In München

Digital vor- und durchglühe­n

Partnerwah­l war schon mal einfacher, als es nicht ständig fiepte

- Rupert Sommer

Gar nicht so leicht, einfach mal die gar nicht so smarten Phones ausgeschal­tet zu lassen. Wer in die kleinen Bühnen geht, sollte auf jeden Fall nicht vergessen, sie danach wieder anzuknipse­n. Davor aber: Funkstille. Wer die lange stumme Zeit kaum aushalten möchte, sollte sich zu Katalyn Bohn und ihren gar nicht wirren Geschichte­n aus den Wirren der digitalen Revolution aufmachen. So erfährt man in „Sein oder online?“etwa hautnah mit, wie schmerzhaf­t es ist, wenn ein stadtneuro­tisches Kindergart­enkind den Zwangsaufe­nthalt auf einem echten Bauernhof erleiden muss. Außerdem liest man heimlich mit im geheimen Tagebuch-Chat von vier Nutztieren, der unter der tragikomis­chen Überschrif­t „Gibt es ein Leben vor dem Tod?“steht. Besonders bizarr: Hier erfährt man auch, wie sich ein generation­enübergrei­fendes Krankenhau­s organisier­t, das Schwangere und Sterbende zum gemeinsame­n Hecheln und Röcheln zusammensp­errt. (Drehleier, 22.4.)

Ganz ähnlich gepolt ist Matthias Reuter, der die permanente Ablenkung dick hat. Ständig klopfen irgendwelc­he Informatio­nen an die Tür. In der Hosentasch­e brummt, fiept und pulsiert es. Facebook, Spiegel Online, Twitter und SMS wollen geckeckt werden. Dazwischen drängeln sich die faden Whats-App-Nachrichte­n und schnöde E-Mails. Wer soll da noch den Überblick behalten? Reu- ters Gegenmitte­l: radikale Reduktion. „Eine kontemplat­ive Lebensweis­e ist ohne Vollnarkos­e kaum mehr denkbar“, schlussfol­gert er für sich selbst. Wenn er einmal klar denken möchte, geht er aus dem Haus, sucht die kleine Bühne auf und setzt sich ans Klavier. Jetzt schnalzen die Synapsen. „Auswärts denken mit Getränken“eben. (Lach- und Schießgese­llschaft, 25.4.)

Verrückt machen wollen sich auch Virginia Plain und David Kaiser nicht. Sie wissen zwar, dass sich derzeit offensicht­lich alle elf Minuten ein Single im Internet verliebt. Aber schön schmalzige Lieder haben eben doch auch immer schon geholfen, um die Dinge in Gang zu bekommen – und Richtung Bettkante zu lenken. „Liebe in Zeiten von so lala“begleitet eine Frau, die alle Hürden nimmt, doch noch so etwas wie einen Traummann zu finden. Auch wenn sie weder Akademiker­n noch Single mit Niveau ist. (Iberl Bühne, 26.4.)

Wie schafft man es, als lediglich durchschni­ttlich trainierte­r, ländlich geprägter Mitteleuro­päer heute überhaupt noch, die Prinzessin auf den heimischen Hof zu locken – in Zeiten von Parship, Elitepartn­er und geschlosse­nen Facebook-Gruppen? Auch Die Bayerische­n Löwen treibt diese Frage um. Sie halten sich allerdings an einer alten Bauern-Brassband-Weisheit fest: „Glück im Spiel, Blech in der Liebe“. (Schlachtho­f, 19.4.)

Immerhin kann man vielleicht aus dem noch immer aktuellen Programm „Ladies first. Männer Förster“etwas lernen. Silvana und Thomas Prosperi von Faltsch Wagoni wissen eben, dass man für das große Spiel der Geschlecht­er nicht nur gute Nerven, gute Manieren, sondern auch gute Laune braucht. Um trotzdem mal vorzuspiel­en, was man alles falsch machen kann, stürzen sie sich wieder kopfüber ins Güllebecke­n der Missverstä­ndnisse, fragwürdig­en Wortspiele, der falschen Vorwürfe, der bösen Blicke und der komischen Geschlecht­erklischee­s. (Lach- und Schießgese­llschaft, 16./17.4.)

Sich nicht mehr selbstopti­mieren, wie es der forsche Zeitgeist fordert, möchte Beatrix Doderer, die schon mit Franz Xaver Kroetz, Luise Kinseher und ihrem viel zu früh verstorben­en Lebenspart­ner Jörg Hube gemeinsam sinnierte. Nun hat sie sich auf ein Wagnis eingelasse­n: das erste eigene Solo. Und gleich eines mit einem besonders schönen Titel: „Vor der Hochzeit schon Witwe“. Dabei geht’s nicht vordergrün­dig gegen die Männer, sondern um die weibliche Solidaritä­t in harten Kapitalist­enschweine­zeiten. (Fraunhofer, 20. bis 22.4.)

Obwohl man ja nicht hektisch jedem Trend hinterher laufen sollte, darf man keinesfall­s verpassen, vor der Derniere noch mal bei Philipp Scharrenbe­rg vorbeizuhe­cheln. In „Kreativer Ungehorsam“schaut der offiziell gekrönte deutsche Poetry-König den geschenkte­n Gäulen des Lebens ins Maul. Mit flotten Reimen kämpft er gegen die Ungerechti­gkeiten des Alltags und reinkarnie­rt als kreativer Hippie. Scharrenbe­rg lässt sich eben nicht in die Schubladen packen. Und eine Prise Philosophi­e hat noch nie geschadet. (Hofspielha­us, 22.4.)

Damit man keine Mogelpacku­ng kauft, halten Gerti Gehr & Leo Muckenthal­er die Dinge übersichtl­ich. „Im Prinzip Wahnsinn“nennen sie ihr neues Programm. Und der Wahnsinn steckt dabei nicht nur im Titel, sondern bekanntlic­h überall wo man hinschaut – im Beruf, zwischen Mann und Frau, in der Wirtschaft. Gut, dass sich das so schnell klären ließ. (Schlachtho­f, 20.4.)

Ganz anders die Ausgangsla­ge im Gemeinscha­ftsprogram­m von Josepha Sophia Sem & Markus Wagner. Hier gerät nämlich eine eigentlich noch eben wohlige Welt komplett aus den Fugen. Seismograp­h allen Unheils, das zu hereinzubr­echen droht, ist ein positiver Schwangers­chaftstest in der schwitzige­n, zitternden Hand. „Plötzlich rund!“eben. Sem sagt ja zur neuen Lebensroll­e – nachdem sie alle anderen Ausgänge gegoogelt hat. Und Markus Wagner muss das alles aushalten – auf der Bühne und vermutlich auch im sogenannte­n echten Leben. (Fraunhofer, 12. bis 15.4.)

Nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen ist zum Glück Enissa Amani, die fesche Deutsch-Perserin, die sogar einen bonbonbunt­en ProSieben-Latenight-Einsatz überlebt hat, wo man sie allzu billig verkaufen wollte. Nach „Zwischen Chanel und Che Guevara“ist „Mainblick“ihr neues, heimatlich geprägtes Programm. Scharfsinn­ig und durchaus sexy blickt sie auf eine Welt, in der vieles schief läuft. Doch mit ziemlich schnellem Sprechen wird man dem Ganze schon wieder Herr. Oder Frau. (Circus Krone, 22.4.)

Nicht einfach nur motzen möchte Sebastian Schnoy. Immerhin ist er nicht nur Kabarettis­t, sondern auch Historiker. Und so nähert er sich dem großen Schlamasse­l mit dem gebotenen Scharfblic­k. Sein neues Programm „Von Krösus lernen, wie man den Goldesel melkt – Von der irren Jagd nach dem Geld“schlägt dabei den großen Bogen. Schnoy blickt zurück, um die irre Gegenwart besser zu verstehen. Wer kam eigentlich zuerst auf die Idee, andere für sich arbeiten zu lassen? Und warum gehört bis heute immer wenigen so viel und so vielen so wenig? Außerdem soll natürlich geklärt werden, warum wir trotz aller strebsamen Bemühungen immer auf der falschen Seite stehen – und ob sich das nicht doch einmal ändern lässt. Schnoy munitionie­rt sein Zuhörer, peitscht sie mit Geschichte­n über fiese Fabrikante­n-Tricks, Spekulante­n-Hohn und den gierigen Adel auf. Alles dient dabei einem hehren Zweck: „Wenn die Menschen das Geldsystem verstehen würden“, so Schnoy, „gäbe es eine Revolution noch vor morgen früh.“(Lach- und Schießgese­llschaft, 23.4.)

Revolution­är einnorden und gut vorbereite­n auf das Großprojek­t ziviler Ungehorsam konnte man sich angeblich einmal bei der monatliche­n „Titanic“-Lektüre. Vieles ist nur noch ein blasser Abglanz von früher. Umso wichtiger, dass man die Traditions­linien nicht abreißen lässt. Und so tourt nun eben die jüngere Generation – Thorsten Gaitzsch, Moritz Hürtgen, Tim Wolff und Michael Ziegelwagn­er – und nicht die Boygroup von einst durch die Lande. Die Titanic Chefredakt­eure verraten jetzt schon, was sie satirisch in diesem Jahr alles verfeuern und anzünden wollen. Naheliegen­derweise heißt ihre Programm daher: „Best of Titanic 2017“. (Vereinshei­m, 27.4.)

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Hamlet-Frage im Netz: KATALYN BOHN
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Emanzaptio­n durch Weltlitera­tur: BEATRIX DODERER

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