Troja, Aleppo
Am Residenztheater: „Die Troerinnen“von Jean-Paul Sartre
„Führt nur Krieg, ihr werdet dran sterben –alle!“Das sind die letzten Worte. Der frisch ans Resi zurückgekehrte Joachim Nimtz spricht sie, zottelbärtig, mahnend, aber schon illusionslos, er hockt mit pendelnden Beinen auf einer Tischecke und schaut uns frontal an. Knapp zwei Stunden vorher ist er tropfend aus dem Wasser getaucht, das sich unter den gebrochenen Bodenplatten eines Klassenzimmers gesammelt hat. Sein Troja, dessen Schutzgott er war, ist nur noch Ruine, ein paar Schulbänke, Stühle, die Verkleidung ist von den Wänden geplatzt, ein Teil der Decke hängt herunter. Troja: im Bühnenbild von Stefan Hageneier erinnert das an Räume, die wir aus Aleppo kennen. So steht das Fazit dieser Inszenierung schon früh fest: Wir sind nicht viel weiter gekommen, seit 415 v. Chr., als „Die Troerinnen“des Euripides uraufgeführt wurden. Krieg ist immer noch Krieg, und Zerstörung meint nicht nur die Zerstörung von Bauten. Krieg ist in der Konsequenz immer Vergewaltigung, Versklavung, Vertreibung der Frauen und der Kinder. So mythisch, so alt ist der Stoff gar nicht, will uns Tina Lanik mit ihrer Inszenierung klarmachen, und so nimmt sie die klare Version von Jean-Paul Sartre, die sich nicht in archaischen Satzgirlanden verheddert und der man gut folgen kann. Und sie denkt an aktuelle Kriegsschicksale von Frauen, von christlichen Jesidinnen etwa oder an von der Boko Haram entführte Schulklassen. Die meisten Frauen auf der Bühne des Residenztheaters sind jung: sie gehören zum Münchner Mädchenchor und verkörpern den Chor der Troerinnen. Später werden sie viele kleine Helenas sein, nuttenhafte Prinzesschen in pinkem Glitter; zunächst aber stecken sie in Schuluniformen und tollen noch ausgelassen lachend durchs Video –während sie schon tot auf der Bühne liegen. Und Hekuba trauert um sie. Die Königin von Troja mit der großen Schuld: wäre sie den Göttern gefolgt und hätte ihren Sohn, das vermeintliche „Monster“Paris, getötet, hätte dieser Helena nicht rauben können und zum Trojanischen Krieg wäre es nie gekommen. Charlotte Schwab spielt Hekuba, herb, barfuß in schmucklosem Dunkelblau, die Trauer sitzt in tiefen Ringen um die Augen, Verachtung, auch gegen sich selbst, in der rauen Stimme, mit der bitteren Erkenntnis: „Das Verbrechen macht sich bezahlt.“Nun, nach zehn Jahren, ist der Krieg vorbei, und Hekuba, wie die anderen Frauen, Beute, beaufsichtigt von René Dumont als Talthybios: erst cooler Militär, dann hyperempathisch. „Wir sind menschlich, wir Europäer“, schwafelt er über dem toten Astyanax. Seine Mutter Andromache, Hannah Scheibe, ist schon vor dem Tod des Kindes gebrochen: die Trauer um ihren toten Mann Hektor dominiert sie. Kassandra, die Seherin, spielt Meike Droste, eine Realistin, die aber auch Furie kann, in frei gewählter Nacktheit schreitet ihrem Sklavenschicksal selbstbewusst (oder schon kokett?) entgegen. Trotz zerlaufener Schminke und zerzauster Perücke, natürlich blond: Helena hat immer noch Format. Die untreue Ehefrau wird vom trumphaften Griechengatten (Thomas Huber) zur Rede gestellt, sehr zum Triumph von Hekuba: „Schlampe!“schimpft sie. Aber die ewig lange Juliane Köhler auf High Heels kennt die Mittel, die beim Mann wirken. Viel Beifall, auch Bravos. Ein Buh. Die Regie hat keine Angst vorm großen Gestus, vor Pathos, erlaubt die nötige Psychologe. Beeindruckend ja – aber wirklich packend? Hinter der jahrelangen leidvollen Realität der Bilder aus Aleppo hinkt dieser Abend hinterher.