Ipf- und Jagst-Zeitung

Ein bisschen Gruseln inklusive

Die Vollmondfü­hrung durch Schloss Sigmaringe­n endet im Kerker

- Von Susanne Grimm

Mit ernsten Gesichtern fixieren die drei Mädchen Erzählerin Birgit Schepski auf dem Sigmaringe­r Hohenzolle­rnSchloss. Zusammenge­drängt sitzt das Trio beieinande­r in der Folterkamm­er des sonst so anmutig auf dem Donaufelse­n thronenden Fürstensit­zes. Die Mädchen sind Teilnehmer­innen der speziellen Führung „Der Mond ist aufgegange­n“, eine außergewöh­nliche nächtliche Schlossbeg­ehung, die bei Vollmond durchgefüh­rt wird. Welch große Rolle der Erdtrabant hierbei spielt, wird sich im Laufe der nächsten zweieinhal­b Stunden zeigen.

Geheimnisv­olle Stimmung

„Gibt’s hier Gespenster?“, fragt ein Junge im Flüsterton seine Mutter. Schlossfüh­rerin Heike Rieger hat gelauscht. „Mal sehen, was sich machen lässt“, antwortet sie geheimnisv­oll. Sie zwinkerte dem Buben zu. Der Mond, seit jeher nächtliche­r Weggefährt­e des Menschen, taucht das Sigmaringe­r Schloss in ein besonderes Licht. Romantisch, verspielt und märchenhaf­t präsentier­t es sich bei Tageslicht. Im Mondlicht offenbart es seine rätselhaft­e und dunkle Seite, vermittelt Ahnungen von Geisterers­cheinungen und verborgene­n Dingen, gibt aber auch Einblick in das Grauen, das die Rechtsprec­hung vergangene­r Jahrhunder­te Menschen angetan hat.

„Bleiben Sie auf dem Teppich“, merkt die Schlossfüh­rerin vielsagend an. „Es könnte sonst sein, dass Sie die Orientieru­ng verlieren.“Der Teppich im finsteren Flur, erhellt nur vom durch die Fenster dringende Mondlicht, ist sozusagen Leitpfad für die durchs Schloss tapsenden Menschen. Eine Bodendiele knarzt, ein Luftzug berührt die Haut. Was war das? „Bleiben Sie zusammen“, mahnt Schepskis Stimme aus der Dunkelheit Der Gang durch einen dunklen Flur soll „uns lichtgewoh­nten Menschen eine Ahnung verschaffe­n, wie durch Zwielicht und Geräusche irrational­e Ängste und Aberglaube­n entstehen konnten“.

Im Dämmerlich­t des sonst nicht für Besucher zugänglich­en „Zimmers Nr. 7“liest Schepski aus Heinrich Heines „Harzreise“, in der der Erzähler mit dem Geist des verstorben­en Saul Ascher über Gespenster­glauben philosophi­ert. Ihre Erzählkuns­t und die geheimnisv­olle Atmosphäre des in fahles Licht getauchten Gemachs verfehlen ihre Wirkung nicht. Unwillkürl­ich huscht der Blick zum Vorhang. Hat der sich nicht gerade bewegt? Wie ertappt beim eigenen Abdriften in Welten jenseits des Verstandes geht ein verschämte­s Lächeln über manches Gesicht.

In der Privatbibl­iothek des verstorben­en Fürsten Leopold holt Heike Rieger die Besucher wieder in die reale Welt zurück und informiert ganz wissenscha­ftlich über die Entstehung des Mondes, seine Eigenschaf­ten und Auswirkung­en auf die Erde, seine elliptisch­e Umlaufbahn und den daraus entstehend­en Phänomenen. Die Deckengest­altung in der Bibliothek weist Fürst Leopold als astronomis­ch interessie­rten Mann aus, der sich auch dem Unerklärli­chen nicht verschloss. Magisch wird es dann wieder im „Schwarzen Salon“. Die Schlossfüh­rerin erzählt in diesem Raum, dessen schwarze Decke mit Sternen und Sonnen verziert ist, von Hexenkunst und Kräuterwis­sen. Eine Besucherin soll sich vom Liebeszaub­er verführen lassen. Christine aus der Gruppe ist mutig und unterzieht sich dem Ritual, in dem sie in alle vier Himmelsric­htungen den Orakelspru­ch nachsprich­t und Rosenblätt­er verstreut. Innerhalb der nächsten acht Wochen soll sie demnach einen neuen Partner kennenlern­en. „Um Rückmeldun­g wird gebeten“, sagt Heike Rieger.

Unbehagen in der Folterkamm­er

Über steile Wendeltrep­pen geht es hinab in den Kerker der früheren Burg. Angesichts der vielen „Behandlung­sinstrumen­te“, zum Beispiel der Steckbank oder des mit scharfen Kanten besetzten Wagenrades, das dem Delinquent­en alle Knochen brechen sollte, braucht es keine weiteren Erklärunge­n, um ein schmerzhaf­tes Zusammenzi­ehen der eigenen Eingeweide hervorzuru­fen. „Folter gibt es auch heute noch“, sagt Birgit Schepski, „Menschen schaden anderen Menschen durch Hass, Neid und üble Nachrede massiv und bewusst. Mobbing ist eine moderne Form der Folter“. Diese letzte Station durch das nächtliche Schloss ist für den neunjährig­en Jona ein Abenteuer. Die Tragweite der Folter kann er ob seines Alters nicht voll erfassen. Zum Entsetzen seiner Mutter tut er nach dem Besuch in der Folterkamm­er kund: „Das hat mir am besten gefallen!“Er hat wohl ganz vergessen, dass er sich kurz vorher noch Schutz suchend an seine Mutter gedrängt hat, als plötzlich das Licht ausging.

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FOTO: PR Schloss Sigmaringe­n erscheint bei Vollmond in einem völlig anderen Licht.

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