Ipf- und Jagst-Zeitung

„Gerd und ich haben uns fantastisc­h ergänzt“

Ex-Stürmer Rainer Ohlhauser schwärmt vom „Bomber der Nation“und setzt auch heute noch auf den FC Bayern

-

Wenn kommendes Wochenende die Bundesliga startet, wird so mancher alte FC-Bayern-Fan vielleicht zurückdenk­en. Denn vor 50 Jahren durften die Bayern erstmals ganz oben mitspielen. Am 26. Juni 1965 hatte sich der FC Bayern mit einem 8:0 bei Tennis Borussia Berlin den Aufstieg in die Bundesliga gesichert. Im Interview mit Florian Kinast erinnert sich Stürmer Rainer Ohlhauser an das entscheide­nde Spiel in Berlin und seine phänomenal­en 49 Tore in jener Saison, an seinen Sturmpartn­er Gerd Müller, an Trambahnfa­hrten mit den gegnerisch­en Fans und an 200 Mark Monatsgeha­lt. Und er erzählt, wie er half, die zerbombte Münchner Staatsoper wieder aufzubauen. Der 74-Jährige lebt heute als Rentner in seiner Heimat Neckargemü­nd östlich von Heidelberg. Wenn die Bayern am kommenden Freitag zum ersten Spiel dieser Bundesliga­saison in die Allianz-Arena einlaufen, werden Ohlhauser und einige andere ehemalige Teamkamera­den mit von der Partie sein.

Herr Ohlhauser, dramatisch verlief das entscheide­nde Aufstiegss­piel in Berlin damals nicht, erinnern Sie sich noch an Ihre Tore?

Natürlich. Ich traf gleich zu Beginn zweimal, nach einer Viertelstu­nde lagen wir zwei zu null vorne. Damit war die Sache durch. Der Gerd schoss kurz darauf das Dreinull, und dann ging’s dahin. Am Ende hatten wir acht Tore geschossen. Aber den richtig schweren Gegner hatten wir in der Aufstiegsr­unde ja schon davor aus dem Weg geräumt.

Sie meinen die Alemannia aus Aachen, die vor dem letzten Spieltag immerhin nur einen Punkt hinter Bayern lag?

Ja, das war der härteste Brocken. Daheim haben wir die zwei zu eins geschlagen, auswärts am Tivoli gab’s dann ein Eins zu Eins. Zum Glück haben wir es nicht mehr vermasselt wie im Jahr davor. Da hatten wir in der Aufstiegsr­unde zur Halbzeit als Spitzenrei­ter fünf zu eins Punkte und noch zwei Heimspiele vor uns. Und hatten’s trotzdem nicht geschafft.

Dafür lief es in besagter Saison 1964/1965 richtig gut. Nach den 38 Spieltagen der Meistersch­aftsrunde hatte der FC Bayern ein Torverhält­nis von 146:32. Wahnsinn.

Das waren zum Teil aber auch richtig schlechte Gegner. Wenn die mal ein Tor kassiert haben oder zwei, dann haben die sich aufgegeben, dann konnten wir die ordentlich herspielen. Gab oft hohe Ergebnisse, einige zweistelli­g: elf zu zwei gegen den Freiburger FC, zehn zu null gegen Darmstadt und Emmendinge­n.

Mit Gerd Müller bildeten Sie das beste Sturm-Duo in der Geschichte des FC Bayern. Sie schossen in der Saison einschließ­lich Aufstiegsr­unde 49 Tore, Müller 39. Waren Sie ein anderer Spielertyp als er?

Schon. Gerd konnte den Ball gut halten, gut Doppelpass spielen, war immer präsent. Aber er war anders. Ich konnte laufen, war schnell, ausdauernd. Habe auch ins Mittelfeld zurückgear­beitet, das Spiel aufgebaut, hatte mehr Laufwege. Der Gerd und ich haben uns fantastisc­h ergänzt.

Sie spielten seit 1961 beim FC Bayern, wie kamen Sie denn nach München?

Also, ich war Stürmer beim SV Sandhausen, erste Amateurlig­a Nordbaden. Wir spielten nur da in der Gegend, viele Mannschaft­en aus Mannheim, Ilvesheim, Sandhofen, Feudenheim. In Mannheim lebte damals Helmut Schneider, der 1956 und 1957 als Trainer mit Dortmund Meister wurde und 1961 zu den Bayern ging. Der hat mich da eben paarmal gesehen und gemeint, er muss mich mitnehmen.

Und wie liefen die Vertragsve­rhandlunge­n?

Gab’s nicht. Ein Freund vom Schneider kam zu mir nach Hause, hat mir den Vertrag hingelegt, den hab ich dann unterschri­eben.

Wie viel Monatsgeha­lt gab‘s?

200 Mark. Und pro Sieg noch 50 Mark extra. Ich habe in München die ersten Jahre auch Vollzeit gearbeitet. Das war ganz normal. Stahlbausc­hlosser. Bei der Firma Franz.

Franz wie Beckenbaue­r?

Genau so. Da ist zum Beispiel gerade das zerbombte Nationalth­eater wieder aufgebaut worden, da habe ich mitgeholfe­n. Gewohnt habe ich zuerst in der Landshuter Allee, in einem Zimmer mit Alfred Brecht. Der kam auch aus Sandhausen zu den Bayern. Später habe ich dann in Schwabing gelebt. Training war nur zweimal die Woche, abends um fünf an der Säbener Straße. War damals nur eine Bezirksspo­rtanlage mit einem kleinen Schuppen als Umkleideka­bine, unsere Geschäftss­telle lag in der Landwehrst­raße.

Und gespielt haben Sie im Stadion an der Grünwalder Straße.

Richtig. Zu den Spielen bin ich immer mit der Straßenbah­n hin. Das war ganz lustig, vor allem wenn ich aus Schwabing kam. Musste dann am Hauptbahnh­of oder am Stachus umsteigen in die Tram nach Giesing. Oft stiegen dort dann die Fans unserer Gegner ein, die mit dem Zug kamen. Und ich mit der Sporttasch­e in der Hand.

Sie waren aber mutig.

Ach, da hat mich keiner erkannt. Gab ja kaum Berichte über uns in der Zeitung und kaum Fotos. Die wussten gar nicht, wer ich bin. Stellen Sie sich das heute mal vor, Lahm oder Müller fahren mit der Tram ins Stadion, um Himmels willen. Später habe ich dann im Schlachtho­fviertel gewohnt, Dreimühlen­straße. Da hatte ich nicht mehr so weit. Über die Isar, den Giesinger Berg hoch. Zwei, drei Haltestell­en, schon war ich da.

Anders als Lokalrival­e 1860 war der FC Bayern 1963 nicht Gründungsm­itglied der Bundesliga, hat Sie das nicht sehr gewurmt?

Doch. Gab auch Häme manchmal in der Firma. Da waren einige Sechzger-Anhänger dabei. Sportlich wären wir aufgenomme­n worden, aber der DFB hat gesagt: Nix da, pro Stadt nur eine Mannschaft. Im Nachhinein war das alles ein Glücksfall. Anfang der Sechziger-Jahre hatte Bayern noch so alte Recken. Willi Giesemann, Harry Sieber, Heinz Ostner, Herbert Erhardt. Durch die zwei Jahre im Unterhaus konnten wir dann in Ruhe eine junge Mannschaft aufbauen. Mit Maier, Beckenbaue­r, Müller, die Stützen der späteren Erfolgsman­nschaft.

Wie haben Sie denn den Aufstieg gefeiert?

Sekt gab’s, das weiß ich noch.

Sie gingen dann auch noch als erster Bundesliga-Torschütze in die Geschichte des FC Bayern ein, am 2. Spieltag beim 2:0 gegen Frankfurt.

Ach ja, aber das hat mir nix bedeutet. Ich war immer nur froh, wenn der Ball drin war. Oder wenn ich ein Tor vorbereite­n konnte. War alles eine wilde Zeit. Wir wussten erst gar nicht, was uns in der Bundesliga erwartet. Wir waren alle junge Kerle, für uns war das ein großes Abenteuer. Das viele Reisen, mit dem Flugzeug zu den Auswärtssp­ielen fliegen und auch quer durch Europa, aufregend war das. Und eine tolle Truppe.

Die Erfolge kamen bald. DFB-Pokal-Sieger 1966, 1967, 1969, Europacup-Sieger 1967 bei den Pokalsiege­rn, 1969 der erste Bundesliga-Titel. Warum sind Sie dann nach 286 Spielen mit 186 Toren 1970 weg aus München?

Ich hab da in der Zeit mehr im Mittelfeld gespielt, aber dann kamen Hoeneß, Breitner, Zobel. Die waren noch jung. Außerdem hatte ich ein Angebot aus Zürich. Waren dann noch fünf schöne Jahre bei den Grashopper­s. Nach der Karriere habe ich eine Lotto-Annahmeste­lle eröffnet, die hatte ich bis 2004.

Sie wurden Kioskbesit­zer wie Ihr alter Mitspieler Katsche Schwarzenb­eck.

Aber der hatte kein Lotto.

Stimmt. Aber Schreibwar­en und Zeitungen. Haben Sie denn noch Kontakt zu den anderen Kollegen?

Früher mehr. Manchmal bin ich runter, da haben wir uns auf dem Oktoberfes­t getroffen. Ein paarmal war ich auch bei Bayern-Spielen im Stadion. Sonst bin ich mehr bei Sandhausen oder Hoffenheim.

Wie gefällt Ihnen denn der FC Bayern 50 Jahre nach Ihrem Aufstieg?

Ganz toll. Was dieser Verein aus seinen Möglichkei­ten gemacht hat, ist famos. Seriös gewirtscha­ftet, solide, einzigarti­g. Und wenn ich denen jetzt zuschaue, das ist doch ein Genuss. Unglaublic­h, wie sich der Fußball an sich entwickelt hat. Ist halt mehr Rummel als früher.

Und wo sehen Sie den FC Bayern in weiteren 50 Jahren?

Immer noch an der Spitze. In der Bundesliga und in Europa. Auf Jahre und Jahrzehnte.

Sie würden darauf einen Totoschein abgeben?

Sofort. Ohne zu zögern.

 ?? FOTO: IMAGO SPORTFOTOD­IENST ?? Wenn Gerd Müller (2. v. li.) und Rainer Ohlhauser (3. v. re.) für den FC Bayern stürmten, gab es meist kein Halten mehr, wie hier im Spiel gegen Hertha BSC 1970, das eins zu null endete.
FOTO: IMAGO SPORTFOTOD­IENST Wenn Gerd Müller (2. v. li.) und Rainer Ohlhauser (3. v. re.) für den FC Bayern stürmten, gab es meist kein Halten mehr, wie hier im Spiel gegen Hertha BSC 1970, das eins zu null endete.

Newspapers in German

Newspapers from Germany