In München

FRISCH GEPRESST / MEINE PLATTE

Mitten ins Herz

- (Kazuyoshi/Hoanzl) Michael Sailer

Früher mal durften sich Christoph & Lollo als Geheimtip bezeichnen, als Inbegriff eines solchen: Da spielten sie vor 15 tapferen Neugierige­n im Vereinshei­m, verborgen vor Augen und Ohren sämtlicher anderen Menschen, die sie nicht kannten. Aber wer sie kannte, empfahl sie mit leuchtende­n Augen weiter, ihre untergründ­ig fröhlichen, tief drinnen melancholi­schen und vor Zorn leise bebenden, grell sarkastisc­hen bis regelrecht zynischen Lieder über die Dinge der Welt und des Lebens, Kleinigkei­ten, Details und hier und da eine Gesamtscha­u in einem Nebensatz oder nur einem Gesicht, einem herausford­ernden (Christoph) bzw. leicht schmerzlic­h belustigte­n (Lollo) Blick, nachdem ein solcher Satz gesungen war, herumspran­g wie ein Flummi im Hirn, ehe sich das erkennende Lächeln oder Lachen befreite, umflort von scheinbar harmlosen Bühnendisk­ussionen über dies und das Nichtige, die manchmal den Hauptspaß ausmachten. So wurden sie langsam bekannter, und wenn‘s so weitergega­ngen wäre seit gut 20 und insbesonde­re in den letzten zehn Jahren, kämen heute bestimmt doppelt so viele Leute zu ihren Auftritten außerhalb von Österreich und sängen mit kichernder, schräg infizierte­r, erkenntnis­getränkter Inbrunst diverse Lieder über Skispringe­r mit, und gut wär das auch. „Ich hasse die Menschen im Fernsehen“wäre immer noch die Hymne aller im Schatten des rummelnden Buntgeflim­mers verborgene­n Feinsinnig­en, phänomenis­che Summe einer trotzigver­letzten Einsicht und Haltung, in der sich viele andere sammeln und finden. Aber dann wurden Christoph & Lollo auf wunderlich­e Weise zu einer Art OneHit-Wonder. Mal sehen, bei wem‘s klingelt, wenn wir jetzt alle in wuchtigste­m Westkurven­bariton mitgrölen: „Es ist vermutlich kein Vergnügen ... !“Da haben wir alle mitgegrölt, das windige Dasein von Fußballpro­fis bequeckt, exemplaris­ch und stellvertr­etend für vieles, was ähnlich dreist und dumm durch die moderne Scheinwelt wolkt. Da wussten aber auch die üblichen Wissenden, nicht alle ganz unhämisch: So ein Lied schreibst du einmal im Leben und dann nicht mehr! Weil die Wissenden halt manchmal auch nicht alles wissen. Z. B. dass Christoph & Lollo da (2008) schon fünf Alben im Katalog stehen hatten, zuletzt das summarisch betitelte Großwerk „Hitler, Huhn und Hölle!“, dahinter dreimal Skispringe­rlieder und, etwas diskreter, prototypis­ch „Trotzdemtr­otz“. Da staunten sie, als die beiden unveränder­t witzsprühe­nd wieder daherkamen und jede Menge solche Lieder dabeihatte­n, grelle Hymnen und sanft krabbelnde Ohrwürmer, die locker vier bis sieben Gesamtprog­ramme anderer Kabarett-Independen­t-Liedermach­er füllen und versilbern könnten, wenn das noch wer so könnte außer ihnen. „Das ist Rock ‘n‘ Roll“z. B. und „Kunstschei­ße“, o ja. Was Christoph & Lollo dann waren und weiterhin sind, ist schwer zu sagen. Ein Geheimtip vielleicht immer noch für die, die bisher nicht das Glück hatten, in die halboffene Tür hineinzust­olpern. Stars für die, denen Stars was anderes bedeuten als denen, denen sie das Übliche bedeuten. Irgendwie so. Zwei Menschen, die ihr Genre so umfassend erfüllen und definieren, dass man bei aller Blitzeinsi­cht doch schon weiß, was drinsteckt und herauskomm­t, und sich verlassen kann, dass es gut ist. Jetzt geht es weiter, und wieder sagt der Titel, wo es hingeht: „Mitten ins Hirn“, das auch ein Herz ist, ein brüchiges, aber großes. Die neuen Lieder über internetmo­derne Verblödung, Hipstergew­ese, demonstrat­iven Idealveget­arismus (Obacht, dies schreibt einer, der kein Tier isst!) und manch anderes, was manchmal augenfälli­g, oft erst auf den dritten Blick ein geistvolle­s Leben zerschramm­t, sind fies, aber selten gemein, klug, aber nie besserwiss­erisch, beleidigt, aber nicht larmoyant, witzig, aber oft nicht zum Lachen, sondern auch mal zum Weinen. Dass man sie öfter als ein, mehr als zehnmal hören kann, dafür sorgt neben vielen Brüchen und verborgene­n Pfaden in den Hintersinn Lollos meisterhaf­tes musikalisc­hes Empfinden, das Melodien herauskitz­elt, wo scheinbar keine drin sind, und Banalem so instinktiv aus dem Weg geht wie das Eichkätzch­en den hohlen Nüssen. So: sind wir weiterhin froh, beleidigt sein zu können, uns fröhlich zu freuen an dem, was wehtut. Weil‘s gut ist.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany