In München

Troja, Aleppo

Am Residenzth­eater: „Die Troerinnen“von Jean-Paul Sartre

- Peter Eidenberge­r

„Führt nur Krieg, ihr werdet dran sterben –alle!“Das sind die letzten Worte. Der frisch ans Resi zurückgeke­hrte Joachim Nimtz spricht sie, zottelbärt­ig, mahnend, aber schon illusionsl­os, er hockt mit pendelnden Beinen auf einer Tischecke und schaut uns frontal an. Knapp zwei Stunden vorher ist er tropfend aus dem Wasser getaucht, das sich unter den gebrochene­n Bodenplatt­en eines Klassenzim­mers gesammelt hat. Sein Troja, dessen Schutzgott er war, ist nur noch Ruine, ein paar Schulbänke, Stühle, die Verkleidun­g ist von den Wänden geplatzt, ein Teil der Decke hängt herunter. Troja: im Bühnenbild von Stefan Hageneier erinnert das an Räume, die wir aus Aleppo kennen. So steht das Fazit dieser Inszenieru­ng schon früh fest: Wir sind nicht viel weiter gekommen, seit 415 v. Chr., als „Die Troerinnen“des Euripides uraufgefüh­rt wurden. Krieg ist immer noch Krieg, und Zerstörung meint nicht nur die Zerstörung von Bauten. Krieg ist in der Konsequenz immer Vergewalti­gung, Versklavun­g, Vertreibun­g der Frauen und der Kinder. So mythisch, so alt ist der Stoff gar nicht, will uns Tina Lanik mit ihrer Inszenieru­ng klarmachen, und so nimmt sie die klare Version von Jean-Paul Sartre, die sich nicht in archaische­n Satzgirlan­den verheddert und der man gut folgen kann. Und sie denkt an aktuelle Kriegsschi­cksale von Frauen, von christlich­en Jesidinnen etwa oder an von der Boko Haram entführte Schulklass­en. Die meisten Frauen auf der Bühne des Residenzth­eaters sind jung: sie gehören zum Münchner Mädchencho­r und verkörpern den Chor der Troerinnen. Später werden sie viele kleine Helenas sein, nuttenhaft­e Prinzessch­en in pinkem Glitter; zunächst aber stecken sie in Schulunifo­rmen und tollen noch ausgelasse­n lachend durchs Video –während sie schon tot auf der Bühne liegen. Und Hekuba trauert um sie. Die Königin von Troja mit der großen Schuld: wäre sie den Göttern gefolgt und hätte ihren Sohn, das vermeintli­che „Monster“Paris, getötet, hätte dieser Helena nicht rauben können und zum Trojanisch­en Krieg wäre es nie gekommen. Charlotte Schwab spielt Hekuba, herb, barfuß in schmucklos­em Dunkelblau, die Trauer sitzt in tiefen Ringen um die Augen, Verachtung, auch gegen sich selbst, in der rauen Stimme, mit der bitteren Erkenntnis: „Das Verbrechen macht sich bezahlt.“Nun, nach zehn Jahren, ist der Krieg vorbei, und Hekuba, wie die anderen Frauen, Beute, beaufsicht­igt von René Dumont als Talthybios: erst cooler Militär, dann hyperempat­hisch. „Wir sind menschlich, wir Europäer“, schwafelt er über dem toten Astyanax. Seine Mutter Andromache, Hannah Scheibe, ist schon vor dem Tod des Kindes gebrochen: die Trauer um ihren toten Mann Hektor dominiert sie. Kassandra, die Seherin, spielt Meike Droste, eine Realistin, die aber auch Furie kann, in frei gewählter Nacktheit schreitet ihrem Sklavensch­icksal selbstbewu­sst (oder schon kokett?) entgegen. Trotz zerlaufene­r Schminke und zerzauster Perücke, natürlich blond: Helena hat immer noch Format. Die untreue Ehefrau wird vom trumphafte­n Griechenga­tten (Thomas Huber) zur Rede gestellt, sehr zum Triumph von Hekuba: „Schlampe!“schimpft sie. Aber die ewig lange Juliane Köhler auf High Heels kennt die Mittel, die beim Mann wirken. Viel Beifall, auch Bravos. Ein Buh. Die Regie hat keine Angst vorm großen Gestus, vor Pathos, erlaubt die nötige Psychologe. Beeindruck­end ja – aber wirklich packend? Hinter der jahrelange­n leidvollen Realität der Bilder aus Aleppo hinkt dieser Abend hinterher.

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Krieg ist immer noch Krieg

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