Digital vor- und durchglühen
Partnerwahl war schon mal einfacher, als es nicht ständig fiepte
Gar nicht so leicht, einfach mal die gar nicht so smarten Phones ausgeschaltet zu lassen. Wer in die kleinen Bühnen geht, sollte auf jeden Fall nicht vergessen, sie danach wieder anzuknipsen. Davor aber: Funkstille. Wer die lange stumme Zeit kaum aushalten möchte, sollte sich zu Katalyn Bohn und ihren gar nicht wirren Geschichten aus den Wirren der digitalen Revolution aufmachen. So erfährt man in „Sein oder online?“etwa hautnah mit, wie schmerzhaft es ist, wenn ein stadtneurotisches Kindergartenkind den Zwangsaufenthalt auf einem echten Bauernhof erleiden muss. Außerdem liest man heimlich mit im geheimen Tagebuch-Chat von vier Nutztieren, der unter der tragikomischen Überschrift „Gibt es ein Leben vor dem Tod?“steht. Besonders bizarr: Hier erfährt man auch, wie sich ein generationenübergreifendes Krankenhaus organisiert, das Schwangere und Sterbende zum gemeinsamen Hecheln und Röcheln zusammensperrt. (Drehleier, 22.4.)
Ganz ähnlich gepolt ist Matthias Reuter, der die permanente Ablenkung dick hat. Ständig klopfen irgendwelche Informationen an die Tür. In der Hosentasche brummt, fiept und pulsiert es. Facebook, Spiegel Online, Twitter und SMS wollen geckeckt werden. Dazwischen drängeln sich die faden Whats-App-Nachrichten und schnöde E-Mails. Wer soll da noch den Überblick behalten? Reu- ters Gegenmittel: radikale Reduktion. „Eine kontemplative Lebensweise ist ohne Vollnarkose kaum mehr denkbar“, schlussfolgert er für sich selbst. Wenn er einmal klar denken möchte, geht er aus dem Haus, sucht die kleine Bühne auf und setzt sich ans Klavier. Jetzt schnalzen die Synapsen. „Auswärts denken mit Getränken“eben. (Lach- und Schießgesellschaft, 25.4.)
Verrückt machen wollen sich auch Virginia Plain und David Kaiser nicht. Sie wissen zwar, dass sich derzeit offensichtlich alle elf Minuten ein Single im Internet verliebt. Aber schön schmalzige Lieder haben eben doch auch immer schon geholfen, um die Dinge in Gang zu bekommen – und Richtung Bettkante zu lenken. „Liebe in Zeiten von so lala“begleitet eine Frau, die alle Hürden nimmt, doch noch so etwas wie einen Traummann zu finden. Auch wenn sie weder Akademikern noch Single mit Niveau ist. (Iberl Bühne, 26.4.)
Wie schafft man es, als lediglich durchschnittlich trainierter, ländlich geprägter Mitteleuropäer heute überhaupt noch, die Prinzessin auf den heimischen Hof zu locken – in Zeiten von Parship, Elitepartner und geschlossenen Facebook-Gruppen? Auch Die Bayerischen Löwen treibt diese Frage um. Sie halten sich allerdings an einer alten Bauern-Brassband-Weisheit fest: „Glück im Spiel, Blech in der Liebe“. (Schlachthof, 19.4.)
Immerhin kann man vielleicht aus dem noch immer aktuellen Programm „Ladies first. Männer Förster“etwas lernen. Silvana und Thomas Prosperi von Faltsch Wagoni wissen eben, dass man für das große Spiel der Geschlechter nicht nur gute Nerven, gute Manieren, sondern auch gute Laune braucht. Um trotzdem mal vorzuspielen, was man alles falsch machen kann, stürzen sie sich wieder kopfüber ins Güllebecken der Missverständnisse, fragwürdigen Wortspiele, der falschen Vorwürfe, der bösen Blicke und der komischen Geschlechterklischees. (Lach- und Schießgesellschaft, 16./17.4.)
Sich nicht mehr selbstoptimieren, wie es der forsche Zeitgeist fordert, möchte Beatrix Doderer, die schon mit Franz Xaver Kroetz, Luise Kinseher und ihrem viel zu früh verstorbenen Lebenspartner Jörg Hube gemeinsam sinnierte. Nun hat sie sich auf ein Wagnis eingelassen: das erste eigene Solo. Und gleich eines mit einem besonders schönen Titel: „Vor der Hochzeit schon Witwe“. Dabei geht’s nicht vordergründig gegen die Männer, sondern um die weibliche Solidarität in harten Kapitalistenschweinezeiten. (Fraunhofer, 20. bis 22.4.)
Obwohl man ja nicht hektisch jedem Trend hinterher laufen sollte, darf man keinesfalls verpassen, vor der Derniere noch mal bei Philipp Scharrenberg vorbeizuhecheln. In „Kreativer Ungehorsam“schaut der offiziell gekrönte deutsche Poetry-König den geschenkten Gäulen des Lebens ins Maul. Mit flotten Reimen kämpft er gegen die Ungerechtigkeiten des Alltags und reinkarniert als kreativer Hippie. Scharrenberg lässt sich eben nicht in die Schubladen packen. Und eine Prise Philosophie hat noch nie geschadet. (Hofspielhaus, 22.4.)
Damit man keine Mogelpackung kauft, halten Gerti Gehr & Leo Muckenthaler die Dinge übersichtlich. „Im Prinzip Wahnsinn“nennen sie ihr neues Programm. Und der Wahnsinn steckt dabei nicht nur im Titel, sondern bekanntlich überall wo man hinschaut – im Beruf, zwischen Mann und Frau, in der Wirtschaft. Gut, dass sich das so schnell klären ließ. (Schlachthof, 20.4.)
Ganz anders die Ausgangslage im Gemeinschaftsprogramm von Josepha Sophia Sem & Markus Wagner. Hier gerät nämlich eine eigentlich noch eben wohlige Welt komplett aus den Fugen. Seismograph allen Unheils, das zu hereinzubrechen droht, ist ein positiver Schwangerschaftstest in der schwitzigen, zitternden Hand. „Plötzlich rund!“eben. Sem sagt ja zur neuen Lebensrolle – nachdem sie alle anderen Ausgänge gegoogelt hat. Und Markus Wagner muss das alles aushalten – auf der Bühne und vermutlich auch im sogenannten echten Leben. (Fraunhofer, 12. bis 15.4.)
Nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen ist zum Glück Enissa Amani, die fesche Deutsch-Perserin, die sogar einen bonbonbunten ProSieben-Latenight-Einsatz überlebt hat, wo man sie allzu billig verkaufen wollte. Nach „Zwischen Chanel und Che Guevara“ist „Mainblick“ihr neues, heimatlich geprägtes Programm. Scharfsinnig und durchaus sexy blickt sie auf eine Welt, in der vieles schief läuft. Doch mit ziemlich schnellem Sprechen wird man dem Ganze schon wieder Herr. Oder Frau. (Circus Krone, 22.4.)
Nicht einfach nur motzen möchte Sebastian Schnoy. Immerhin ist er nicht nur Kabarettist, sondern auch Historiker. Und so nähert er sich dem großen Schlamassel mit dem gebotenen Scharfblick. Sein neues Programm „Von Krösus lernen, wie man den Goldesel melkt – Von der irren Jagd nach dem Geld“schlägt dabei den großen Bogen. Schnoy blickt zurück, um die irre Gegenwart besser zu verstehen. Wer kam eigentlich zuerst auf die Idee, andere für sich arbeiten zu lassen? Und warum gehört bis heute immer wenigen so viel und so vielen so wenig? Außerdem soll natürlich geklärt werden, warum wir trotz aller strebsamen Bemühungen immer auf der falschen Seite stehen – und ob sich das nicht doch einmal ändern lässt. Schnoy munitioniert sein Zuhörer, peitscht sie mit Geschichten über fiese Fabrikanten-Tricks, Spekulanten-Hohn und den gierigen Adel auf. Alles dient dabei einem hehren Zweck: „Wenn die Menschen das Geldsystem verstehen würden“, so Schnoy, „gäbe es eine Revolution noch vor morgen früh.“(Lach- und Schießgesellschaft, 23.4.)
Revolutionär einnorden und gut vorbereiten auf das Großprojekt ziviler Ungehorsam konnte man sich angeblich einmal bei der monatlichen „Titanic“-Lektüre. Vieles ist nur noch ein blasser Abglanz von früher. Umso wichtiger, dass man die Traditionslinien nicht abreißen lässt. Und so tourt nun eben die jüngere Generation – Thorsten Gaitzsch, Moritz Hürtgen, Tim Wolff und Michael Ziegelwagner – und nicht die Boygroup von einst durch die Lande. Die Titanic Chefredakteure verraten jetzt schon, was sie satirisch in diesem Jahr alles verfeuern und anzünden wollen. Naheliegenderweise heißt ihre Programm daher: „Best of Titanic 2017“. (Vereinsheim, 27.4.)