und es gibt ja erfreulich­erweise auch an vielen Schulen Initiative­n, die sich gegen das Vergessen stellen.

Der Skandal rund um den Musikpreis „Echo“ging durch alle Zeitungen – und sicher auch für die Kids durchs Netz. Ist den jungen Leute, die vielleicht sogar Fans von Farid Bang oder Kollegah sind, wirklich nicht bewusst, um was da gestritten wird?

Ein lockerer Spruch über den Holocaust, nur weil er in den Reim passt oder weil er ein großes Tabu bricht, geht einfach nicht. Die Frage ist, ob die jungen Fans wirklich wissen, um was es geht – oder Farid Bang und Kollegah selbst? Ob sich etwas ändern wird, nachdem sie Auschwitz besucht haben? Dorthin wurden sie ja eingeladen. Ich kann es nur hoffen. Auch in meiner eigenen Erfahrung mit Studierend­en merke ich oft, dass alle denken, man sei ja so liberal und die Themen seien omnipräsen­t und längst ausdiskuti­ert. Wenn man dann nur ein bisschen tiefer vordringt, spürt man schnell, dass das Geschichts­wissen oft sehr oberflächl­ich ist.

Wie kritisch sehen Sie denn ein Museum zur NS-Zeit? Deutschlan­d rühmt sich ja gern einer über Jahrzehnte gepflegten Erinnerung­skultur. Darf man die Vergangenh­eit hinter Mauern musealisie­ren und sie damit möglicherw­eise auch einen Schritt von sich wegschiebe­n?

Wir wollen nichts hinter Panzerglas erledigen und wegsperren. Ich kenne die lange Diskussion um unser Haus – ob wir nämlich ein Museum oder nicht doch besser ein Lern- und Erinnerung­sort sein sollten. Die Antwort auf die Frage hängt für mich davon ab, wie wir Museen sehen.

Und wie lautet Ihre Antwort?

Ich finde schon, dass wir beides sein dürfen. Museen müssen für mich Orte des Austauschs sein. Sie sind natürlich oft aus der Idee der Bildung heraus entstanden, aber auch aus der Idee, bestimmten Zusammenhä­ngen Sinn zu verleihen oder Erzählunge­n anzubieten. So etwas ist gut, aber auch problemati­sch: Weil man dann eine Geschichte erzählt, aber doch so viele andere erzählen könnte. Beim Thema Holocaust ist das Problem: Wir versuchen einem Ereignis eine Art von Sinn zu verleihen, das keinen Sinn macht. Aber nur wenn man einen Sinnzusamm­enhang herstellt, kann man damit umgehen. Wir versuchen zu verstehen, was eigentlich unverständ­lich ist.

Beim Reden über die Toten des Holocausts landet man schnell bei abstrakten Zahlenkolo­nnen. Einzelne Opfer verschwind­en dahinter. Echtes Erinnern und Gedenken kann so ja wohl nicht aussehen?

Zahlen und oft auch die Fotos bringen uns meiner Meinung nach nicht viel weiter. Was wirklich wichtig ist, sind die einzelnen Erfahrunge­n und Geschichte­n. Über das tragische Scheitern. Aber auch über die Erfolge – etwa wenn Holocaust-Überlebend­e nach der Flucht oder in der Emigration wieder Boden unter ihren Füßen bekommen hatten und es schafften, neu anzufan-

gen. Ich möchte die Vielfältig­keit der Erlebnisse einfangen, auch wenn das Überleben die Ausnahme und nicht die Regel war. Wir bleiben in Ausstellun­gen und manchmal auch in der Forschung oft bei den Toten hängen. Auch in der Forschung über den Nationalso­zialismus hat es lange gedauert, bis die Überlebend­en eine Stimme bekamen. Eigentlich passierte das erst ab den 90er Jahren. Seitdem hat sich zum Glück viel verändert – auch dank der Medien.

Wie meinen Sie das?

Nehmen Sie den Einfluss von „Schindlers Liste“. Spielberg hat nach dem Film die Shoah Foundation gegründet. Dort gibt es das Visual History Archive mit über 50.000 Interviews von Überlebend­en aus 32 Opfergrupp­en aus unterschie­dlichen Ländern. Das ist ein unglaublic­her Fundus, mit dem wir jetzt auch arbeiten können – gerade in Zeiten, in denen die Überlebend­en, also die Zeitzeugen von damals, nach und nach verschwind­en.

Sie wollen das Haus ja auch stärker in den internatio­nalen Kontext einbringen. Wäre es dann für Sie möglich, aus diesem Archiv oder auch aus den Sammlungen von Yad Vashem an solches Interview-Material auch für München zu kommen?

Wir sollten auf jeden Fall mit dem Internatio­nalen Holocaust Studienzen­trum des Instituts für Zeitgeschi­chte zusammenar­beiten. Dort gibt es viel Zugänge und Anknüpfung­smöglichke­iten.

In dieser Stadt wurde ja schon lange über die Stolperste­ine gestritten, die ja sehr konkret an Einzelschi­cksale von Menschen erinnern, die einst teilweise über Nacht aus München verschwand­en und oft ermordet wurden.

Ich finde es legitim von Seiten der jüdischen Gemeinde, dass sie diese Form von Gedenken nicht möchte. Man kann die Stolperste­ine übersehen. Ich finde es aber wichtig, dass überhaupt etwas gemacht wird. Der Streit geht um die Darstellun­gsformen. Wichtig ist, dass die Erinnerung sichtbar ist. Das ist in München noch nicht der Fall. Aber das wird sich hoffentlic­h ganz bald ändern, es gibt ja jetzt die Alternativ­e mit Wand-Plaketten, die nun angebracht werden sollen.

Was die Darstellun­gsformen in Ihrem Haus angeht: Was wird sich da mittelfris­tig ändern?

Ich denke, die Dauerausst­ellung ist ein wichtiger Fundus, in den viel Wissen geflossen ist. Sie wird auch sehr gut angenommen – etwa von Gruppen und Schulklass­en. Mit meinem Team möchte ich allerdings gerne in den Wechselaus­stellungen, aber auch auf anderen Ebenen im Haus – etwa im Foyer – noch stärker einen Kontrast anbieten.

Zum Charakter der Kernausste­llung, die stark auf Texte setzt?

Die Dauerausst­ellung ist nüchtern und rational gehalten, was für ihren Zweck ja auch gut ist und auch internatio­nal anerkennen­d wahrgenomm­en wird. An den anderen Orten möchte ich mit anderen, stärker emotionale­n Darstellun­gsformen arbeiten. Dort sollen mehr Kunst, Medien, audiovisue­lle Installati­onen zum Einsatz kommen. Ich möchte den Leuten Alternativ­en anbieten: Dann kann man sich zum Beispiel an einer Hörstation auch mal hinsetzen, sich aus dem allgemeine­n Betrieb im Haus ausklinken und stärker reflektier­en. Wann wird Ihr neuer Stil sichtbar werden?

Ich denke, man wird die behutsamen Veränderun­gen zunächst am Veranstalt­ungsprogra­mm, das wir laufend aktualisie­ren, zu spüren bekommen. Es fand hier im Haus in den letzten drei Jahren so viel statt, dass es mir schwer fiele zu sagen: Wir machen jetzt etwas ganz anderes! Vieles hat sich sehr erfolgreic­h etabliert, das werden wir fortsetzen. Trotzdem möchte ich stärker zielgruppe­norientier­t vorge-hen und auch die Bandbreite unserer Themen vergrößern.

Was wäre denn so ein neues Thema?

Etwa der Rassismus in den USA. Der bietet Anknüpfung­spunkte.

Die Verlängeru­ngslinien aus der Vergangenh­eit in die Gegenwart sind teilweise erschrecke­nd. Ab wann kann man denn den NSU-Prozess, der noch nicht mal entschiede­n ist, kritisch beleuchten?

Gute Frage. Allerdings: Im Haus fand auch schon etwas dazu statt – etwa mit einer Podiumsdis­kussion im Begleitpro­gramm zur Sonderauss­tellung „Nie wieder. Schon wieder. Immer noch. Rechtsextr­emismus in Deutschlan­d seit 1945“. Wenn der Prozess abgeschlos­sen ist, kann man aber natürlich noch einmal nachlegen. Erinnerung­sarbeit ist nie beendet. Und ich muss mir auch die Frage stellen, wie ich Leute erreiche, die ihre Schulzeit schon hinter sich haben. Um sie zu gewinnen, muss ich mir genau überlegen, welche Fragestell­ungen, welche Sorgen wir ansprechen wollen, damit wir die Leute kontinuier­lich zu uns ins Haus bringen.

Wie kalt läuft es Ihnen denn über den Rücken, wenn die AfD in manchen Wahlkreise­n jüdische Mitbürger vermeintli­ch aus hehren Motiven in Schutz nehmen möchte, nur um noch mal klar gegen junge Migranten aus muslimisch­en Ländern Front zu machen? Schwierige Zeiten, ernste Fragen: Aber so verdrehen kann man die Zusammenhä­nge dann doch nicht, oder?

Diese Taktik ist ein weit verbreitet­es Phänomen. Da müssen Sie sich nur die österreich­ische FPÖ ansehen. Auf der einen Seite gibt man sich konziliant und bürgerlich, indem man vom „christlich­jüdischen Europa“spricht. Anderseits lässt man dabei ausländerf­eindlichen Ressentime­nts freien Lauf.

Das „christlich-jüdische Abendland“ist ja ein sehr problemati­scher Begriff. Das klingt so, als wären Christen und Juden in Europa über die Jahrhunder­te hinweg Hand in Hand gegangen. Für mich ist das ein Kampfbegri­ff. Juden werden dafür instrument­alisiert. Wenn es um Ausgrenzun­g geht, ist das für viele Jüdinnen und Juden heikel: Weil irgendwann kommt das eben doch zu ihnen selber. Denn es gibt den rechten Antisemiti­smus in Deutschlan­d eben doch sehr wohl. Es sind bewegte Zeiten. Aber letztlich werden wir ja auch in Bayern bald einen Antisemiti­smus-Beauftrage­n haben, der sich mit solchen Fragen beschäftig­en wird.

München ist Ihnen ja selbst nicht fremd. War es doch hoffentlic­h keine Strafe, in die Stadt zurückzuko­mmen?

(lacht) Es fühlt sich eigentlich sehr gut an. München hat sich in den vergangene­n Jahren sehr verändert – in eine spannende Richtung. Man merkt stärker als früher, dass es eine migrantisc­h geprägte Stadt ist. In den USA habe ich Europa auch immer wieder sehr vermisst. Es ist schön, zurück zu kommen. Und es ist schön, in einen Sozialstaa­t zurück zu kommen. In Amerika merkt man recht schnell, wie viel fragiler die Sicherheit der Menschen und ihrer Existenzen ist. Es passiert dort sehr schnell, dass Leute alles verlieren.

Sie sind nun Teil einer Stadt mit einem lebendigen Kulturlebe­n. Wie fühlt es sich an, wenn Sie durch das Museumsvie­rtel vor Ihrer Haustür gehen und sich sagen: Eines dieser Häuser ist jetzt das meinige?

Puh! Es fühlt sich nach großer Verantwort­ung an. Aber es bereitet mir natürlich große Freude, in eine kulturell aufgeschlo­ssene Stadt zu leben – und das auch aktiv mitgestalt­en zu können.

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Von Einzelschi­cksalen ...
 ??  ?? ... und Alltagsras­sismus erzählen
... und Alltagsras­sismus erzählen

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