Angespitzt
Seit ein kleiner Enkel den Familienverbund bereichert, wird den Großeltern beigebracht, was richtige Ernährung ist. Die junge Mutter püriert und schnipselt Gemüse, Obst und greift nur in absoluten Ausnahmefällen zu einem Gläschen Babynahrung – und das auch nur, wenn dieses frei von Aromastoffen und sonstigem Teufelszeug ist. „Ihr könntet auch bewusster essen“, mahnt sie, als ihr Erzeuger verkündet, dass er beim Metzger ein paar Nierchen bestellt hat und diese in einer sauren Soße zuzubereiten gedenke. Nieren sind wie alle Innereien so ungefähr das Allerletzte am untersten Ende der Ernährungsskala. Und wer nicht weiß, dass Omega-3Fettsäuren, glutenfreies Getreide, Algen und Chia-Samen ein absolutes Muss bewussten Essens sind, dem ist sowieso nicht zu helfen.
Es passt ins Bild, dass Orthorektiker – das sind Menschen, die sich mehr Gedanken um gesundes Essen als um den Weltfrieden machen – von einem missionarischen Sendungsbewusstsein beseelt sind. Schnitzel mit Pommes verachten sie als kulinarische Obszönität, und den Konsumenten auch.
Da tut es gut, aus dem Land des politisch korrekten Kochens mal ausbüxen zu können, die Seele zu lüften und über den Kanal zu reisen. Hinüber nach England, wo sie solche Sachen wie fetttriefenden, panierten Fisch in Zeitungspapier als Delikatesse erachten, wo die Pommes zwei Daumen dick sind und nach Fischpanade-Öl riechen und wo das Bier so schmeckt, wie das Wetter nieselt.
Das Inselwetter bedient alle Klischees. Während zu Hause der Hund vor lauter Hitze am liebsten die Stunden bewegungslos auf dem kühlenden Parkett dahinglühen lässt, sagt Liverpool dem Besucher mit einem fröhlichen Regenguss, Windstärken knapp unter der Orkanmarke und einer Außentemperatur von 14 Grad „Hello“. Alles andere wäre ja auch eine Enttäuschung gewesen. Die „Magical Mysterie Tour“in einem knallbunten Beatles-Bus entlang der Penny Lane, unterfüttert mit BeatlesLiedgut, lässt aber alles vergessen. Und als später im wieder aufgebauten „Cavern Club“ein Mittsechziger auf die Bühne steigt, in seine Gitarrensaiten greift und ein Livekonzert zum Niederknien herzaubert, sagt der Reisende zu seiner Gattin: „Ich weiß nicht, was der Rest der Woche noch bietet – das war der absolute Höhepunkt.“Als kulinarische Höhepunkte folgen weißes Wattebrot mit mehligen Shrimps und einer kalorienbombigen Mayosoße, viele Burger und ein mit Cidre versetztes Lagerbier, das jedem deutschen Brauer die Tränen in die Augen treiben würde. Man hat alles überlebt. Sogar genossen. Nur eines hat man vermisst: Ratschläge von Orthorektikern.