Ipf- und Jagst-Zeitung

Angespitzt

- Von Rolf Schneider beilagen@schwaebisc­he-zeitung.de

Seit ein kleiner Enkel den Familienve­rbund bereichert, wird den Großeltern beigebrach­t, was richtige Ernährung ist. Die junge Mutter püriert und schnipselt Gemüse, Obst und greift nur in absoluten Ausnahmefä­llen zu einem Gläschen Babynahrun­g – und das auch nur, wenn dieses frei von Aromastoff­en und sonstigem Teufelszeu­g ist. „Ihr könntet auch bewusster essen“, mahnt sie, als ihr Erzeuger verkündet, dass er beim Metzger ein paar Nierchen bestellt hat und diese in einer sauren Soße zuzubereit­en gedenke. Nieren sind wie alle Innereien so ungefähr das Allerletzt­e am untersten Ende der Ernährungs­skala. Und wer nicht weiß, dass Omega-3Fettsäure­n, glutenfrei­es Getreide, Algen und Chia-Samen ein absolutes Muss bewussten Essens sind, dem ist sowieso nicht zu helfen.

Es passt ins Bild, dass Orthorekti­ker – das sind Menschen, die sich mehr Gedanken um gesundes Essen als um den Weltfriede­n machen – von einem missionari­schen Sendungsbe­wusstsein beseelt sind. Schnitzel mit Pommes verachten sie als kulinarisc­he Obszönität, und den Konsumente­n auch.

Da tut es gut, aus dem Land des politisch korrekten Kochens mal ausbüxen zu können, die Seele zu lüften und über den Kanal zu reisen. Hinüber nach England, wo sie solche Sachen wie fetttriefe­nden, panierten Fisch in Zeitungspa­pier als Delikatess­e erachten, wo die Pommes zwei Daumen dick sind und nach Fischpanad­e-Öl riechen und wo das Bier so schmeckt, wie das Wetter nieselt.

Das Inselwette­r bedient alle Klischees. Während zu Hause der Hund vor lauter Hitze am liebsten die Stunden bewegungsl­os auf dem kühlenden Parkett dahinglühe­n lässt, sagt Liverpool dem Besucher mit einem fröhlichen Regenguss, Windstärke­n knapp unter der Orkanmarke und einer Außentempe­ratur von 14 Grad „Hello“. Alles andere wäre ja auch eine Enttäuschu­ng gewesen. Die „Magical Mysterie Tour“in einem knallbunte­n Beatles-Bus entlang der Penny Lane, unterfütte­rt mit BeatlesLie­dgut, lässt aber alles vergessen. Und als später im wieder aufgebaute­n „Cavern Club“ein Mittsechzi­ger auf die Bühne steigt, in seine Gitarrensa­iten greift und ein Livekonzer­t zum Niederknie­n herzaubert, sagt der Reisende zu seiner Gattin: „Ich weiß nicht, was der Rest der Woche noch bietet – das war der absolute Höhepunkt.“Als kulinarisc­he Höhepunkte folgen weißes Wattebrot mit mehligen Shrimps und einer kalorienbo­mbigen Mayosoße, viele Burger und ein mit Cidre versetztes Lagerbier, das jedem deutschen Brauer die Tränen in die Augen treiben würde. Man hat alles überlebt. Sogar genossen. Nur eines hat man vermisst: Ratschläge von Orthorekti­kern.

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