Jeder hasst jeden
„Der Affront“von Ziad Doueri
Je länger sie andauern, desto ungreifbarer werden die Konflikte im Nahen Osten. Jenseits der immer gleichen Nachrichtenbilder von staubigen Wüstenpisten, Stacheldrahtzäunen, Flüchtlingscamps und allgegenwärtigem Militär entsteht der Wunsch nach Gesichtern und Geschichten, die die Traumata mehrerer Generationen anschaulich machen. Ziad Doueiris Drama „Der Affront“tut genau dies. Der beim Filmfest München mit dem „Friedenspreis des Deutschen Films – Die Brücke“ausgezeichnete und Oscar-nominierte Film verzichtet auf Action und setzt im Beirut der Gegenwart auf ein komplexes Geflecht aus Erinnerungen und aktueller Situation. Aufgrund einer scheinbaren Lappalie – ein illegal montiertes Abflussrohr am Balkon des christlich-libanesischen Automechanikers Toni – gerät dieser in einen heftigen Streit mit dem Vorarbeiter der Baustelle, dem palästinensischen Flüchtling Yasser. Die gegenseitigen Beschimpfungen enden mit einer schweren politischen Beleidigung. Keiner der beiden Hitzköpfe ist zu einem Schritt Richtung Versöhnung bereit. Trotz der Vermittlungsversuche von Vorgesetzten und Ehefrauen weitet sich der Streit zu einer Kettenreaktion aus, die die Beteiligten schließlich vor Gericht, in die Medien, in Straßenkämpfe und bis zur Privataudienz beim libanesischen Präsidenten führen. Dabei kommen nicht nur die automatisierten, verhärteten Positionen der Gegner, sondern auch die historischen Ereignisse zu Tage, die die Grundlage für nationalistische Arroganz und tiefste innere Verletzungen geschaffen haben. Am Ende ist klar: Allein durch Menschlichkeit haben die Verstrickungen eine Chance, entwirrt zu werden. Die verletzte Ehre männlicher Egos hin oder her: Regisseur Ziad Doueiri, der sein Handwerk unter anderem als Kameraassistent von Quentin Tarantino gelernt hat, zeigt, wie das Persönliche im Nahen Osten politisch wird – und umgekehrt. Er tut dies in Form eines lupenreinen Schauspielerfilms. Die Hauptrollen übernahmen der Beiruter Comedian Adel Karam und der palästinensische Theaterschauspieler Kamel El Basha, der für seine Rolle beim Filmfestival in Venedig als „Bester Darsteller“ausgezeichnet wurde. „Jeder hasst hier jeden und jeder diffamiert jeden“: So beschreibt Yasser das Unübersichtliche des Konflikts zwischen Libanesen und Palästinensern. Komplexe und Vorurteile sind den Beteiligten quasi in die DNA übergegangen. „Das ist Krieg, geführt vor Gericht“, beschreibt es Tonis Anwalt, und formell wird „Der Affront“auch früh zu einem überzeugenden Gerichtsdrama, und die Suche nach Gerechtigkeit zur fast unlösbaren Aufgabe. Wie gewohnt, aber nicht weniger beeindruckend, sind es die Frauen, die versuchen, Gelassenheit in den Streit der lebenden Pulverfässer zu bringen. „Man würde sich wünschen, dass die arabische Welt eines Tages von Frauen geführt wird“, formuliert der Regisseur eine nicht unberechtigte Vision. Doch bis dahin lässt er seine Hauptfiguren eher über klassische Wege die Natur einer echten Entschuldigung ergründen: Über einem kaputten Auto und einem wahren Showdown der Versöhnung.