Hippie-Hit für heute
Standing ovations: „Jesus Christ Superstar“in der Reithalle
„Woher kommen wir? Wonach suchen wir? Wohin gehen wir?“Die Fragen aller Fragen des Menschseins, zu Beginn an Wände und auf den Boden gebeamt: Sie werden am Ende wieder da sein, wenn Jesus nach der Kreuzigung herabgestiegen ist und sich von Judas per Handschlag verabschiedet. Diese Fragen sind die philosophisch-existenzielle Klammer, die Josef E. Köpplinger um seine gut zweistündige Inszenierung von „Jesus Christ Superstar“setzt. Und von Anfang an macht er klar: eine „Mischung aus Hair und Oberammergau“, wie eine frühere Produktion der zur Hochzeit der Hippies 1971 uraufgeführten Rockoper von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice einmal beschrieben wurde, wird das nicht. In der Menge der Observierer, zur Overtüre füllen sie in schwarzen Trenchcoats den Raum, taucht Jesus auf. Und der ihn spielt, Armin Kahl, ist weit weg von allen üblichen Jesus-Bildern. Beanie, lässiger Cardigan mit Kapuze, enge Jeans, Turnschuhe, zum Kurzhaarschnitt ein Unterlippenbärtchen: der stilbewusste Leader passt gut zu seinen „Jüngern“mit ihrer Street-Credibility, den modisch zerschlissenen Jeans und den Tattoos. „Vote for Jesus“fordern sie auf Plakaten, das Smartphone ist selbstverständlich immer dabei, und das letzte Abendmahl später werden sie mit Hamburger, Pizza und Dosendrinks feiern. Diese Produktion des Gärtnerplatztheaters in der Reithalle erzählt wenig von Religion, aber viel von Rebellion und Mitläufertum in einem Autokraten-Staat, in dem mafiöse Dunkelmänner die Fäden ziehen, der Statthalter Pontius Pilatus ein Mussolini ist (Erwin Windegger) und der König, Herodes (Previn Moore), ein exaltiertes Glitterpummelchen ist, von Show-Girls umschwirrt. Nur konsequent ist, dass die JesusFans – und das sind viele, mit den Mitgliedern des Gärtnerplatz-Chores tummeln sich da um die 50 Leute auf der Bühne – viele Gesichter haben: sie sind geile Konsumenten mit Einkaufswägen – die Tempel-Szene mit süffisanter Konsumkritik. Sie sind Pressemeute bei der Verhaftung von Jesus. Und sie sind die keifende, nur mühsam zu bändigende Menge, die die Kreuzigung fordert: auf der leeren, nach hinten von einer Metallbrücke durchschnittenen Bühne von Rainer Sinell reicht hierfür eine Leiter, die Jesus besteigt und die Arme ausbreitet. Die Musik von Lloyd Webber mit ihrem Stil-Mix – von Rock über Folk bis zum Soft-Beat, vom Soul bis zum Charleston – hat nichts von ihrem Reiz verloren. Auch wenn die Soundtechnik manchmal noch bastelt: das Staatsorchester vom Gärtnerplatz unter der Leitung von Jeff Frohner verdient die Standing Ovations genauso wie die Darsteller und ihre Stimmen. Armin Kahl, mal soft, zweifelnd, dann wieder willensstark bis zornig: dieser andere Jesus bleibt einem gerade mit seinen Brüchen im Sinn. Bettina Mönch als Maria Magdalena ist keine Prostituierte, sondern eine moderne Frau, der die Liebe in die Quere kommt. Judas hat die rockigsten Parts: David Jakobs sieht ein bisschen aus wie Bon Jovi, singt aber um Längen besser und bläst einem mit seiner Power schon mal das Ohr weg. Köpplingers Regie, die auch in den Massenszenen nie den Blick fürs Detail verliert, schafft es, den angestrebten Plan einzulösen. Man ergötzt sich nicht nur am Erwartbaren, wie etwa die stimmigen Choreografien von Ricarda Ludigkeit, nein, man nimmt was fürs Hirn mit: aus der Basis der alten Geschichte wird Bedenkenswertes für heute destilliert. Ein Mehrwert, dem man als Musical-Zuschauer nur selten begegnet.