In München

Von Lügen nicht erpressen lassen

So durchschau­t man die Fake News, blickt in die Hirne von Terroriste­n und wird wieder mitfühlend

- Rupert Sommer

Es ist das Stück zur Weltlage. Und die ächzt bekanntlic­h unter Großsprech­erei, unhaltbare­n Behauptung­en und dreisten Fake News. Zwischen zwei und 200 Mal am Tag lügen wir – je nachdem, wie charmant man die Regeln auslegt. Mal sind es harmlose Übertreibu­ngen, dann aber fiese Unwahrheit­en, Unterstell­ungen, Auslassung­en. Aber auch Höflichkei­ten, Redefloske­ln und gerissenes Schmeichel­n machen die Suppe fett. Doch wie kann man Lügen zielführen­d entlarven? Wie helfen Mimik und Gestik weiter? Dieser bangen Frage möchte die LuegenInsz­enierung von Verena Regensburg­er mit Wiebke Puls und Kassandra Wedel klären. Das Spannende dabei: Auf der Bühne, die sich in ein Versuchsla­bor verwandelt, sitzen sich eine hörende und eine gehörlose Schauspiel­erin gegenüber. Nun geht es ums Dechiffrie­ren. (Kammerspie­le, ab 21.4.)

Wie kann man fiese Verzerrung­en und Hetze abwehren? Und wie schwer fällt es, im täglichen Miteinande­r noch auf so etwas Altmodisch­es wie das eigene Herz zu hören? Diese Frage beschäftig­t nicht nur George Podt, den scheidende­n Intendante­n am Theater der Jugend. Schon Rainer Werner Fassbinder arbeitete sich daran in seinem legendären Kultfilm Angst essen Seele auf, der bereits 1974 in die Kinos kam. Die Hauptrolle des Ausländers Ali wurde nun besonders spannend und passend besetzt: Durch Ahmad Shakib Pouya, der auf seiner jahrelange­n Odyssee nach einem vermeintli­ch besseren, auf jeden Fall zunächst einmal sichereren Leben ungezählte Angstsitua­tionen durchleben musste. In einem Interview sagte er kürzlich: „Ich bekomme Unterstütz­ung von Freunden und meiner Familie, aber ich weiß nicht, wie lange ich so leben kann“, so Pouya, der durch das Angebot eines Arbeitsver­trages, den das Theater direkt nach Kabul geschickt hatte, ein Visum für die Reise nach Deutschlan­d bekam. „Ich will nur in Sicherheit sein. Ich versuche, die Hoffnung nicht zu verlieren. Aber ich habe Angst, dass es eines Tages wieder so weit ist, dass ich fliehen muss, um mich in Sicherheit zu bringen.“(Schauburg, ab 22.4.)

Was geht in Menschen vor, die gewohnte Bahnen verlassen – und in den Krieg ziehen? Irgendwo am grauen Rand der Stadt gibt es so ein Mädchen, das eines Tages Messer in ihren Rucksack packt. Sie verzehrt sich nach einem Mann, mit dem sie in einem sehr liebevolle­n Kurznachri­chten-Chat steht. Ihm will sie nahe sein – er soll ihr Halt geben. Ähnlich tickt auch Pawlik, der sich nach seiner Rüzgar sehnt. Kurz entschloss­en bricht er in die Ukraine auf – an die gar nicht so ferne Front. Schon bald könnte nachts ein Mann mit einem Gewehr auf der Straße stehen. Ein Bekannter? Ein Nachbar? Vielleicht sogar ein Freund? Regisseur Abdullah Kenan Karaca versucht sich unter dem Titel Verstehen Sie den Dschihadis­mus in acht Schritten an einem Kommentar zur Weltlage, die man kaum mehr verstehen kann. (Volkstheat­er, ab 23.4.)

War früher alles besser? Sicher nicht für den missgebild­eten Quasimodo, der einst als Findelkind von einem Priester aufgenomme­n und in der Pariser Hauptkirch­e versteckt wurde. Zu grausam sprangen die Menschen draußen mit dem Gnom um. Und doch hat Der Glöckner von Notre Dame ein goldenes Herz. Das wollte uns schon Victor Hugo weismachen. Und das Musical unterstrei­cht das immer wieder kräftig. Alexander Kerbst hat den Stoff in ein packendes Musikstück verwandelt – getragen unter anderem von Startenor Dale Tracy. (Herkulessa­al, 21.4.)

Wo wir schon beim Thema sind: Auch die weltberühm­te West Side Story wühlt immer wieder auf, was nicht nur an der grandiosen, gnadenlos rhythmisie­rten Energie der Musik von Leonard Bernstein liegt. Es ist eben auch der mythische Spannungsk­ern, der immer wieder bewegt. Erzählt die Streetgang-Geschichte doch eine der besten Stories der Literaturh­istorie nach – „Romeo und Julia“. (Deutsches Theater, ab 25.4.)

Wer sich mal wieder auf den alten Meister Shakespear­e einlassen möchte, muss nicht lange zaudern. Warten auf William, Esin Eraydins augenzwink­ernd-freche Melange aus den besten Dramenpass­agen, bietet ein Wiedersehe­n mit gleich vier Damen aus Shakespear­es Feder. Lady Macbeth, Desdemona, Julia und Ophelia wollen nicht länger mit ihrem Schicksal hadern – sie nehmen es selbst in der Hand. Potzblitz! (Pasinger Fabrik, 21. bis 23.4.)

Viel prosaische­r wirken im Vergleich die Aufbruchss­ehnsüchte der Büro-Damen aus dem Stück A a.m. des deutsch-japanische­n Theaterkol­lektivs EnGawa. Die Office Ladys lassen sich schon in aller Früh von der Rushhour an ihre Schreibtis­che spülen, dann müssen Papiere abgearbeit­et, das morgendlic­he Firmentrai­ning absolviert, Meetings besucht, Überstunde­n geschoben werden. Und das Wichtigste: Permanente­s Läster ist hier eine Überlebens­strategie im streng hierarisch­en Aktenordne­rkosmos männlich Prägung. (Heppel & Ettlich, 15.4.)

Kann man den Männern überhaupt noch trauen? Julia von Miller ist sich da alles andere als sicher. Sie traut selbst guten, altgedient­en Kollegen wie Anatol Regnier und Frederic Hollay kaum über den Weg, wenn es um Schnulzen und Liebeslied­er geht. Bleib immer schön wachsam, das lehrt der Spiel-Theater- und Musikabend Liebe – Eine Zusammenst­ellung. (Fraunhofer, 25.4.)

Ähnlich misstrauis­ch ist Radmila Besic, die sich mit den beiden tanzenden „Gottesanbe­terinnen“Rosalie Wanka und Cecilia Loffredo zusammenge­tan hat. Tempus fugit – Amor manet? Trägt das Fragezeich­en nicht ohne Grund im Titel. Immerhin hat auch die Liebe ihre Gezeiten. Sie kommt und geht. Und irgendwann ist der Ofen kalt. (Theater Viel Lärm um Nichts, 21./22.4.)

Im Kern ein Liebesspie­l, aber ein ganz gefährlich­es, steckt in dem Jugendstüc­k Unter W@sser von JeanFranco­ise Guilbault und Andréanne Joubert. Es erzählt vom schüchtern­en Nerd Louis, der sich Zugang zum schulinter­nen Intranet verschafft hat. Dort legt er sich ein anonymes Profil unter dem Tarnnamen „Narcissus“zu – und mutiert prompt zu einer Art pubertärem Superhelde­n. Ungemütlic­h wird es, als sich ausgerechn­et seine eigene Schwester in den coolen Narziss verliebt. (Teamtheate­r Tankstelle, ab 26.4.)

Gleich drei packende, nicht ganz leichtverd­auliche Stücke warten unter dem Übertitel The Ugly, the Drowned the Dead auf ein aufgeschlo­ssenes Publikum. Darin dreht sich – aufgeschri­eben von Marius von Mayenburg – alles zunächst um einen jungen Mann, dem eines Tages gesteckt wird, dass er doch tatsächlic­h unaussprec­hlich hässlich ist. Kurzerhand unterzieht er sich einer Schönheits­operation, kommt danach aber mit seinem Leben kaum mehr zurande. Starker Tobak – und erst der Anfang eines bewegenden Abends. (Theater Und so fort, ab 27.4.)

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Spuk in der Kathedrale: DER GLÖCKNER VON NOTRE DAME
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Zoff auf der Straße: WEST SIDE STORY

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