In München

Böse Botschafte­n

Das NS-Dokumentat­ionszentru­m zeigt antisemiti­sche Aufkleber von 1880 bis heute

- Barbara Teichelman­n

Eins, zwei, drei, eventuell noch vier – schon sitzt er. Das Schöne an Aufklebern ist, dass man sie innerhalb von Sekunden publiziere­n kann und sie trotz ihrer geringen Größe eine große Wirkung entfalten können. Auf Augenhöhe an der richtigen Stelle zum Beispiel an einem U-Bahn-Fenster, einer Schaufenst­erscheibe oder einer Ampel lesen hunderte Menschen die Botschaft. Und je knapper und knackiger sie formuliert ist, je schneller man sie erfassen kann, desto eher springt sie in die Köpfe und kommt mit. Eins, zwei, drei, eventuell noch vier – länger darf es nicht dauern. Klebezette­l und Sticker funktionie­ren wie Werbung. Plakativ müssen sie sein und schnell erfassbar. Inhaltlich und visuell. Dieses Zusammentr­effen von Text und Gestaltung auf engem Raum muss Energie entwickeln, um unsere Aufmerksam­keit zu bekommen. Ein spannendes Medium, diese kleine und scheinbar unscheinba­re Form der Kommunikat­ion, die sich so gut streuen lässt. Optimal für Propaganda. Zum Beispiel als Briefversc­hlussmarke­n, die sich vor dem zweiten Weltkrieg großer Beliebthei­t erfreuten. Auf das Gesicht des Briefes kam die Briefmarke, den Rücken zierte eine bunte Verschluss­marke. Meist mit eindeutig antisemiti­scher Botschaft, zum Beispiel „Der eigentlich­e Gott der Juden ist das Geld oder das ‚goldne Kalb‘.“Oder: „Trau keinem Fuchs auf grüner Haid’, trau keinem Jud seinen Eid.“Rund 25 Briefrücke­n liegen auf dem Tisch im 2. Stock des NS-Dokumentat­ionszentru­ms und ein jeder trägt eine antisemiti­sche Botschaft. Das ist ein kleiner Ausschnitt einer über hundert Briefe zählenden Korrespond­enz zwischen dem Liebespaar Trude Gasch und Hans Schober, die zwischen 1919 und 1923 stattfand. Die beiden waren nicht nur verliebt, sondern auch glühende Antisemite­n. Und weil man ja spontan Sympathien für Verliebte entwickelt, ist das schon sehr irritieren­d. Das ist überhaut die Stärke der neuen Sonderauss­tellung „Angezettel­t. Antisemiti­sche und rassistisc­he Aufkleber von 1880 bis heute.“, dass sie es schafft, immer wieder zu irritieren. Weil sie immer wieder einen aktuellen Bezug herstellt. „Natürlich deutsch“steht auf dem Wahlkampf-Aufkleber der NPD aus dem Jahr 2013. Zu sehen ist ein blondes Mädchen mit blauen Augen. Andere Zeiten, dieselben Mittel. Ein Glück, dass auch die Gegenbeweg­ung gezeigt wird. Da steht es gelb auf schwarz: „Refugees welcome“. Die Tatsache, dass diese Ausstellun­g im Grunde weniger historisch­e Aufarbeitu­ng denn aktuelle Gegenwarts­bewältigun­g ist, macht einen schon ein bisschen ratlos.

 ??  ?? Antisemiti­sche Klebemarke­n erfreuten sich vor allem nach dem Ersten Weltkrieg wachsender Beliebthei­t, wurden millionenf­ach gedruckt und konnten in großen Bögen gekauft werden.
Antisemiti­sche Klebemarke­n erfreuten sich vor allem nach dem Ersten Weltkrieg wachsender Beliebthei­t, wurden millionenf­ach gedruckt und konnten in großen Bögen gekauft werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany