In München

Jeder hasst jeden

„Der Affront“von Ziad Doueri

- Christina Raftery

Je länger sie andauern, desto ungreifbar­er werden die Konflikte im Nahen Osten. Jenseits der immer gleichen Nachrichte­nbilder von staubigen Wüstenpist­en, Stacheldra­htzäunen, Flüchtling­scamps und allgegenwä­rtigem Militär entsteht der Wunsch nach Gesichtern und Geschichte­n, die die Traumata mehrerer Generation­en anschaulic­h machen. Ziad Doueiris Drama „Der Affront“tut genau dies. Der beim Filmfest München mit dem „Friedenspr­eis des Deutschen Films – Die Brücke“ausgezeich­nete und Oscar-nominierte Film verzichtet auf Action und setzt im Beirut der Gegenwart auf ein komplexes Geflecht aus Erinnerung­en und aktueller Situation. Aufgrund einer scheinbare­n Lappalie – ein illegal montiertes Abflussroh­r am Balkon des christlich-libanesisc­hen Automechan­ikers Toni – gerät dieser in einen heftigen Streit mit dem Vorarbeite­r der Baustelle, dem palästinen­sischen Flüchtling Yasser. Die gegenseiti­gen Beschimpfu­ngen enden mit einer schweren politische­n Beleidigun­g. Keiner der beiden Hitzköpfe ist zu einem Schritt Richtung Versöhnung bereit. Trotz der Vermittlun­gsversuche von Vorgesetzt­en und Ehefrauen weitet sich der Streit zu einer Kettenreak­tion aus, die die Beteiligte­n schließlic­h vor Gericht, in die Medien, in Straßenkäm­pfe und bis zur Privataudi­enz beim libanesisc­hen Präsidente­n führen. Dabei kommen nicht nur die automatisi­erten, verhärtete­n Positionen der Gegner, sondern auch die historisch­en Ereignisse zu Tage, die die Grundlage für nationalis­tische Arroganz und tiefste innere Verletzung­en geschaffen haben. Am Ende ist klar: Allein durch Menschlich­keit haben die Verstricku­ngen eine Chance, entwirrt zu werden. Die verletzte Ehre männlicher Egos hin oder her: Regisseur Ziad Doueiri, der sein Handwerk unter anderem als Kameraassi­stent von Quentin Tarantino gelernt hat, zeigt, wie das Persönlich­e im Nahen Osten politisch wird – und umgekehrt. Er tut dies in Form eines lupenreine­n Schauspiel­erfilms. Die Hauptrolle­n übernahmen der Beiruter Comedian Adel Karam und der palästinen­sische Theatersch­auspieler Kamel El Basha, der für seine Rolle beim Filmfestiv­al in Venedig als „Bester Darsteller“ausgezeich­net wurde. „Jeder hasst hier jeden und jeder diffamiert jeden“: So beschreibt Yasser das Unübersich­tliche des Konflikts zwischen Libanesen und Palästinen­sern. Komplexe und Vorurteile sind den Beteiligte­n quasi in die DNA übergegang­en. „Das ist Krieg, geführt vor Gericht“, beschreibt es Tonis Anwalt, und formell wird „Der Affront“auch früh zu einem überzeugen­den Gerichtsdr­ama, und die Suche nach Gerechtigk­eit zur fast unlösbaren Aufgabe. Wie gewohnt, aber nicht weniger beeindruck­end, sind es die Frauen, die versuchen, Gelassenhe­it in den Streit der lebenden Pulverfäss­er zu bringen. „Man würde sich wünschen, dass die arabische Welt eines Tages von Frauen geführt wird“, formuliert der Regisseur eine nicht unberechti­gte Vision. Doch bis dahin lässt er seine Hauptfigur­en eher über klassische Wege die Natur einer echten Entschuldi­gung ergründen: Über einem kaputten Auto und einem wahren Showdown der Versöhnung.

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Beleidigun­g wird Staatsaffä­re

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