THEATER
Wenn es nicht nur rote Rosen regnet
Pfingsten, das Fest der Verkündung, der Vielstimmigkeit – und des wechselseitigen Missverstehens – steht an. Wie passend, dass sich Fabian Faltin und Robert Prosser mit ihrer „Gottesperformance“Dein Herz sei Stein saisonal bestens passende Gedanken über den Furor religiöser Energien machen. Zum einen wären da die Einsiedler und Asketen, die bekanntlich beharrlich schweigen. Zum anderen predigen Scharlatane und oft ziemlich selbsternannte Missionare auch heute noch mit großer Inbrunst das, was sie für das Wort Gottes halten. Prosser und Faltin hören genau hin. Sie nehmen sich mittelalterliche Mönche zur Brust, die aus dem hohen Norden kommend – von Irland und Schottland aus – den verschlossenen, lange heidnischen Alpenraum umkrempeln wollen. Die IroSchotten musste man sich wohl als Popstars, Schamanen und gewagte Entertainer vorstellen. Sie lassen lautstark Sprachsalven erklingen, singen und tanzen wie die Teufel und setzen dabei auch auf so etwas wie sufische Stoßatmung. Buchstabe reiht sich an Buchstabe, die Psalmen schwellen an, Schlagzeuge greifen den Beat auf, alles geht über in modernste Spoken-Word-Kunst, unterstützt von Laptop-Projektionen. Und irgendwo im Raum könnte dann wirklich so etwas wie ein heiliger Geist stecken. (HochX, 17/18.5.)
Viele Stimmen gleichzeitig erklingen lässt auch die polnische Regisseurin Marta Górnicka in dem von ihr arrangierten Libretto Jedem das Seine, das verschiedenen feministische Strömungen und Bewegungen zusammenführen möchte. Gesprochen wird dabei aus der Perspektive einer modernen jungen Frau, einer auch politisch aktiven Polin, die sich zunehmend in einem Land im Wandel wiederfindet, in der wichtige Errungenschaften wie längst erkämpfte Frauenrechte wieder in Frage gestellt werden. Mit dem von den Nazis missbrauchten Schlagwort verweist sie auf unselige faschistische Tendenzen, die Männern und Frauen feste Plätze zuweisen wollen – ob diese das wollen oder nicht. (Kammerspiele, ab 28.5.)
Auf die Schlachtfelder des digitalen Bürgerkriegs zieht die junge Berliner Gruppe machina eX – und reißt ein aufgeschlossenes Publikum gleich mit, hinein ins Geschehen. Im Mittelpunkt des düstern Endgame-Battles steht ein Startup, das sich eine ziemlich größenwahnsinnige, aber natürlich überlebenswichtige Aufgabe gestellt hat: Es will die Demokratie verteidigen – in einer Mischung aus NGO, Privatdetektei und Hacking-Kollektiv. Die Gegner sind klar auszumachen: Es ist die neurechte Bewegung, die aus der Geschichte ebenfalls gelernt hat und perfiderweise auf ziemlich pfiffige Marketingstrategie setzt. (Kammerspiele, ab 31.5.)
Vermeintlich in einer völlig entrückten Welt, die derlei Zoff nicht kennt, spielt das Studenten-Schauspiel Ich verspreche Knokke. Wie es vielleicht war. Schauplatz ist das verschlafene belgische Nordseebad, wo alles adrett und gemütlich wirkt, aber tatsächlich wenig zu passieren scheint. Man flaniert durch die Straßen, pichelt sich gute Laune in der Kneipe an und verdöst dann den ereignisarmen Tag im Schwimmbad. Natürlich macht sich Langeweile breit. Aber auch das Gefühl, dass man doch eigentlich kämpfen, ausbrechen, durchdrehen müsste. Ruhe und Sehnsucht, Exzess oder Rückzug, Isolation oder das Wagnis Gesellschaft: Das sind die Pole, an denen man sich ausrichten muss, um einen Fluchtweg zu finden. Basieren wird der Abend auf einem Text des vermeintlichen Bürgerschreckmalers Martin Kippenberger. (Akademietheater, 29./30.5.)
Noch etwas früher fängt das Kribbeln, die Unruhe und die Gereiztheit im Himmel und Hände-Stück von Carsten Brandaut an. Eigentlich sind A und O beste Freunde – und sie ergänzen sich so perfekt, wie es die Redewendung von A’s und O’s will. Doch dann naht der erste Schultag – und Differenzen tun sich auf. Während der eine seinen Kopf am liebsten in den Himmel streckt und sich dort alles Mögliche ausdenkt, gräbt sich O mit Vorliebe tiefe Höhlen im Sand. Es ist eine Zeit des Übergangs. Und der belastet in allen Lebensabschnitten. (Schauburg, 27./28.5.)
Was in der Sandkiste schon schwer fiel, wird später auf der großen Polit-Bühne natürlich auch nicht leichter. Europa ist das Schicksalsthema, das uns alle betrifft. Und dafür sollte man Eimer und Schäufelchen schon mal zur Seite legen. Freude! Schöner! Götterfunken! Alte Hymnen, neue Visionen nennt sich der Debattenabend, der über das Zusammenwachsen oder das Auseinanderbrechen philosophieren möchte. Dabei treffen unter anderem die kritischen Sichtweisen der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot, der „SZ“-Redakteurin Evelyn Roll und von Arne Schildberg, Experten für die vielbeschworene „Europäische Integration“von der Friedrich-Ebert-Stiftung, aufeinander. (Volkstheater, 17.5.)
Auch wer wenige Feuilleton-Debatten verfolgt, konnte zuletzt mitbekommen, dass Frank Castorf, der sich nach seinem nicht ganz unproblematischen Abschied von der Berliner Volksbühne eigentlich mit anderen, manisch opulenten Gastspielarbeiten beschäftigen wollte, nicht nur an der Spree wieder mitten im Pulverdampf steht. Freude dürfte ihm das bereiten. In München gibt er nun am ungewöhnlichen Ort ein Debüt – erstmalig mit einer OpernInszenierung an der Bayerischen Staatsoper. Er hat sich Leos Janáceks Aus einem Totenhaus vorgenommen – ein sehr düsteres, tragikomisches und selbstverständlich auch sehr politisches Werk, nach der Straflagererzählung von Fjodor M. Dostojewski. (Nationaltheater, ab 21.5.)
Die ganze Pracht der Oper kann man mit dem wohl berühmtesten „Dramma giocoso“von Wolfang Amadeus Mozart dagegenhalten, wenn natürlich auch Lorenzo Da Pontes Liebesreigen alles andere als unbeschwertsinnlich-verführerisch ausfällt, sondern auch abgründig, teuflisch, ja sogar ein bisschen faustisch. Don Giovanni zählt ja nicht ohne Grund zu den Spitzbuben der Literaturgeschichte: ein Verführer, ein Vergewaltiger, ein Liebhaber und Mörder. Zur Beruhigung allerdings: Herbert Föttinger und Chefdirigent Anthony Bramall schicken den ewigen Schürzenjäger, gesungen von Günter Papendell im Wechsel mit Mathias Hausmann, ein für alle Mal in die Hölle. (Gärtnerplatztheater, ab 19.5.)
Wer schließlich noch einmal am echten Goethe-Stoff ziehen möchte, der kann sich schließlich einen Aperitif mit dem Teufel genehmigen. In der Komödie von Marius Leutenegger wird ausgerechnet während einer „Faust“Aufführung der Hauptdarsteller entführt. Großes Durcheinander droht! (Pasinger Fabrik, 20.5.)