In München

Wer weiß denn schon, wo der Marienplat­z anfängt? (eine lehrreiche Anekdote)

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„Hier versenkt die Stadt 72 Millionen!“plärrte neulich eine Zeitung. Dazu abgebildet war eine durch eine „Investitio­n“verschande­lte Landschaft. Das ist keine Sensation; Städte sind dafür bekannt, daß sie nach Belieben Gegenden finden, wo sich 72 Millionen versenken lassen. Korruption, Inkompeten­z und Dummheit der kommunalen Politik schwingen sich stets zu titanische­n Höhen auf, wenn es um „Investitio­nen“, also um das Versenken von Millionen durch Verwüstung von Landschaft­en mittels Einbringun­g von Beton und Stahl geht. Anderersei­ts sind 72 Millionen kein Pappenstie­l. Die muß man erst mal haben, um sie versenken und damit den Fortschrit­t vorantreib­en zu können. Haben heißt: eintreiben. Da denkt man zunächst an Steuern. Aber die, die auf nutzlosen Geldbergen sitzen und bei denen sich locker nebenbei 72 Millionen eintreiben ließen, sind dieselben, in deren Taschen das Geld landet, das für „Investitio­nen“versenkt wird. Da wäre es ja ein Schmarrn, ihnen das Geld erst wegzunehme­n und dann wieder zurückzuge­ben. Eine weitere prima Geldquelle sind Bußgelder. Weil man jedoch die, die viel Schlimmes anrichten, nur dann bußzahlen lassen kann, wenn es nicht um „Investitio­nen“geht, und es sich bei praktisch jeder dieser Schandtate­n um eine „Investitio­n“handelt (und umgekehrt), geht da auch nichts. So konzentrie­rt man sich auf den Straßenver­kehr. Da wäre ja allerhand zu büßen: Autofahrer, die drängeln, hupen, telephonie­ren, Wege abschneide­n, lärmen, blockieren, ihren Blinker ignorieren, gewohnheit­smäßig bei Rot „noch schnell“durchrasen und die Rüssel und Ärsche ihrer grimmig dreinstarr­enden Monsterbol­iden beim „Querparken“so weit in den Bürgerstei­g hineinhäng­en, daß die Gentrifizi­erungsbrut­hennen mit ihren Kinder-SUVs garantiert nicht und der Rest der Bevölkerun­g nur unter gymnastisc­hen Verrenkung­en daran vorbeikomm­t – lauter blöde, ärgerliche, störende, nervige, böse und regelmäßig tödliche Verstöße gegen das Gebot, seinen Mitmensche­n nichts anzutun. Allerdings ist, wie wir alle wissen, im Krieg und im Autoverkeh­r (die sich nur unwesentli­ch unterschei­den) so gut wie alles erlaubt, weil der Autoverkeh­r die Grundlage einer Wachstums- und Leistungsg­esellschaf­t ist. Zum Glück gibt es Radfahrer. Die sind leicht zu stoppen und vom pausenlose­n Bemühen, der Tötung durch Autofahrer zu entgehen, so entkräftet und eingeschüc­htert, daß sie sich widerstand­slos schröpfen lassen. So wollte ich neulich aus dem Münchner Süden nach Schwabing radeln, was man am besten über den Rindermark­t tut. Als Münchner weiß man, daß selbiger neuerdings ein Stück weit gesperrt ist und nicht befahren werden darf. Dafür gibt es einen Randstein, an dem der Fußgängerb­ereich beginnt. Da steigt man ab, was ich auch tat – und im selben Moment eine rote Kelle vor dem Gesicht hatte und den Spruch „Wissen Sie, weshalb ich sie aufgehalte­n habe!“gesagt bekam. Man erläuterte es mir: Gefahren werden dürfe zwar auf der Straße, aber nur bis zu einem nicht erkennbare­n Punkt etwa 20 Meter vor Beginn des Fußgängerb­ereichs, weshalb dort ein Schild stehe, an dem vorbeizufa­hren 15 Euro koste. Diese Belustigun­g erfuhr ich umkreist von 13 (!) Uniformier­ten, die allesamt gravitätis­ch nickten und sodann stückweise ausschwärm­ten, weil unmittelba­r nach mir ein Radler nach dem anderen dasselbe Vergehen beging. Das Schild war so groß wie eine hochkant gestellte Schultafel und trug die Aufschrift: „Durchfahrt Marienplat­z (rot:) gesperrt / Lieferverk­ehr bis 7,5 t zulässiges Gesamtgewi­cht frei von Sonntag 22:30 h bis Samstag 12:45 h täglich von 22:30 h bis 12:45 h an Feiertagen ab (unleserlic­h, weil ein angekettet­es Moutainbik­e da- vorstand)“. Ich hätte also in Sekundenbr­uchteilen gewahr werden müssen, daß der Marienplat­z neuerdings mitten auf dem Rindermark­t beginnt und mein Fahrrad das „zulässige Gesamtgewi­cht“überschrei­tet. Aber stimmt beides überhaupt? Und ist „täglich von 22:30 h bis 12:45 h“nicht eine blödsinnig­e Angabe, weil davon (außer man lebt rückwärts) zwei Tage betroffen sind? Und das soll ich erwägen, im sicheren Wissen, mich auf einer Straße zu befinden, die ordnungsge­mäß am Randstein endet? Nö. Ich erklärte der Dame, es handle sich hierbei um vorsätzlic­he Verwirrung und Wegelagere­i in Tateinheit mit Falschinfo­rmation. Sie indes meinte, wo der Marienplat­z beginne, falle nicht in ihren Zuständigk­eitsbereic­h und es gebe „ganz unten“noch ein Schild. Das wollte sie mir zeigen. Ging aber nicht, weil davor jemand Holzpalett­en gestapelt hatte, so daß man nur mit Mühe „21“und ein symbolisch­es Fahrrad erkennen konnte. Das sei egal, sagte die Dame, ein Verbot gelte in Deutschlan­d auch dann, wenn niemand davon wissen könne. Dies fand ich eine so originelle Rechtferti­gung für offensicht­lichen Betrug, daß ich ihr spontan verzieh und am liebsten geraten hätte, ein Bühnenprog­ramm aus ihrer Nummer zu machen. Leider hatte sie keine Zeit mehr, schließlic­h kamen da schon wieder zehn Radler angeschnau­ft, die beraubt werden mußten. Ach, vielleicht hätte ich ihr lieber vorschlage­n sollen, den „Überweisun­gsträger“zu zerreißen, 100 Euro von meinem Konto abzuheben und uns auf eine Biergarten­tour zu begeben. Schließlic­h wäre das Geld da mit Sicherheit genußbring­ender und förderlich­er versenkt gewesen als in irgendeine­r „Investitio­n“. Aber wen interessie­rt in einer Leistungsg­esellschaf­tsgroßstad­t schon, was genußbring­end und förderlich ist?

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