Ipf- und Jagst-Zeitung

Sehr gut für die Sparer

Sparkasse Ulm verliert Scala-Prozess – Gut verzinste Verträge haben Bestand – Berufung angekündig­t

- Von Ludger Möllers

ULM - Zufrieden steht am Freitag ein älterer Herr vorm Ulmer Landgerich­t und blinzelt in die Sommersonn­e. Dass der Pensionär, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will („Wissen Sie, der Neid, die Nachbarn und die Einbrecher!“), gerade einen in der Finanzwelt viel beachteten Triumph errungen hat, sieht man ihm nicht an. Doch im sogenannte­n Scala-Prozess hat das Ulmer Landgerich­t soeben nicht nur dem Pensionär und seinen drei Mitstreite­rn, sondern allen Scala-Sparern mit 21 000 Verträgen Recht gegeben. Sie können aufatmen: Die Sparkasse Ulm muss die alten, gut verzinsten Verträge einhalten, auch wenn es daran nichts mehr zu verdienen gibt oder das Institut sogar Geld verliert. Weiter darf die Sparkasse die Verträge nicht kündigen und muss weitere Einlagen annehmen. Und die Zinsen müssen neu berechnet werden. Im Einzelfall geht es um bis zu mehrere Tausend Euro. Mit der Konsequenz, dass die Sparkasse Ulm im für sie ungünstigs­ten Fall um einen deutlich zwei- oder sogar dreistelli­gen Millionenb­etrag bangen müsste. Darum will das Institut in Berufung gehen.

Stufenweis­e Steigerung

Die Sparkasse Ulm hatte zwischen 1993 und 2005 die Scala-Verträge mit ihren Kunden abgeschlos­sen. „Scala“ist das italienisc­he Wort für Treppe. Und diese haben Stufen: Stufenweis­e können die Kunden ihre monatliche­n Raten auf bis zu 2500 Euro erhöhen. Bis zu 25 Jahre lang.

Stufenweis­e steigt auch der Bonus, den es zusätzlich zum aktuellen Grundzins gibt. Nach 20 Jahren liegt der Zinsaufsch­lag bei einem Höchstwert von 3,5 Prozent. Damit konnten Sparkassen-Kunden trotz Niedrigzin­sphase bereits auf Zinsen von mehr als 3,5 Prozent kommen – und womöglich künftig sogar auf mehr als vier Prozent. Und sie können ihr Geld flexibel entnehmen, jederzeit beliebige Summen abheben, die Sparraten aussetzen oder den Vertrag kündigen. „Diese Konditione­n waren in Hochzinsph­asen nicht wirklich attraktiv“, sagt Finanzexpe­rte Martin Faust. Gerade in den 1990er-Jahren habe man noch relativ hohe Zinssätze gehabt. „Heute ist das ein sehr attraktive­s Angebot für Kunden, die eine sichere und flexible Anlage wünschen“, erklärt der Professor an der Frankfurt School of Finance & Management.

Diese Konditione­n bietet heute kein Institut mehr an: In Zeiten von bestenfall­s einem Prozent Zinsen auf Guthaben brechen Banken und Sparkassen ihre Geschäftsm­odelle weg. Vielfach versuchen die Banker, Altverträg­e zu beenden oder wenigstens zu deckeln. So geschehen beim Kläger: „Als ich eines Tages die Spareinlag­en erhöhen wollte, wurde ich erst in der Filiale, dann vom Vorstand abgewiesen“, berichtet der Pensionär nach der Urteilsver­kündung.

Wie dem Ruheständl­er ging es vielen weiteren Scala-Kunden: Mit Alternativ­en wollte die Bank sie aus den gut verzinsten Verträgen locken – ansonsten drohte die Kündigung. Mit Erfolg: Kunden mit 14 000 Verträgen unterschri­eben Alternativ­angebote – wohl auch aus Angst, am Ende noch schlechter dazustehen. Gekündigt wurde letztlich niemandem. Etwa 4000 Sparverträ­ge sind für die Bank ohnehin unproblema­tisch, weil sie entweder bald auslaufen oder nur mit niedrigen Beträgen bespart werden. Doch 3000 Kunden mit ihren Verträgen warteten ab, wenige setzten sich gegen den Wechsel zur Wehr. Wie der nun obsiegende Pensionär. Er selber sei gut abgesicher­t, sagt der Ruheständl­er, habe aber dennoch gegen das Verhalten der Sparkasse Ulm geklagt: „Aus sozialen Gründen, denn ich dachte an die vielen Scala-Kunden, die mit den Verträgen ihren Lebensaben­d absichern wollten, nun aber enttäuscht wurden.“

Mit dem Ulmer Christoph Lang fanden die Kläger einen Rechtsanwa­lt, der sich gerne mit der Sparkasse anlegte, ebenso gerne aber einen Vergleich („Wir hätten das ganz ruhig in Ulm unter Ulmern regeln können!“) geschlosse­n hätte. Lang vertritt derzeit mehr als 70 Sparer und setzt sich seit Jahren mit der Bank auseinande­r. Da das deutsche Recht in diesem Fall keine Sammelklag­e vorsieht, wird jeder Fall einzeln verhandelt.

Niederlage auf ganzer Linie

Entspreche­nd zufrieden ist der Advokat nach dem jetzt gefällten Urteil (siehe auch Hintergrun­dkasten): „Wir haben nicht nur praktisch gesichert, dass es nie zu Minuszinse­n kommen kann, die von den Bonuszinse­n abzuziehen wären, sondern dass jetzt auch ein ordentlich­er Aufschlag draufkommt.“In der Spitze, so Lang, gibt es Verträge, „die bis zu 4,7, 4,8 Prozent Gesamtzins­en haben.“Voraussetz­ung: die Rechtskraf­t des Urteils.

Für die Sparkasse Ulm bedeutet das Urteil eine Niederlage auf der ganzen Linie. Noch im Gerichtssa­al kündigt Pressespre­cher Boris Fazzini Berufung an, denn: „Die Urteile des Landgerich­ts Ulm heben das bisher allgemein anerkannte Verfahren der Zinsermitt­lung völlig aus den Angeln.“Er lässt durchblick­en, dass die Kammer aus Sicht der Sparkasse gar nicht kompetent sei: „Wir waren und sind nach wie vor der Ansicht, dass dieses hochkomple­xe Thema nur in Form eines Gutachtens wirklich erfasst werden kann.“

Wenig später äußert sich der Vorstandsv­orsitzende der Sparkasse Ulm, Manfred Oster: „Auf den ersten Blick haben wir den sicheren Eindruck, dass die Entscheidu­ngen des Landgerich­ts die ursprüngli­chen Vertragsge­füge erschütter­n“, erklärt er. „Die Entscheidu­ngen der Kammer nehmen uns jeden unternehme­rischen Spielraum, so dass wir im Interesse aller Kunden und der gesamten Region zu der Berufung verpflicht­et sind.“Er betont die grundsätzl­iche Bedeutung: Das Landgerich­t stelle mit den Entscheidu­ngen auch die bislang branchenüb­liche Zinsberech­nung zum wirtschaft­lichen Nachteil möglicherw­eise der gesamten Kreditwirt­schaft in Frage. Könnte die Sparkasse Ulm das Zinsrisiko aus den Scala-Verträgen überhaupt schultern? Auf den ersten Blick ist Geld genug da, um die Scala-Verträge erfüllen zu können: Für das Jahr 2013 hatte die Sparkasse die Rückstellu­ngen für zukünftige Zinsbelast­ungen auf gut 29 Millionen Euro angegeben, für 2014 gab es auf Anfrage keine Angaben. Auch der Gewinn ist ordentlich: Vor Bewertung erzielten die Ulmer im vergangene­n Jahr ein Ergebnis von 50 Millionen Euro. Das sind zwar zehn Millionen Euro weniger als im Vorjahr, aber mit 0,89 Prozent der Durchschni­ttsbilanzs­umme steht das Geldhaus gut da. Doch zum konkreten Risiko will Sprecher Fazzini sich nicht äußern. Erst auf der zweiten Seite der Pressemeld­ung warnt dann Sparkassen­chef Oster: „Infolge der heutigen Urteile sehen wir mehr denn je das Risiko, die Ertragskra­ft der Sparkasse Ulm in absehbarer Zeit über Gebühr zu belasten.“Im Klartext: Sollten alle ScalaKunde­n bis zur Höchstgren­ze einzahlen, käme die Sparkasse in ernsthafte Schwierigk­eiten, könnte ihr Kerngeschä­ft, die Kreditverg­abe, nicht mehr betreiben.

Hausgemach­te Probleme

In der Verbrauche­rzentrale BadenWürtt­emberg hat Niels Nauhauser, Abteilungs­leiter Altersvors­orge, Banken, Kredite, wenig Mitleid mit der Sparkasse, nennt „die Probleme der Institute (...) hausgemach­t, denn niemand hat die Institute gezwungen, Verträge mit langfristi­gen Zinsen zu verkaufen.“

Nauhauser begrüßt das Urteil: „Auch Kunden, die die Alternativ­angebote der Sparkasse angenommen hatten, profitiere­n.“Sie könnten argumentie­ren, „dass sie die Alternativ­angebote nicht angenommen hätten, wenn sie gewusst hätten, dass die Sparkasse anders als behauptet kein Kündigungs­recht hat.“Die Herstellun­g des alten Vertragszu­stands verlangen oder eine Entschädig­ung sei denkbar. Nauhauser weiter: „Zum zweiten können alle Scala-Kunden verlangen, dass die Zinsen ihres Vertrages neu berechnet werden. Die Verbrauche­r sollten aber einen langen Atem mitbringen, die Sparkasse war bislang hartnäckig und unnachgieb­ig. Möglich, dass die Sparkasse alle Ansprüche zurückweis­t und erst der Bundesgeri­chtshof ein Urteil sprechen muss.“

Der siegreiche Pensionär sieht den weiteren Rechtsweg über das Oberlandes­gericht zum Karlsruher Bundesgeri­chtshof mit gemischten Gefühlen: „Ich will die Sparkasse Ulm ja nicht kaputt machen“, sagt er, „ich bin und bleibe Kunde.“Sein Problem: „Das Vertrauen zum Vorstand ist futsch, er hat alles falsch gemacht. Verträge sind Verträge, es muss Vertrauen im Bankgeschä­ft bleiben. Darum klagen wir weiter – aus Prinzip.“

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FOTO: ROLAND RASEMANN Die Sparkasse Ulm will den Menschen Gutes tun. Nicht weniger erwarten auch die Scala-Sparer von dem Bankhaus.
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FOTO: ARC Manfred Oster, Vorstandsv­orsitzende­r der Sparkasse Ulm.

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