Ein bisschen Gruseln inklusive
Die Vollmondführung durch Schloss Sigmaringen endet im Kerker
Mit ernsten Gesichtern fixieren die drei Mädchen Erzählerin Birgit Schepski auf dem Sigmaringer HohenzollernSchloss. Zusammengedrängt sitzt das Trio beieinander in der Folterkammer des sonst so anmutig auf dem Donaufelsen thronenden Fürstensitzes. Die Mädchen sind Teilnehmerinnen der speziellen Führung „Der Mond ist aufgegangen“, eine außergewöhnliche nächtliche Schlossbegehung, die bei Vollmond durchgeführt wird. Welch große Rolle der Erdtrabant hierbei spielt, wird sich im Laufe der nächsten zweieinhalb Stunden zeigen.
Geheimnisvolle Stimmung
„Gibt’s hier Gespenster?“, fragt ein Junge im Flüsterton seine Mutter. Schlossführerin Heike Rieger hat gelauscht. „Mal sehen, was sich machen lässt“, antwortet sie geheimnisvoll. Sie zwinkerte dem Buben zu. Der Mond, seit jeher nächtlicher Weggefährte des Menschen, taucht das Sigmaringer Schloss in ein besonderes Licht. Romantisch, verspielt und märchenhaft präsentiert es sich bei Tageslicht. Im Mondlicht offenbart es seine rätselhafte und dunkle Seite, vermittelt Ahnungen von Geistererscheinungen und verborgenen Dingen, gibt aber auch Einblick in das Grauen, das die Rechtsprechung vergangener Jahrhunderte Menschen angetan hat.
„Bleiben Sie auf dem Teppich“, merkt die Schlossführerin vielsagend an. „Es könnte sonst sein, dass Sie die Orientierung verlieren.“Der Teppich im finsteren Flur, erhellt nur vom durch die Fenster dringende Mondlicht, ist sozusagen Leitpfad für die durchs Schloss tapsenden Menschen. Eine Bodendiele knarzt, ein Luftzug berührt die Haut. Was war das? „Bleiben Sie zusammen“, mahnt Schepskis Stimme aus der Dunkelheit Der Gang durch einen dunklen Flur soll „uns lichtgewohnten Menschen eine Ahnung verschaffen, wie durch Zwielicht und Geräusche irrationale Ängste und Aberglauben entstehen konnten“.
Im Dämmerlicht des sonst nicht für Besucher zugänglichen „Zimmers Nr. 7“liest Schepski aus Heinrich Heines „Harzreise“, in der der Erzähler mit dem Geist des verstorbenen Saul Ascher über Gespensterglauben philosophiert. Ihre Erzählkunst und die geheimnisvolle Atmosphäre des in fahles Licht getauchten Gemachs verfehlen ihre Wirkung nicht. Unwillkürlich huscht der Blick zum Vorhang. Hat der sich nicht gerade bewegt? Wie ertappt beim eigenen Abdriften in Welten jenseits des Verstandes geht ein verschämtes Lächeln über manches Gesicht.
In der Privatbibliothek des verstorbenen Fürsten Leopold holt Heike Rieger die Besucher wieder in die reale Welt zurück und informiert ganz wissenschaftlich über die Entstehung des Mondes, seine Eigenschaften und Auswirkungen auf die Erde, seine elliptische Umlaufbahn und den daraus entstehenden Phänomenen. Die Deckengestaltung in der Bibliothek weist Fürst Leopold als astronomisch interessierten Mann aus, der sich auch dem Unerklärlichen nicht verschloss. Magisch wird es dann wieder im „Schwarzen Salon“. Die Schlossführerin erzählt in diesem Raum, dessen schwarze Decke mit Sternen und Sonnen verziert ist, von Hexenkunst und Kräuterwissen. Eine Besucherin soll sich vom Liebeszauber verführen lassen. Christine aus der Gruppe ist mutig und unterzieht sich dem Ritual, in dem sie in alle vier Himmelsrichtungen den Orakelspruch nachspricht und Rosenblätter verstreut. Innerhalb der nächsten acht Wochen soll sie demnach einen neuen Partner kennenlernen. „Um Rückmeldung wird gebeten“, sagt Heike Rieger.
Unbehagen in der Folterkammer
Über steile Wendeltreppen geht es hinab in den Kerker der früheren Burg. Angesichts der vielen „Behandlungsinstrumente“, zum Beispiel der Steckbank oder des mit scharfen Kanten besetzten Wagenrades, das dem Delinquenten alle Knochen brechen sollte, braucht es keine weiteren Erklärungen, um ein schmerzhaftes Zusammenziehen der eigenen Eingeweide hervorzurufen. „Folter gibt es auch heute noch“, sagt Birgit Schepski, „Menschen schaden anderen Menschen durch Hass, Neid und üble Nachrede massiv und bewusst. Mobbing ist eine moderne Form der Folter“. Diese letzte Station durch das nächtliche Schloss ist für den neunjährigen Jona ein Abenteuer. Die Tragweite der Folter kann er ob seines Alters nicht voll erfassen. Zum Entsetzen seiner Mutter tut er nach dem Besuch in der Folterkammer kund: „Das hat mir am besten gefallen!“Er hat wohl ganz vergessen, dass er sich kurz vorher noch Schutz suchend an seine Mutter gedrängt hat, als plötzlich das Licht ausging.
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