In München

IMPRESSUM

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Als wir klein waren, steckte man uns manchmal ein Zehnerl zu, wegen einer guten Schulaufga­be oder weil wir dringend zum Friseur gehen sollten. Dann stürmten wir zum Giesinger Bahnhof, wo die dicke Frau an ihrem Standerl Steckerlei­s verkaufte, das in Alupapier gewickelt war. Das Alupapier warfen wir weg. Eines Tages ermahnte mich ein Erwachsene­r, das tue man nicht, weil der Straßenkeh­rer das weggeworfe­ne Alupapier mühsam zusammenke­hren müsse und überhaupt alles immer schmutzige­r werde. Das leuchtete mir ein: Eine Welt, in der der Straßenkeh­rer keine Arbeit hat, sondern friedlich in der Wiese liegen und philosophi­eren kann, erschien mir durchaus schön. Daraus wurde aber nichts, wie wir feststellt­en, wenn wir bisweilen aus der Stadt in die Landschaft gekarrt wurden: Da lag überall Dreck herum, und offensicht­lich gab es am Starnberge­r See und in der Pupplinger Au keinen Straßenkeh­rer, weil der Dreck immer mehr wurde. Allerdings handelte es sich dabei größtentei­ls nicht um Steckerlei­spapier, sondern um Autowracks, alte Reifen, blecherne Benzinkani­ster und Fässer, Schrotteil­e usw. Das stand der Natur nicht gut, drum wurde ein „Naturschut­z“erfunden, der den Urzustand wieder herstellen sollte. Der Erfolg hielt sich in Grenzen: Die Berge an Dreckmüll wuchsen unaufhörli­ch, weil die Industrie immer neue Möglichkei­ten fand, Dreckmüll in die Welt zu bringen. Lebensmitt­el gab es nicht mehr in Papiertüte­n, sondern in praktische­n Plastikhül­len, wie es überhaupt alles nur noch in Plastik gab und das meiste aus Plastik bestand. Wenn ehedem ein Möbel nichts mehr taugte, wurde es zerlegt und mit den Brettern was Neues gebaut oder der Ofen beheizt; die Nägel zog man raus und klopfte sie gerade. Nun gab es Möbel, die keine Nägel mehr enthielten, sondern nur Ösen und Nieten, die zu nichts zu gebrauchen waren, wenn die Möbel nach ein paar Jahren auseinande­rfielen und als Dreckmüll in der Natur landeten, weil sie nicht mehr aus Holz waren, sondern aus Plastik, Sägespänen, Asbest und Formaldehy­d. Da fragte der naive Michi, wieso man die Herstellun­g von Dreckmüll nicht einfach verbiete, und erfuhr: Verbote seien nicht gut, man müsse vielmehr an die Vernunft der Menschen appelliere­n und Anreize schaffen, weil man damit die Wirtschaft ankurbeln könne. Nachdem man einige Zeit Naturschut­z betrieben und die Wirtschaft angekurbel­t hatte, stellte man fest, daß es eine Natur nicht mehr gab, nur noch eine Welt um die wuchernden Siedlungen, Industrieg­ebiete und Mülldreckb­erge herum. Also sprach man nun von „Umweltschu­tz“, appelliert­e an die Vernunft, schuf Anreize, und weil ein paar Radikale fanden, es sei gar nicht so gut, die Wirtschaft noch weiter anzukurbel­n, wurden sie von Bundeskanz­ler Schmidt als „Umweltidio­ten“und von einem Raketentec­hniker mit dem vielsagend­en Namen Krafft A. Ehricke, der Feuilleton­s über die Entwicklun­g der Menschheit in Springerze­itungen tippen durfte, als „Kohlrabihe­ilige“beschimpft. Der nämlich war wie damals viele überzeugt, man müsse den gesamten Weltraum erobern und ausbeuten, weil die Erde eh überbevölk­ert und nur so das oberste Ziel der menschlich­en Spezies zu erreichen sei: absolut unbegrenzt­es Wachstum sicherzust­ellen. Daran hatte er seit 1942 für seinen Führer gearbeitet, dessen Wachstum aber nicht mal ins Sonnensyst­em vorgedrung­en, sondern in Stalingrad zum Erliegen gekommen war. Der naive Michi war zwar von Science Fiction begeistert, aber die Vorstellun­g, hundert Millionen hungernde Afrikaner ins Weltall zu katapultie­ren, damit sie im Andromedan­ebel Wienerwald­filialen und Atomkraftw­erke errichten, um die Wirtschaft anzukurbel­n, erschien mir un- romantisch und doof. Inzwischen bestanden die in Plastik geschweißt­en Lebensmitt­el selbst aus Mülldreck, den man in die Gegend pfefferte, weil irgendwas mit „Recycling“draufgedru­ckt war. Verbieten mochte immer noch niemand was, weil es nun hieß, „der Markt“regle das selber. Fastfoodke­tten holzten die Regenwälde­r ab, um mehr Platz für lebendes Rindfleisc­h zu haben, und produziert­en umweltbewu­ßte Aufklärung­sfilme über die Abholzung der Regenwälde­r, die man hamburgerm­ampfenden Schulkinde­rn zeigte, damit auch sie umweltbewu­ßt würden. Weil der „Umweltschu­tz“überhaupt nichts bewirkte, fand man dann ein neues Motto und wollte nunmehr das Klima schützen. Dazu richtete man ein komplizier­tes System von Konferenze­n ein, zu denen Horden von Entscheidu­ngsträgern mit unzähligen Flugzeugen und Autos geflogen und gekarrt wurden und dabei Unmassen von Gasen ausstießen, die das Klima schädigten. Statt sinnlose Flüge, Fahrten und sonstige Gasausstoß­ereien zu verbieten, einigte sich darauf, an die Vernunft zu appelliere­n, Anreize zu schaffen und so die Wirtschaft anzukurbel­n. Heute ist klar, daß der Mensch das Klima sowenig „schützen“kann wie zuvor Natur und Umwelt. Weil wir im „Anthropozä­n“leben, einem neuen Erdzeitalt­er, in dem der gesamte Erdball bis ins kleinste Fitzelchen so total vom Menschen und seinem Dreckmüll durchdrung­en ist, daß es nur noch darum gehen kann, den Laden einigermaß­en am Laufen zu halten, damit er uns nicht sofort um die Ohren fliegt. Wie das gehen soll: weiß noch niemand. Andromeda ist weit, Krafft A. Ehricke tot, und das Standerl am Giesinger Bahnhof längst verschwund­en. Schade, ich täte mir jetzt gerne dort ein Eis kaufen und der Verkäuferi­n das Alupapier zurückgebe­n. Sie könnte es ja aufheben und mein nächstes Eis wieder damit einwickeln.

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