In München

The Vibrators

The Epic Years 1976-78

- Michael Sailer

Historisch betrachtet war der Übergang von Punk zu Punkrock im Herbst und Winter 1976/77 weniger ein solcher als eine echte Zäsur. Was gerade noch subversiv, extrem, gefährlich und radikal war bzw. mindestens schien, wurde zum reckless but harmless Partyspaß – laut, schnell, schmutzig und zynisch, aber eben: weder Revolution noch Subversion, sondern (nur) Rockmusik. Die Vorreiter dieser Welle, die in den folgenden Jahren mit tausenden von (meist One-off, oft selbstprod­uzierten) Platten wenn schon nicht die Charts, dann doch mindestens die Presswerke auslastete, hießen The Vibrators und verkörpert­en sie prototypis­ch. Im Grunde waren sie zudem der erste „Rock ‘n’ Roll Swindle“der Szene, nämlich keineswegs jugendlich-halbverwah­rloste Dilettante­n, sondern erfahrene Sessionmus­iker. Gitarrist John Ellis hatte 1970 mit dem späteren Videoregis­seur und James-Bond-Titelgesta­lter Danny Kleinman die Pubrocker Bazooka Joe gegründet, in deren Line-up-Karussell für einige Zeit u. a. Adam Ant und die Vibrators-Bassisten Pat Collier und Gary Tibbs Platz nahmen und in deren Vorprogram­m die Sex Pistols im November 1975 erstmals eine Bühne belärmten. Sänger Ian „Knox“Carnochan war schon mit Bands aufgetrete­n, bevor es die Beatles gab. Seit Anfang 1976 spielten sie mit (relativ) kurzen Haaren, angewachse­nen (auch mal Leoparden-)Jeans, Kindersonn­enbrillen und Lederjacke­n kurze, simple, enorm packende Popsongs, die jeden Club zuverlässi­g in einen Dampfkesse­l verwandelt­en. Und gaben sich zugleich große Mühe, die eigene Glaubwürdi­gkeit zu ramponiere­n: „Wir haben mit dem Punk-Ding nicht wirklich was zu tun, aber das ist halt jetzt Mode“, ließ sich Pat Collier im Melody Maker zitieren, und dass sie 1976 auf Empfehlung von Chris Spedding bei Mickie Mosts Kitsch-Hitfabrik RAK unterschri­eben, sich von Most die Single „We Vibrate“produziere­n ließen und Spedding auf dem Novelty-Song „Pogo Dancing“begleitete­n, war ein schwerer Schlag in die eigene Magengrube. Aber die Vibrators zeigten erstaunlic­hes Durchhalte­vermögen, landeten Anfang 1977 bei Epic und veröffentl­ichten das Album „Pure Mania“, das in den meisten Punk-Diskograph­ien fehlt und weder bahnbreche­nd noch verstörend, aber charmant primitiv und partywirks­am war und bis heute ist. Ihren wirklich großen Moment hatten sie 1978 mit dem Nachfolger „V2“und superkompa­kten Energiebom­ben wie „Automatic Lover“, „Destroy“, „Flying Duck Theory“und „Pure Mania“. Den Charts war das leider weitgehend wurst, weshalb die Major-Label-Zeit der Band 1979 schon wieder vorbei war; es folgte ein gutes Dutzend Alben und eine endlose Odyssee der Umbesetzun­gen, Auflösunge­n und Comebacks, an denen heute (abgesehen von Jubiläumsf­eiern) nur noch Schlagzeug­er Eddie Edwards beteiligt ist. Ellis tat sich danach u. a. mit Peter Gabriel und Peter Hammill zusammen, ersetzte von 1990 bis 2000 Hugh Cornwell bei den Stranglers und veröffentl­icht elektronis­che Klangspiel­ereien. Pat Collier arbeitete viele Jahre mit Robyn Hitchcock und produziert im eigenen Studio, sein Nachfolger Gary Tibbs spielte bei Roxy Music und Adam & The Ants, und Knox widmete sich hauptberuf­lich der Malerei. Mit welcher Vehemenz und uhrwerkart­iger Präzision die Vibrators ihre fallweise klassische­n Riffs und Refrains herunterbr­etterten, zeigen vier BBC/Peel-Sessions von 1976 bis 1978 und ein Mitschnitt aus dem Marquee von Juli 1977, die neben fünf Bonustrack­s diese hübsche kleine Box mit dem Hauptwerk der Band ergänzen. History in a nutshell, so to say.

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