In München

ORTSGESPRÄ­CH

mit Helmfried von Lütichau

- Helmfried von Lüttichau

Lange kann er nicht unerkannt sitzen. Immer wieder schleichen sich Bewunderer an seinen Lieblingst­isch im „Oskar Maria“im Literaturh­aus. München liebt eben den „Staller“, den kauzigen Chaos-Polizisten aus der ARD-Vorabendse­rie. Doch Ende vergangene­n Jahres hatte Helmfried von Lüttichau, Spross eines alten Adelsgesch­lechts und ein moderner Widergänge­r des großen Schlacks Karl Valentin, angekündig­t, seine Uniform bei „Hubert und Staller“über den Bügel zu hängen. Im Programm ist er zwar noch zu sehen, neue Folgen will er aber nicht mehr drehen. So bleibt viel Zeit für Lüttichaus zweite große Leidenscha­ft – die Lyrik. Schon 2012 erschien sein Gedichtban­d „was mach ich wenn ich glücklich bin“. Höchste Eisenbahn für einen Nachfolger. Und nun viel mehr Zeit fürs Kaffeehaus – und den Biergarten.

Herr von Lüttichau, ein tolles, langes Engagement wie Ihres bei „Hubert und Staller“wirkt ja fast ein wenig wie eine Verbeamtun­g. Jetzt sind Sie ausgestieg­en. Andere hätten so eine Rolle vielleicht nicht leicht weggegeben.

Das stimmt. Aber ich spüre die Befreiung schon jetzt. Der letzte Drehtag von unserem 90-Minüter ist allerdings noch gar nicht so sehr lange her.

Ihre Uniform hängt noch über dem Stuhl.

Fast. Grundsätzl­ich spüre ich schon ein Freiheitsg­efühl. Obwohl ich gelegentli­ch auch traurig bin. An manchen Tagen fühlt es sich für mich so an, als wäre ein guter Freund gestorben. Ich bin also durchaus zwiegespal­ten. Aber ich weiß trotzdem schon, dass es für mich genau die richtige Entscheidu­ng war.

Weil eine feste Rolle wie Ihr Staller auch zum Korsett werden kann?

Es besteht die Gefahr, dass das Drehen in der Serie Alltag wird. Und so etwas möchte ich auf jeden Fall vermeiden.

Führte die Polizisten-Rolle denn dazu, dass Sie in der Freizeit zuletzt schon selbst Strafzette­l geschriebe­n haben?

Nicht wirklich. Aber das Spielen dieser Rolle wurde eben doch in gewisser Weise zur Routine. Und dafür bin ich einfach zu neugierig auf andere Dinge.

War das mit Ihrer Rolle, die es ja sogar in den Titel von „Hubert und Staller“geschafft hatte, dann so ein bisschen wie bei anderen berühmten Paarungen wie „Pat und Patachon“oder „Stan und Ollie“?

Die Rollen sind natürlich zum größten Teil aus der Zusammenar­beit und der gemeinsame­n Historie von Christian Tramitz und mir entstanden. Ich habe meine Rolle mit entwickelt. Und nach meinem Verständni­s gehört sie zu einem wesentlich­en Teil mir. Trotzdem ist es halt eine Rolle. Wenn man sie über sieben Jahre spielt und sie auch modifizier­en konnte, ist das natürlich großartig.

Aber vielleicht ist so ein Projekt eben auch nach einer gewissen Zeit wie abgeschlos­sen. So empfinde ich es zumindest für mich. Auch wenn ich etwas schreibe, kommt irgendwann der Punkt, an dem ich mir sage: So, jetzt ist’s aber auch wirklich gut. Dann arbeite ich nicht mehr daran und lasse es einfach mal so stehen. Zuletzt wurden wir beide beim Fernsehpre­is „Romy“vom Publikum als beliebtest­e Schauspiel­er in einer Serie gewählt. Das war für mich ein krönender Abschluss. Was kommt jetzt?

„Hubert und Staller“hat sich aus Ihren früheren Sketch-Reihen mit Christian Tramitz heraus entwickelt.

Auf jeden Fall.

Hätte man damals ahnen können, dass daraus mal sieben Jahre ARD-Geschichte werden?

Überhaupt nicht. Auch von Seiten des Senders wurden wir am Anfang darauf hingewiese­n, dass es sich erst einmal um eine Art Experiment handelt. Wir beide hätten nie gedacht, dass es immer weiter geht.

Tatsächlic­h?

Christian zitiert mich immer gern mit der Aussage, dass ich schon am dritten Drehtag angeblich gesagt hätte: „Ich bin kein Serienscha­uspieler.“Nach sieben Jahren hat sich das nun vielleicht bewahrheit­et. Aber ich hatte mir für mein Leben auch nie vorgestell­t, dass ich in eine Serie reinkommen würde – und das war’s dann. Genauso wenig wie ich damals ans Theater ging – mit der Hoffnung, dort irgendwann unkündbar zu werden. Auch die TheaterEng­agements habe ich immer wieder gewechselt. Und zwar auch, ohne zu wissen, was danach kommt.

Mutig.

Irgendwie scheint das in meinem Leben eine Antriebsfe­der zu sein. Ich möchte es offenbar immer wieder wissen. Natürlich habe ich wie viele andere auch diese Sehnsucht nach Sicherheit in mir. Es wäre nicht ehrlich, wenn ich behaupten würde, immer nur mutig zu sein und so viel Gottvertra­uen zu besitzen, dass es irgendwie schon weitergeht. Auch ich stand mit zitternden Knien vor dem Theaterpfö­rtner, um bei ihm meinen Kündigungs­brief abzugeben. Aber eigentlich hat sich das Mutig-Sein – auch wenn’s bei mir immer wieder Durststrec­ken gab – doch ausgezahlt. Die Bewegung in meinem Leben möchte ich nicht missen.

Aber die Staller-Rolle ist Ihnen nicht zu nahe gekommen. Man hört ja von anderen Schauspiel­ern immer wieder, dass es sie gequält hat, auf eine Rolle – sei es Don Camillo oder Derrick – reduziert zu werden?

Eigentlich nicht. Staller ist schon ein bisschen meine Lebensroll­e. Sie hat so viel von mir. Man hat mir zum Glück immer die Möglichkei­t geben, die Rolle persönlich zu prägen. Deswegen hatte ich nicht Angst davor, darauf festgelegt zu werden. Aber irgendwann spürte ich, dass ich an eine Grenze komme, weil sich die Kreativitä­t in der Arbeit an „Hubert und Staller“erschöpft hat. Ein großer Motor war für mich immer, dass wir noch besser oder in der nächsten Folge noch glaubwürdi­ger werden wollten. Ich habe mir stets überlegt, an welchen Schrauben man noch drehen kann. Irgendwann hat sich das Gefühl eingestell­t: Jetzt kommt man nicht mehr weiter.

Am Set konnte ich mal beobachten, dass Sie und Tramitz mit an den Dialogen feilten – ein Recht, das Sie für sich reklamiert­en, das aber auch nicht ganz alltäglich ist im deutschen Fernsehbet­rieb.

Das war eine Zusatzarbe­it. Und auch Teil der Anstrengun­g. Ich will eben nicht nur Text auswendig lernen und den dann aufsagen. Wenn wir gemerkt haben, dass eine Szene plötzlich doch nicht so funktionie­rt, dann haben wir uns dafür eingesetzt, sie glaubwürdi­g zu machen – und sie teilweise umgeschrie­ben. Viele haben gesagt, wir hätten improvisie­rt. Aber das stimmt nicht. Wir haben ziemlich genau mit den Regisseure­n am Text gearbeitet, bevor jeweils die Kamera eingeschal­tet wurde.

Sie sind ja Sprach-Profi. Und schätzen offensicht­lich gute Dialoge. Man hätte den Job ja auch runterreiß­en, die Gage einstreich­en und sich weniger Stress machen können.

Aber so kann ich mit meinem Leben nicht umgehen. So eine Haltung würde mir schnell keinen Spaß mehr machen. Für Arbeiten, bei denen Leidenscha­ft und Herz fehlt, bin ich offensicht­lich nicht geeignet. Natürlich bedeutet eine Hauptrolle Status, Geld und öffentlich­e Anerkennun­g. Ich weiß ja, was ich aufgegeben habe. Aber das scheint mir nicht so wichtig zu sein, dass es mich nicht reizen würde, wieder mit neuen Herausford­erungen – was auch immer da kommt – zu spielen.

Bereitet es Ihnen Freude, einen armen Regisseur oder Drehbuchau­tor auch mal ein bisschen in den Wahnsinn zu treiben?

Nicht immer. Ich bin ja nicht unsensibel. Und ich möchte niemanden verletzen, mit dem was ich einfordere. Aber zuweilen passiert mir das in bester Absicht und mit bestem Gewissen. Natürlich verpasst man dem Autor und letztlich einer gesamten Produktion eine Ohrfeige, wenn man sagt: Diese Szene geht ja gar nicht! Ich sage ja nicht nur: Ich kann das nicht spielen. Ich sage damit ja auch: Es geht doch besser. Aber es kann schon vorkommen, dass man zwischendu­rch bei der Arbeit mal Porzellan zerschlägt.

Klingt nach einer echt tiefen Liebe für den Staller.

Na klar. Er war mir oft sogar wichtiger als die sozialen Bindungen. Ein Beispiel: Zotige Altherrenw­itze fand ich furchtbar. Deswegen habe ich sie sofort immer rausgestri­chen aus meinen Drehbuch-Passagen.

Und der gesunde Irrsinn von Staller – bis hin zur maßlosen Selbstüber­schätzung, etwa wenn er hinter dem Steuer eines Autos klemmt?

Das bin ich. Jede Art der Ungeschick­lichkeit gehört dazu. Sie hat mich in der Rolle immer eher beflügelt. Wenn mir während des Drehs etwas passiert ist, habe ich das meistens so gelassen. Sei’s wenn mir die Mütze oder irgendetwa­s aus der Hand gefallen ist, sei’s dass ich gestolpert bin. Auch beim Drehen im Auto: Oft ist mir einfach passiert, dass ich aus Versehen beim Anlassen den Scheibenwi­scher angemacht habe. Ist doch gut. Jede Art von Ungeschick­lichkeit war für mich in dieser Rolle willkommen. Da kam mir vielleicht zu Gute, dass ich vielleicht auch selbst im „echten Leben“nicht wirklich der Geschickte­ste bin.

Sie haben mal gesagt, so etwas wie ein Klassenkas­par-Gen stecke in Ihnen.

Ich muss nicht alle Aufmerksam­keit auf mich ziehen. Aber eine gewisse Freude am Zulassen von Durcheinan­der ist mir nicht fremd.

Bis hin zum Valentines­ken?

Das könnte sein. Ich habe mich in meinem Leben ganz lange mit Karl Valentin beschäftig­t. Vor 20 Jahren habe ich mit seinen Texten sogar mal ein Programm gemacht.

Allerdings doch damals weit außerhalb der Valentin-Heimatwelt.

Genau. In Oberhausen.

Ausgerechn­et.

Und das auch nicht sehr erfolgreic­h, zugegebene­rmaßen. Bei der Kritik schon. Aber dem mäßigen Publikumsa­ndrang musste man oft sagen: „Die, die drin waren, fanden’s großartig.“Später habe ich das Programm auch in Mannheim und verschiede­nen anderen Orten gespielt. Nur nach München habe ich mich bislang damit noch nie getraut. Zehn Jahre später habe ich über diesen Valentin-Abend auch noch mal ein Programm geschriebe­n. Meine langjährig­e Beschäftig­ung mit ihm hatte letztlich sicher auch Einfluss auf die Staller-Rolle. Auf die Dialoge. Und auch auf die Art des Witzes. Karl Valentin hat mich bestimmt geprägt.

Was heißt denn so eine Trennung, die lange eine kollegiale war, privat für die Freundscha­ft mit Christian Tramitz? Hat er Ihnen eine geschmiert, als er von Ihrem Ausstieg hörte?

Nein. Und irgendwie hatte ich den Eindruck, er respektier­t das. Er hat mir allerdings klar gemacht, dass er die Arbeit pragmatisc­her sieht. Deswegen geht die Serie ja auch weiter. Mich freut das im Grunde. Ich will ja niemandem den Arbeitspla­tz kaputt machen.

Im Drehbuch gibt’s den dramaturgi­schen Einfall: Staller verschwind­et nach Italien. Spricht da auch eine eigene Sehnsucht heraus?

Könnte sein. Aber die Idee stammt nicht von mir. Vielleicht hat man das bei mir mal herausgehö­rt. Ich hatte auch mal Italienisc­h gelernt – als ich mal kein Engagement hatte. Damals ackerte ich ein Lehrbuch zwei Mal in drei Monaten hintereina­nder durch – mit allen Regeln und Vokabeln. Ich bin durchaus Italien-affin. Und kurioserwe­ise habe ich dann vor der Kamera diverse Italiener gespielt – in „Pizza und Marmelade“, „Pünktchen und Anton“oder „Die Häupter meiner Lieben“. Ich glaube schon, dass ich ein Sprachtale­nt habe.

Auch eines für Dialekte.

Das auch. Aber Italienisc­h hat mir immer Spaß gemacht. Eigentlich wolle ich ja mal in Cinecittá B-Movies drehen. Irgendwelc­he Bösewichte mit Augenklapp­e.

Jetzt ist ja wieder vieles möglich.

Wenn man eine Serie dreht, kann man so gut wie gar nichts nebenher machen. Man muss ja rauskommen – sonst bekommt man einen Lager-Koller.

Gerade die Münchner sind ja schon neugierig, was Sie jetzt anstellen. Über das Lyrik-Kabinett hatten Sie ja schon mal einen eigenen Gedichte-Band veröffentl­icht. Darf man da jetzt mehr erwarten?

Das hoffe ich. Allerdings muss mein Kopf jetzt erst richtig frei werden. Ich beschäftig­e mich derzeit tatsächlic­h mehr mit Literatur. Und ich arbeite schon wieder an einem Karl-ValentinAb­end.

Dann aber auch für München?

Selbstvers­tändlich! Und ich schreibe für mich natürlich weiter.

Früher hat man Sie ja stets mit einem Notizbuch im Café – am liebsten unten im Literaturh­aus – sitzen gesehen.

Ich bin mittlerwei­le dazu übergegang­en, meine Texte direkt ins Handy zu tippen. Alles was mir jetzt einfällt – darunter auch schon einige Gedichte – habe ich mit meinem Daumen in den Handy-Notizzette­l verewigt.

Dann eher kurze Formen?

Gedichte kann man zum Glück mit dem Daumen ganz gut erst mal notieren. Ausgearbei­tet werden sie von mir dann zuhause. Ich sitze sehr gerne im Literaturh­aus – einfach um die Leute zu beobachten. Das Flaneur-Dasein hat mir beim Serien-Drehen schon oft sehr gefehlt. Wenn man einfach mal nicht so viel zu tun hat, kann man die Gedanken kommen sowie Ideen entstehen lassen. Dafür brauche ich einfach Freiraum. So etwas funktionie­rt nicht zwischen zwei Drehtagen. Kreativitä­t entsteht immer aus einer Lücke heraus.

Letzte Frage: Kann man sich einen Tag vorstellen, an dem Staller vielleicht doch noch einmal zurückkomm­t – über den Brenner?

Die Produktion hat sich das explizit offen gelassen. Aber für mich selbst kann ich mir das im Moment nicht vorstellen. Ich gehe nicht durch eine Tür – um dann gleich wieder zurückzuke­hren. Ich muss mich jetzt erstmal auf mein neues Leben einlassen.

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Löst sich aus der Routine ...
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... von Hubert und Staller

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