Komm, lass Menschen gucken
Thomas Struth im Haus der Kunst
Haben Sie sich eigentlich schon mal Gedanken gemacht, wie Sie aussehen, wenn sie gerade im Museum vor einem Kunstwerk stehen? Ne, oder? Und haben Sie sich schon mal Gedanken gemacht, warum Sie überhaupt ins Museum gehen? „Mein Gott, wegen der Kunst,“werden Sie jetzt sagen, „was soll die Fragerei?“. Ja klar, wegen der Kunst, aber was heißt das denn genau? Was genau interessiert uns an der Kunst? Dass sie schön bunt ist? Also manchmal. Dass sie schön ist? Manchmal. Was wollen wir von der Kunst? Was soll sie uns geben? Oder nehmen? Soll sie uns erfreuen oder beeindrucken oder stören? Oder was? Oder ist sie einfach ein Teil des gesellschaftlichen Lebens, an dem wir teilnehmen, wenn wir in Ausstellungen gehen? Man will ja kulturell performen und mitreden können. Denn leisten, im Sinne von besitzen, kann sich Kunst ja nur ein sehr geringer Prozentsatz. Sehnse. Kann man schon mal nachfragen bei sich selbst. Als es in den 80er-Jahren plötzlich voll okay wurde, in Museen zu gehen, fiel das dem Fotografen Thomas Struth (geb. 1954) auf und er fing an, Menschen in Museen zu beobachten. Mit der Kamera. Das Ergebnis ist seine wohl berühmteste Serie „Museumsbilder“, die Menschen in Museen zeigt. Moment, das ist nicht korrekt: Sie zeigt die Wechselwirkung von Kunst, Mensch und Museum. Höhepunkt dieser Serie sind die Aufnahmen, die er zum 500-jährigen Jubiläum von Michelangelos „David“2004 in der Galleria dell’Accademia in Florenz umgesetzt hat. Eine Auftragsarbeit, die er ganz im Struthschen Sinne angegangen ist. Der sagenumwobene David ist nie im Bild, dafür die Menschen, die von überallher kamen, um ihn zu sehen. Große, kleine, dicke, dünne, sonnenverbrannte, kurzbehoste, mit Fotoapparaten bewaffnete Menschenmengen. Sie alle wurden fotografiert in dem Moment, in dem sie diesem David begegnen und sich nun fragen Was soll das eigentlich eigentlich? Was haben diese 6 Tonnen Marmor mit mir zu tun? „Thomas Struth – Figure Ground“heißt die Werkschau im Haus der Kunst, die 130 Arbeiten, zwei Videoinstallationen und eine Auswahl von Archivmaterial zeigt. Und warum schaut man sich Arbeiten von Thomas Struth an? Um der Welt zu begegnen. Um sich in der Welt zu begegnen. Um sich aus dem Alltag zu kippen und Zeit zu geben beim Beobachten und Durchdenken der Dinge, die einen umgeben. Struhts Bilder schulen das „präzise Sehen“, er will, dass man genau hinschaut. Ihm geht es nicht um Effekte, obwohl einige seiner Bilder durchaus effektvoll sind. Worum es ihm formal geht: um Komposition, um Bildaufbau. Nicht umsonst studierte er erst Malerei bei Gerhard Richter in Düsseldorf, bevor er 1976 dann zu Bernd und Hilla Becher in die neue Fotoklasse wechselte. Die Freude an der Kunst der Komposition hat er mitgenommen und weiter ausgebaut. Aber diese Freude am Formalen ist niemals Selbstzweck, sie ist immer dafür da, den eigentlichen Inhalt sichtbar zu machen. Seine Porträtserie zeigt das besonders deutlich. Struth fotografierte immer wieder und eher beiläufig Freunde und Familien, die ihm begegnen. Dabei inszeniert und drapiert er nichts. Kleidung, Haltung, Position – all das ist den Protagonisten überlassen, Struth hält fest, was sich ihm zeigt. Und das ist eine Menge, denn im Ungeplanten offenbart sich das Unbewusste. Zum Beispiel das ältere, japanische Ehepaar, das er 1991 in Tokio fotografiert hat. Er ist der Maler Tomoharu Murakami. Er steht, sie sitzt. Ihre Hände liegen im Schoß wie zwei lahme Vögel, seine Schultern hängen müde, als ob ihnen die Last, die sie tragen, zu langweilig geworden wäre. Zwei Puppen in einer modernen Puppenstube. Gefangen in den Konventionen, die die japanische Gesellschaft vorgibt und die man akzeptiert, weil das leichter ist als ein neues Verhältnis zwischen Mann und Frau zu erfinden. Jedes Bild hat seine Geschichte. Und die, die wir in ihm zu lesen imstande sind.