FRISCH GEPRESST / MEINE PLATTE
Mitten ins Herz
Früher mal durften sich Christoph & Lollo als Geheimtip bezeichnen, als Inbegriff eines solchen: Da spielten sie vor 15 tapferen Neugierigen im Vereinsheim, verborgen vor Augen und Ohren sämtlicher anderen Menschen, die sie nicht kannten. Aber wer sie kannte, empfahl sie mit leuchtenden Augen weiter, ihre untergründig fröhlichen, tief drinnen melancholischen und vor Zorn leise bebenden, grell sarkastischen bis regelrecht zynischen Lieder über die Dinge der Welt und des Lebens, Kleinigkeiten, Details und hier und da eine Gesamtschau in einem Nebensatz oder nur einem Gesicht, einem herausfordernden (Christoph) bzw. leicht schmerzlich belustigten (Lollo) Blick, nachdem ein solcher Satz gesungen war, herumsprang wie ein Flummi im Hirn, ehe sich das erkennende Lächeln oder Lachen befreite, umflort von scheinbar harmlosen Bühnendiskussionen über dies und das Nichtige, die manchmal den Hauptspaß ausmachten. So wurden sie langsam bekannter, und wenn‘s so weitergegangen wäre seit gut 20 und insbesondere in den letzten zehn Jahren, kämen heute bestimmt doppelt so viele Leute zu ihren Auftritten außerhalb von Österreich und sängen mit kichernder, schräg infizierter, erkenntnisgetränkter Inbrunst diverse Lieder über Skispringer mit, und gut wär das auch. „Ich hasse die Menschen im Fernsehen“wäre immer noch die Hymne aller im Schatten des rummelnden Buntgeflimmers verborgenen Feinsinnigen, phänomenische Summe einer trotzigverletzten Einsicht und Haltung, in der sich viele andere sammeln und finden. Aber dann wurden Christoph & Lollo auf wunderliche Weise zu einer Art OneHit-Wonder. Mal sehen, bei wem‘s klingelt, wenn wir jetzt alle in wuchtigstem Westkurvenbariton mitgrölen: „Es ist vermutlich kein Vergnügen ... !“Da haben wir alle mitgegrölt, das windige Dasein von Fußballprofis bequeckt, exemplarisch und stellvertretend für vieles, was ähnlich dreist und dumm durch die moderne Scheinwelt wolkt. Da wussten aber auch die üblichen Wissenden, nicht alle ganz unhämisch: So ein Lied schreibst du einmal im Leben und dann nicht mehr! Weil die Wissenden halt manchmal auch nicht alles wissen. Z. B. dass Christoph & Lollo da (2008) schon fünf Alben im Katalog stehen hatten, zuletzt das summarisch betitelte Großwerk „Hitler, Huhn und Hölle!“, dahinter dreimal Skispringerlieder und, etwas diskreter, prototypisch „Trotzdemtrotz“. Da staunten sie, als die beiden unverändert witzsprühend wieder daherkamen und jede Menge solche Lieder dabeihatten, grelle Hymnen und sanft krabbelnde Ohrwürmer, die locker vier bis sieben Gesamtprogramme anderer Kabarett-Independent-Liedermacher füllen und versilbern könnten, wenn das noch wer so könnte außer ihnen. „Das ist Rock ‘n‘ Roll“z. B. und „Kunstscheiße“, o ja. Was Christoph & Lollo dann waren und weiterhin sind, ist schwer zu sagen. Ein Geheimtip vielleicht immer noch für die, die bisher nicht das Glück hatten, in die halboffene Tür hineinzustolpern. Stars für die, denen Stars was anderes bedeuten als denen, denen sie das Übliche bedeuten. Irgendwie so. Zwei Menschen, die ihr Genre so umfassend erfüllen und definieren, dass man bei aller Blitzeinsicht doch schon weiß, was drinsteckt und herauskommt, und sich verlassen kann, dass es gut ist. Jetzt geht es weiter, und wieder sagt der Titel, wo es hingeht: „Mitten ins Hirn“, das auch ein Herz ist, ein brüchiges, aber großes. Die neuen Lieder über internetmoderne Verblödung, Hipstergewese, demonstrativen Idealvegetarismus (Obacht, dies schreibt einer, der kein Tier isst!) und manch anderes, was manchmal augenfällig, oft erst auf den dritten Blick ein geistvolles Leben zerschrammt, sind fies, aber selten gemein, klug, aber nie besserwisserisch, beleidigt, aber nicht larmoyant, witzig, aber oft nicht zum Lachen, sondern auch mal zum Weinen. Dass man sie öfter als ein, mehr als zehnmal hören kann, dafür sorgt neben vielen Brüchen und verborgenen Pfaden in den Hintersinn Lollos meisterhaftes musikalisches Empfinden, das Melodien herauskitzelt, wo scheinbar keine drin sind, und Banalem so instinktiv aus dem Weg geht wie das Eichkätzchen den hohlen Nüssen. So: sind wir weiterhin froh, beleidigt sein zu können, uns fröhlich zu freuen an dem, was wehtut. Weil‘s gut ist.