In Mexiko leben Journalisten gefährlich
Regierungskritischer Fotograf Rubén Espinosa in der Hauptstadt ermordet
(dpa) - Mexiko ist ein feindseliger Ort für Reporter. Sie werden aufgerieben zwischen wirtschaftlichem Druck, autoritären Politikern und brutalen Verbrechersyndikaten. Der Mord an einem Pressefotografen mitten in der Hauptstadt rückt die gefährliche Situation erneut in den Fokus.
Rubén Espinosa wusste, dass sie hinter ihm her waren. Im Bundesstaat Veracruz im Osten von Mexiko hatte er sich mächtige Feinde gemacht. Der Pressefotograf berichtete vor allem über soziale Bewegungen und über politischen Protest. Über ein Foto soll sich Gouverneur Javier Duarte besonders aufgeregt haben. Es zeigt den Politiker mit einer Polizeimütze – die Schlagzeile der regierungskritischen Zeitschrift „Proceso“dazu lautet: „Veracruz - rechtloser Staat.“
Nachdem Espinosa in Veracruz mehrfach bedroht und angegriffen worden war, war er in die mexikanische Hauptstadt geflohen. „Ich musste gehen, weil ich mich nicht mehr sicher gefühlt habe“, sagte er kürzlich noch in einem Interview des Senders Rompe Viento. Doch auch die Anonymität der Millionenmetropole bot keine Sicherheit. Am Wochenende wurde der 31-Jährige gemeinsam mit vier Frauen in einer Wohnung im Mittelklasseviertel Narvarte getötet. Die Täter folterten sie und schossen ihnen schließlich ins Genick.
Wenige Tage später nahm die Polizei den ersten Verdächtigen fest. Er habe seine Beteiligung an dem Mord eingeräumt, sagte der Staatsanwalt von Mexiko-Stadt, Rodolfo Ríos Garza. Das Motiv für die Tat sei aber noch immer unklar. Bei einer Pressekonferenz hatte der Chefermittler zuvor allerdings angedeutet, dass es sich auch um einen Raubmord handeln könnte. Die anwesenden Journalisten waren empört.
„Es sind zwar Dinge aus dem Haus gestohlen worden, aber darum geht es doch nicht“, sagte der Vorsitzende der Journalisten-Organisation Artículo 19, Darío Ramírez, der Deutschen Presse-Agentur. „Es sollte nicht vergessen werden, dass die Hauptmotive Rubéns Arbeit und sein soziales Engagement gewesen sein dürften.“
Mexiko ist weltweit eines der gefährlichsten Länder für Journalisten. Nach Angaben von Artículo 19 wurden seit dem Jahr 2000 dort 88 Journalisten getötet. Während Reporter in den Kriegsgebieten von Syrien, dem Südsudan oder Jemen häufig bei Gefechten ums Leben kommen, fallen sie in Mexiko meist gezielten Anschlägen zum Opfer. Die Morde werden fast nie aufgeklärt. Drahtzieher sind nach Einschätzung von Journalisten und Menschenrechtsaktivisten die Drogenkartelle und korrupte Politiker.
Reporter ohne Grenzen mahnen
Auf der Weltrangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt das Land auf Platz 148 von 180 Staaten. Die Regierung übt erheblichen wirtschaftlichen Druck auf die Medien aus. In kaum einem anderen Land der Welt sind die Zeitungen und Sender so abhängig von staatlichen Anzeigen und damit dem Wohlwollen der Mächtigen wie in Mexiko. Hinzu kommen offene Gewalt und Erpressung. „Es ist an der Zeit, dass die Behörden die Initiative ergreifen und die Krise der Pressefreiheit bekämpfen, in der sich Mexiko befindet“, sagte der Regionaldirektor des Committee to Protect Journalists, Carlos Lauría.
Veracruz’ Gouverneur Duarte hat aus seiner Verachtung für die Medien nie einen Hehl gemacht und schreckt auch vor offenen Drohungen nicht zurück. „Benehmen Sie sich“, sagte der Politiker der Regierungspartei PRI einmal an die Pressevertreter gewandt. Der Bundesstaat an der Golfküste gilt als die gefährlichste Region für Journalisten. Sie stehen dort im Kreuzfeuer zwischen mächtigen Verbrechersyndikaten und einer autoritären Regionalregierung. Seit Duartes Amtsantritt Ende 2010 wurden in Veracruz zwölf Reporter getötet.
Der Mord an Espinosa ruft Erinnerungen an einen ähnlichen Fall vor drei Jahren wach. Damals war die prominente „Proceso“-Reporterin Regina Martínez erdrosselt in ihrem Haus gefunden worden. Auch hier sprachen die Behörden von einem Raubüberfall, auch hier präsentierten sie schnell einen Verdächtigen. Einen Analphabeten, drogensüchtig und HIV-positiv.
Obwohl der Mann später sagte, er habe sein Geständnis unter Folter abgelegt und keine weiteren Beweise gegen ihn vorlagen, wurde er zu 38 Jahren Haft verurteilt. „Die wirklich Schuldigen bleiben unbekannt“, schrieb „Proceso“nach der Urteilsverkündung.
Artículo-19-Chef Ramírez beobachtet die Ermittlungen im Fall Espinosa deshalb ganz genau: „Es gibt eine Vorgeschichte von zweifelhaften Untersuchungen, die lediglich auf Hörensagen und Selbstbezichtigungen beruhten.“Immerhin will die Staatsanwaltschaft von Mexiko-Stadt ihre Untersuchung jetzt auch auf Veracruz und die dortige Regionalregierung ausdehnen. „Das ist ein Ermittlungsstrang, dem wir nachgehen“, sagte Behördenchef Ríos Garza.