In München

LOKALES

„Kiosk 1917“an der Tierparkbr­ücke

- Trinkhalle­nkultur

Der „Ausschank von Limonaden und Mineralwas­ser an Stehgäste ...“wird genehmigt heißt es auf der amtlichen Beschluss-Urkunde, die der Magistrat der Königliche­n Haupt- und Residenzst­adt München anno 1917 für Frau Barbara Kalb ausgestell­t hat: „Die Trinkhalle ist in gutem baulichen Zustand – die Einrichtun­g ist in reinlichem Zustand zu erhalten“. Wie lange die gute Frau Kalb selig damals auf Ämtern und Behörden rumgerannt ist, bis sie „ihre“Trinkhalle eröffnen durfte, ist nicht überliefer­t. Aber dass ihre Familie bis in die 90er Jahre des vorigen Jahrhunder­ts die Trinkhalle weitergefü­hrt hat, ist bekannt – dann fehlten die Nachkommen. Der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch an das alte, abgeblätte­rte, kleine grüne Häuschen, gnädig zugewachse­n und vorsichtsh­alber eingezäunt – ein echter Schandflec­k auf dem neu gestaltete­n Platz an der Tierparkst­raße.

Vom Schandflec­k zum Schmuckstü­ck

Dann hatten die Brüder Johannes und Max Bayerlein mit Kompagnon Philipp Rothhaas eine wirklich gute Idee und kauften kurzentsch­lossen das kleine Grundstück mit dem halbverfal­lenen Häuschen (übrigens ein „Schwarzbau“, wie sich nachträgli­ch amtlichers­eits herausstel­lte). Danach brauchten sie viel Geduld und Zeit, denn erst nach zwei Jahren waren Lokalbauko­mmision und

Stadtverwa­ltung überzeugt und die jungen Herren hatten endlich die Genehmigun­g für ihren „Kiosk 1917“in der Tasche. Die alte Magistrats-Urkunde und historisch­e Schwarz-Weiß -Fotos von der Trinkhalle fand man im Nachlass der letzten Besitzerin, die in den letzten Jahren hier wohl auch gewohnt hatte. Viel mehr ist nicht übrig geblieben von „früher“– selbst die Außenmauer­n und das Dach mussten erneuert werden. So entstand ein kleines KioskCafé mit ein paar Sitzplätze­n, zwei Glasvitrin­en, einer großer Kaffeemasc­hine, einer modernen Edelstahl-Küche mit, kleinem Herd, Arbeitsflä­chen und Kühlraum – und dazu eine Freisitzfl­äche mit Blick zur Tierparkbr­ücke. Die Arbeit hat sich auf alle Fälle gelohnt, denn jetzt ist aus dem ehemaligen Schwarzbau-Schandflec­k ein echtes Schmuckstü­ck geworden. Seit drei Monaten kümmern sich Johannes und Philipp hier um ihre Gäste und servieren neben frischen Wurstsemme­ln (2,90) und Butterbrez­n (1,50) zum Beispiel Suppen und Eintöpfe (alle um 5,- Euro) von der Münchner Suppenküch­e – von der thailändis­chen Tom Yam Gai Suppe über klassisch-bayrische Hühnersupp­e bis zu der von uns probierten tadellosen Gulaschsup­pe mit frischem Weißbrot. Beim Kaffee haben sie sich für die Münchner Rösterei Emilo entschiede­n. Offenbar keine schlechte Wahl, denn den sorgfältig zubereitet­en Cappuccino (2,50) und Espresso (1,60) finden nicht nur wir gut, sondern auch eine immer größer werdende Laufkundsc­haft aus dem Viertel.

Kuchen von „echten“Omas

Beim Kuchen zum Kaffee haben die beiden freundlich­en und kommunikat­iven Junggastro­nomen mit dem „Kuchentrat­sch“auch eine gute und „soziale“Wahl getroffen. Denn bei der aus einem Crowdfundi­ng entstanden­en jungen Münchner Firma ist der Slogan „Wie aus Omas Küche“nicht nur ein Spruch, sondern die reine Wahrheit. Hier backen nämlich wirklich echte „Omas“und die „Opas“liefern die feinen Süßigkeite­n aus. Das Ganze ist ein offenbar gut funktionie­rendes Projekt für aktive Seniorinne­n und Senioren, die auch nach dem Ende ihres „offizielle­n“Arbeitsleb­ens eine sinnvolle Beschäftig­ung suchen. Man trifft sich zum geselligen Backen, hat Zeit und Gelegenhei­t für ein nettes Gespräch, lernt neue Leute kennen und macht gemeinsam Kuchen, die wunderbar schmecken – so wie der feine Apfelkuche­n, den wir probiert haben.

Kreatives Experiment­alfeld

Zum Trinken gibt’s Augustiner und Tegernseer (0,5/2,50), Lammsbräu (0,3/2,60) und Gösser-Radler (2,60) aus der Flasche, k e i n e n Schnaps , dafür aber selbstgepr­esste Fruchtsäft­e und hausgemach­te Limonaden, bei denen die Kioskbetre­iber noch kreativ experiment­ieren. Für die Kids ist allerhand Süßes im Angebot – vor allem Sweets, die Johannes und Philipp schon immer selber gerne genascht haben: HariboMäus­e, Puffreis und BrauseKett­chen. Bei den Besuchen merkt man, dass es hier wohl schon ein „grundsätzl­iches“Konzept gibt, aber noch nicht alles endgültig feststeht und vieles noch in der Testphase ist. Das macht diesen alten „neuen“Kiosk und seine Betreiber interessan­t und das manchmal entstehend­e kleine Chaos sehr sympathisc­h. Denn hier möchte man mit viel Engagement und Tatkraft auch mal Neues wagen – und das ist gut so! Öde Verkaufsbu­den mit trockenen Wurst- und Käsesemmel­n nebst schlechtem Kaffee gibt es ja leider schon genug rund um und an der Isar. Im Mai feiert der „Kiosk 1917“sein hundertjäh­riges Jubiläum – schön dass er dazu von Johannes und Philipp aus dem Dornrösche­nschlaf geweckt wurde. Wir wünschen auf alle Fälle viel Erfolg für die nächsten hundert Jahre!

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Ein Schmuckstü­ck ...
 ??  ?? ... und echtem Omakuchen
... und echtem Omakuchen
 ??  ?? ... mit allem, was man so braucht ...
... mit allem, was man so braucht ...

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