Böse Botschaften
Das NS-Dokumentationszentrum zeigt antisemitische Aufkleber von 1880 bis heute
Eins, zwei, drei, eventuell noch vier – schon sitzt er. Das Schöne an Aufklebern ist, dass man sie innerhalb von Sekunden publizieren kann und sie trotz ihrer geringen Größe eine große Wirkung entfalten können. Auf Augenhöhe an der richtigen Stelle zum Beispiel an einem U-Bahn-Fenster, einer Schaufensterscheibe oder einer Ampel lesen hunderte Menschen die Botschaft. Und je knapper und knackiger sie formuliert ist, je schneller man sie erfassen kann, desto eher springt sie in die Köpfe und kommt mit. Eins, zwei, drei, eventuell noch vier – länger darf es nicht dauern. Klebezettel und Sticker funktionieren wie Werbung. Plakativ müssen sie sein und schnell erfassbar. Inhaltlich und visuell. Dieses Zusammentreffen von Text und Gestaltung auf engem Raum muss Energie entwickeln, um unsere Aufmerksamkeit zu bekommen. Ein spannendes Medium, diese kleine und scheinbar unscheinbare Form der Kommunikation, die sich so gut streuen lässt. Optimal für Propaganda. Zum Beispiel als Briefverschlussmarken, die sich vor dem zweiten Weltkrieg großer Beliebtheit erfreuten. Auf das Gesicht des Briefes kam die Briefmarke, den Rücken zierte eine bunte Verschlussmarke. Meist mit eindeutig antisemitischer Botschaft, zum Beispiel „Der eigentliche Gott der Juden ist das Geld oder das ‚goldne Kalb‘.“Oder: „Trau keinem Fuchs auf grüner Haid’, trau keinem Jud seinen Eid.“Rund 25 Briefrücken liegen auf dem Tisch im 2. Stock des NS-Dokumentationszentrums und ein jeder trägt eine antisemitische Botschaft. Das ist ein kleiner Ausschnitt einer über hundert Briefe zählenden Korrespondenz zwischen dem Liebespaar Trude Gasch und Hans Schober, die zwischen 1919 und 1923 stattfand. Die beiden waren nicht nur verliebt, sondern auch glühende Antisemiten. Und weil man ja spontan Sympathien für Verliebte entwickelt, ist das schon sehr irritierend. Das ist überhaut die Stärke der neuen Sonderausstellung „Angezettelt. Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute.“, dass sie es schafft, immer wieder zu irritieren. Weil sie immer wieder einen aktuellen Bezug herstellt. „Natürlich deutsch“steht auf dem Wahlkampf-Aufkleber der NPD aus dem Jahr 2013. Zu sehen ist ein blondes Mädchen mit blauen Augen. Andere Zeiten, dieselben Mittel. Ein Glück, dass auch die Gegenbewegung gezeigt wird. Da steht es gelb auf schwarz: „Refugees welcome“. Die Tatsache, dass diese Ausstellung im Grunde weniger historische Aufarbeitung denn aktuelle Gegenwartsbewältigung ist, macht einen schon ein bisschen ratlos.