Von Lügen nicht erpressen lassen
So durchschaut man die Fake News, blickt in die Hirne von Terroristen und wird wieder mitfühlend
Es ist das Stück zur Weltlage. Und die ächzt bekanntlich unter Großsprecherei, unhaltbaren Behauptungen und dreisten Fake News. Zwischen zwei und 200 Mal am Tag lügen wir – je nachdem, wie charmant man die Regeln auslegt. Mal sind es harmlose Übertreibungen, dann aber fiese Unwahrheiten, Unterstellungen, Auslassungen. Aber auch Höflichkeiten, Redefloskeln und gerissenes Schmeicheln machen die Suppe fett. Doch wie kann man Lügen zielführend entlarven? Wie helfen Mimik und Gestik weiter? Dieser bangen Frage möchte die LuegenInszenierung von Verena Regensburger mit Wiebke Puls und Kassandra Wedel klären. Das Spannende dabei: Auf der Bühne, die sich in ein Versuchslabor verwandelt, sitzen sich eine hörende und eine gehörlose Schauspielerin gegenüber. Nun geht es ums Dechiffrieren. (Kammerspiele, ab 21.4.)
Wie kann man fiese Verzerrungen und Hetze abwehren? Und wie schwer fällt es, im täglichen Miteinander noch auf so etwas Altmodisches wie das eigene Herz zu hören? Diese Frage beschäftigt nicht nur George Podt, den scheidenden Intendanten am Theater der Jugend. Schon Rainer Werner Fassbinder arbeitete sich daran in seinem legendären Kultfilm Angst essen Seele auf, der bereits 1974 in die Kinos kam. Die Hauptrolle des Ausländers Ali wurde nun besonders spannend und passend besetzt: Durch Ahmad Shakib Pouya, der auf seiner jahrelangen Odyssee nach einem vermeintlich besseren, auf jeden Fall zunächst einmal sichereren Leben ungezählte Angstsituationen durchleben musste. In einem Interview sagte er kürzlich: „Ich bekomme Unterstützung von Freunden und meiner Familie, aber ich weiß nicht, wie lange ich so leben kann“, so Pouya, der durch das Angebot eines Arbeitsvertrages, den das Theater direkt nach Kabul geschickt hatte, ein Visum für die Reise nach Deutschland bekam. „Ich will nur in Sicherheit sein. Ich versuche, die Hoffnung nicht zu verlieren. Aber ich habe Angst, dass es eines Tages wieder so weit ist, dass ich fliehen muss, um mich in Sicherheit zu bringen.“(Schauburg, ab 22.4.)
Was geht in Menschen vor, die gewohnte Bahnen verlassen – und in den Krieg ziehen? Irgendwo am grauen Rand der Stadt gibt es so ein Mädchen, das eines Tages Messer in ihren Rucksack packt. Sie verzehrt sich nach einem Mann, mit dem sie in einem sehr liebevollen Kurznachrichten-Chat steht. Ihm will sie nahe sein – er soll ihr Halt geben. Ähnlich tickt auch Pawlik, der sich nach seiner Rüzgar sehnt. Kurz entschlossen bricht er in die Ukraine auf – an die gar nicht so ferne Front. Schon bald könnte nachts ein Mann mit einem Gewehr auf der Straße stehen. Ein Bekannter? Ein Nachbar? Vielleicht sogar ein Freund? Regisseur Abdullah Kenan Karaca versucht sich unter dem Titel Verstehen Sie den Dschihadismus in acht Schritten an einem Kommentar zur Weltlage, die man kaum mehr verstehen kann. (Volkstheater, ab 23.4.)
War früher alles besser? Sicher nicht für den missgebildeten Quasimodo, der einst als Findelkind von einem Priester aufgenommen und in der Pariser Hauptkirche versteckt wurde. Zu grausam sprangen die Menschen draußen mit dem Gnom um. Und doch hat Der Glöckner von Notre Dame ein goldenes Herz. Das wollte uns schon Victor Hugo weismachen. Und das Musical unterstreicht das immer wieder kräftig. Alexander Kerbst hat den Stoff in ein packendes Musikstück verwandelt – getragen unter anderem von Startenor Dale Tracy. (Herkulessaal, 21.4.)
Wo wir schon beim Thema sind: Auch die weltberühmte West Side Story wühlt immer wieder auf, was nicht nur an der grandiosen, gnadenlos rhythmisierten Energie der Musik von Leonard Bernstein liegt. Es ist eben auch der mythische Spannungskern, der immer wieder bewegt. Erzählt die Streetgang-Geschichte doch eine der besten Stories der Literaturhistorie nach – „Romeo und Julia“. (Deutsches Theater, ab 25.4.)
Wer sich mal wieder auf den alten Meister Shakespeare einlassen möchte, muss nicht lange zaudern. Warten auf William, Esin Eraydins augenzwinkernd-freche Melange aus den besten Dramenpassagen, bietet ein Wiedersehen mit gleich vier Damen aus Shakespeares Feder. Lady Macbeth, Desdemona, Julia und Ophelia wollen nicht länger mit ihrem Schicksal hadern – sie nehmen es selbst in der Hand. Potzblitz! (Pasinger Fabrik, 21. bis 23.4.)
Viel prosaischer wirken im Vergleich die Aufbruchssehnsüchte der Büro-Damen aus dem Stück A a.m. des deutsch-japanischen Theaterkollektivs EnGawa. Die Office Ladys lassen sich schon in aller Früh von der Rushhour an ihre Schreibtische spülen, dann müssen Papiere abgearbeitet, das morgendliche Firmentraining absolviert, Meetings besucht, Überstunden geschoben werden. Und das Wichtigste: Permanentes Läster ist hier eine Überlebensstrategie im streng hierarischen Aktenordnerkosmos männlich Prägung. (Heppel & Ettlich, 15.4.)
Kann man den Männern überhaupt noch trauen? Julia von Miller ist sich da alles andere als sicher. Sie traut selbst guten, altgedienten Kollegen wie Anatol Regnier und Frederic Hollay kaum über den Weg, wenn es um Schnulzen und Liebeslieder geht. Bleib immer schön wachsam, das lehrt der Spiel-Theater- und Musikabend Liebe – Eine Zusammenstellung. (Fraunhofer, 25.4.)
Ähnlich misstrauisch ist Radmila Besic, die sich mit den beiden tanzenden „Gottesanbeterinnen“Rosalie Wanka und Cecilia Loffredo zusammengetan hat. Tempus fugit – Amor manet? Trägt das Fragezeichen nicht ohne Grund im Titel. Immerhin hat auch die Liebe ihre Gezeiten. Sie kommt und geht. Und irgendwann ist der Ofen kalt. (Theater Viel Lärm um Nichts, 21./22.4.)
Im Kern ein Liebesspiel, aber ein ganz gefährliches, steckt in dem Jugendstück Unter W@sser von JeanFrancoise Guilbault und Andréanne Joubert. Es erzählt vom schüchternen Nerd Louis, der sich Zugang zum schulinternen Intranet verschafft hat. Dort legt er sich ein anonymes Profil unter dem Tarnnamen „Narcissus“zu – und mutiert prompt zu einer Art pubertärem Superhelden. Ungemütlich wird es, als sich ausgerechnet seine eigene Schwester in den coolen Narziss verliebt. (Teamtheater Tankstelle, ab 26.4.)
Gleich drei packende, nicht ganz leichtverdauliche Stücke warten unter dem Übertitel The Ugly, the Drowned the Dead auf ein aufgeschlossenes Publikum. Darin dreht sich – aufgeschrieben von Marius von Mayenburg – alles zunächst um einen jungen Mann, dem eines Tages gesteckt wird, dass er doch tatsächlich unaussprechlich hässlich ist. Kurzerhand unterzieht er sich einer Schönheitsoperation, kommt danach aber mit seinem Leben kaum mehr zurande. Starker Tobak – und erst der Anfang eines bewegenden Abends. (Theater Und so fort, ab 27.4.)