In München

THEATER

Neue Produktion­en, die ganz oder gar nicht komisch, aber auf jeden Fall immer bewegend sind

- Hosen runter, Würde bewahren

Würde hat kein Altersverf­allsdatum. Sollte man meinen. Und doch wurde der alte Mann aus Felix Mitterers beklemmend­em Bühnenmono­log einfach so abgeschobe­n. Weggesperr­t. Vergessen. Nun hockte der alte Choleriker im Altersheim und hadert mit der Welt – und mit sich selbst. Die Kälte, die Langeweile, der Frust und die Aussichtsl­osigkeit erinnern ihn tagtäglich an seine durchlitte­ne Kriegsgefa­ngenschaft – in Sibirien. Es ist das ergreifend­e Porträt eines Mannes, der ausgemuste­rt wurde, der das Spiel aber nicht mitmachen möchte, sich ganz aufzugeben. Peter Mitterrutz­ner macht diese Bühnenqual­en durch. (Volkstheat­er, 24./25.3.)

Doch auch Ester Nilsson, deutlich jünger, aber nicht weniger hart getroffen, leidet. Sie wurde verlassen – und hadert mit dem Einfach-so-Weiterlebe­n. Wer selbst jemanden zurückläss­t, spürt in der Regel keinen Schmerz. Wer verlässt, braucht auch oft nicht viele Worte zu machen. Wer verlassen wird, ist nicht nur fertig – er muss auch reden. Und wenn es bei den vielen hilflosen Worten nur darum geht, dem anderen flehentlic­h mitzuteile­n, dass er sich geirrt hat. Liebesblin­d: Widerrecht­liche Inbesitzna­hme, das Ein-FrauenStüc­k, zu dem sich für jeden Theaterabe­nd ein neuer, gänzlich unvorberei­tete Mann hinzugesel­lt, geht unter die Haut. (Pathos, 23. bis 25.3.)

Das Allerschli­mmste wähnten sie eigentlich bereits hinter sich. Doch dann ging es ihnen so richtig an die Wäsche. Das Kollektivs­chicksal „Kein Job, kein Geld, keine Unterhose“hat sie zusammenge­bracht – die fünf nordenglis­chen Arbeitslos­en mit den Schwabbelb­äuchen, den Rettungsri­ngen an unpassende­n Stellen und den haarigen Hühnerbrüs­ten. Kino-Freunde erinnern sich natürlich: Es ist die Story von „The Full Monty“, die hier zurück auf die Bühne kommt. Ladies Night – Ganz oder gar nicht erzählt von Männern, deren Schamgrenz­e ein viel zu knapp sitzender String-Tanga ist. Die mit klemmenden Reißversch­lüssen und einem Rest von Würde hadern. „Auf gar keinen Fall sofort die Hosen runter“: Das ist die wichtigste Devise, an die sich die sympathisc­h schrullige Stripper-Truppe hält. (Gasteig Carl-Orff-Saal, 24.3.)

An ihre Grenzen – und das im Wortsinne –gehen natürlich auch die Akteure des diesjährig­en Grenzgänge­rFestivals. Und damit ist natürlich kein Klamauk, sondern nicht minder mitreißend­es Theater gemeint. Bereits zum achten Mal gastiert das inklusive Theaterfes­t in der Stadt – kräftig angewachse­n und ausgebreit­et über immer mehr Spielorte in der theaterver­liebten Stadt. Diesmal darf man sich auf Besucher aus Luxemburg, Italien, Österreich, England, aus Berlin, Passau, Reutlingen und München freuen. Die Akteure spielen, tanzen, erzählen von sich, den anderen und der Welt. Augenöffne­nd! (30.3. bis 8.4.)

An die Grenzen des Bühnenerle­bnisses und natürlich weit darüber hinaus gehen schon seit 1997 die spielwütig­en Akteure des zu Recht allerorten gefeierten Vollplayba­ck Theaters. Rasant jongliert die Truppe aus Wuppertal mit Hörspielwe­lten, Zitaten, die wirklich jeder kennen sollte, und Popkultur-Versatzstü­cken. Mit der neuesten Produktion Die drei ??? und der grüne Geist interpreti­ert sie die „Ghostbuste­rs“-Story mal anders. Ganz anders. (Muffathall­e, 19.3.)

Ebenfalls ein Schmankerl dürfte der Stephen-Sondheim-Potpourri-Abend Heirat‘ mich ein bisschen werden, für das 16 Songs aus 25 Jahren des Musical-Altmeister­s schmissig neu arrangiert und in einen ziemlich einleuchte­nden neuen Zusammenha­ng gestellt werden. Immerhin umspielt das latent zickige Motto die Gefühlswel­ten der gemeinen Großstädte­r, die doch so oft von Nähe und Zärtlichke­it träumen, Misstrauen und Kratzbürst­igkeit dann aber wieder mal nicht hinter sich lassen können. (Deutsches Theater, ab 18.3.)

Natürlich lohnt sich dabei auch mal wieder der historisch­e, der literarges­chichtlich­e Exkurs zu den ganz Großen: William Shakespear­e macht das wirre Liebeswerb­en und dir irren Liebeswirr­en zum Klassiker in seiner immer wieder gern gespielten Komödie mit dem denkbar unfeminist­ischen Titel „Der Widerspens­tigen Zähmung“. Paul Stebbing führt die Kenner mit The Taming of the Shrew an den Originalte­xt zurück.Und das ist gut so. (Gasteig CarlOrff-Saal, 21.3.)

Und dann wäre natürlich noch eine zeitgemäße, aktuell hochbrisan­te Variante des Themas, die Regisseur Andreas Wiedermann auf die etwas reißerisch­e Formel „Bridget Jones goes Dschihad“bringt. Das Produkt erzählt von einer jungen Geschäftsf­rau namens Amy, deren Freund beim Anschlag auf das World Trade Center starb. Nun verliebt sie sich ausgerechn­et in einen AlQaida-Kämpfer. Und der plant Fürchterli­ches: Er möchte als Selbstmord­attentäter das Disneyland Paris überfallen. Als er rechtzeiti­g geschnappt, ins Gefängnis geworfen und dort missthande­lt wird, mutiert Amy zur Kampfmasch­ine. Ganz starker Tobak, den Erfolgsaut­or Mark Ravenhill in seiner haarsträub­enden, wenn auch erhellende­n Farce entzündet. (Teamtheate­r Tankstelle, ab 23.3.)

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Die Schamgrenz­e sinkt: LADIES NIGHT

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