Ziemowit Szczerek
Es geht um die nackte Haut, im ukrainischen Hinterland, in Berliner Abbruchhäusern und im Donau-Delta
Warum immer das staubige Texas, das gottverlassene Hinterwald-Amerika oder die öden Kakteen-Wüsten von Mexiko? Eigentlich kann man doch auch ganz gut in der Ukraine versandeln – und Staub schlucken. Ziemowit
Szczerek, streitbarer Journalist, Intellektueller und 1978 im polnischen Radom geboren, hatte ohnehin nicht viel Auswahl, als er ganz für sich „on the road“ziehen wollte. Seinem großen Vorbild, dem Gonzo-Meister und „Fear and Loathing in Las Vegas“-Autor Hunter S. Thompson, nacheifernd. Also packte er Flachmann und Kippen ein, um jahrelang die Ukraine zu durchstromern von Lwiw bis Odessa, von Tschernowitz bis Dnipro. Ständige Begleiter dabei: Alkoholismus, Korruption und Verfall – und all das noch dazu schön karikaturenhaft verzerrt. In „Mordor kommt und frisst uns auf“führt der Autor seine Leser an der Nase herum und treibt die gängigen Klischees vom postsowjetischen Dschungel und dem Wilden Osten ins Absurde. Stattdessen kommt eine fiese Entlarvung der Überheblichkeit, der Ignoranz und der Eintrübung heraus, die den westlichen Blick auf die östlichen Weiten ausmachen. Starker Tobak. Verspricht viel Spaß. (Muffatcafé, 2.6.)
Das Donau-Delta in Rumänien ist auch eine vergessene Welt, die noch heute aus der Zeit gefallen scheint. Wie viel fremder war sie zu Beginn des letzten Jahrhunderts, als dort noch die Pest tobte und viele Flussfischer in die Emigration trieb. Catalin Dorian Florescu hatte mit „Der Mann, der das Glück bringt“einen aufregenden, komisch bis tragischen, aber immer bewegenden Roman über einen jungen Mann aus dem sehr alten Osten geschrieben, der im Räuber-New York der Jahrhundertwende-Zeit Fuß zu fassen versucht. (Stadtbibliothek Neuhausen, Nymphenburger Str. 171a, 30.5.)
Hochgradig aufgeheizt ist auch die Grundstimmung im „Ein Lied für Dulce“-Road-Roman des Franzosen
Sylvain Prudhomme. Er siedelt die Handlung im westafrikanischen Guinea-Bissau an. Hier trauert Couto, einstiger Gitarrist der Band Super Mama Djombo, seiner großen Liebe nach – einst Sängerin der Combo. Er zieht von Bar zu Bar, lässt Erinnerungen, Bilder und Konzert-Flashbacks von Dulce auferstehen, während draußen der Teufel tobt. Die Generäle rüsten sich mal wieder zu einem brutalen Putsch. Der Druck im Kessel steigt. Vorangetrieben wird die spannende Lesung von treibenden Grooves – von Malan Mane und Djnon Motta von Super Mama Djombo. (Literaturhaus, 31.5.)
Eigentlich klingt ja auch „Schlafen werden wir später“wie ein typisches Rock’n’Roller-Motto. Bei der Schriftstellerin Márta, Heldin im neuen Roman von Zsuzsa Bánk („Der Schwimmer“), hat das eine sehr ernste Note: Sie kämpft mit den Widrigkeiten des Alltags und der steten Sorge, mit Mann und drei Kindern in einer deutschen Großstadt nicht einfach unterzugeben. Kraft könnte eigentlich ihr E-Mail-Wechsel mit ihrer deutschen Freundin Johanna geben, die selbst ein schweres Päckchen zu tragen hat: Ihr Mann hat sie verlassen, der Krebs, der eigentlich überwunden schien, kehrt doch zurück. Und immer wieder bringen sie die Gespenster der Vergangenheit um den Schlaf. (Literaturhaus, 29.5.)
Abtauchen im grauen deutschen Alltag ist dagegen für Kodjo Awusi, der schon seit Jahren in Berlin lebt, so gut wie einziger Lebensinhalt: Überleben. Nicht auffallen. Darum geht’s. Awusi ist „Illegal“im Land, so auch der Titel des packenden neuen Krimis von Max Annas. Der DeutscherKrimipreis-Gewinner erzählt von einem beklemmenden moralischen Dilemma: Eines Tages beobachtet der Afrikaner von einem Abrisshaus, in dem er sich versteckt, einen Mord – und sieht genau, wer der flüchtige Täter war. Doch dann gerät alles durcheinander: Der Mörder lässt Awusi jagen. Und die Polizei meint schon einen sehr konkreten Täterhinweis zu haben: Sie hetzt einem jungen schwarzen Mann hinterher. (Polka Bar, Pariser Str. 38, 6.6.)
Die atemlose Jagd ist natürlich auch der Motor, der lange die legendäre „Spion & Spion“-Comicreihe im Satiremagazin „Mad“vorangetrieben hat. 1997 übernahm Peter Kuper die von Antonio Prohias kreierte Serie. Außerdem zeichnet Kuper für die „New York Times“und arbeitet sich immer wieder an den düsteren Geschichten von Franz Kafka ab. Ein Mann also, den man kennenlernen muss. (Jüdisches Museum, 25.5.)
Rupert Sommer