Von Leuten, die beim Thailänder mit Stäbchen essen
Es handelt sich unüberhörbar um eine laute Person am Nebentisch: Und die Dame mittleren Alters pflegt zudem einen fröhlichen Kleidungsstil. Ihre Aufmachung ähnelt der Verpackung für Präsente, wie man sie gerne auf Kindergeburtstagen verschenkt. Ihr Lachen ist stets ein bisschen zu laut, ihre Freundlichkeit immer einen Tick zu süßlich. Und unter der komödienstadelreif inszenierten Weltgewandtheit offenbart sich Unwissenheit. „Wir möchten bitte gern mit Stäbchen essen“, trällert sie dem Kellner im Thai-Restaurant Bangkok bei Gunya in Friedrichshafen zu, als der die Bestellung notiert. Er stutzt kurz und erklärt, dass man keine Stäbchen habe. „Ach“, kommt es enttäuscht vom Kanarienvogel. Und als der Kellner sich entfernt, entschuldigt sie sich beim Tischgenossen, dass es mit der Original-Thaiküche wohl nicht so weit her sei, wenn es nicht mal standesgemäßes Besteckt gebe. Es kostet Überwindung, der Frau nicht spontan zu erklären, dass die Tischkultur Thailands auf Gabel und Löffel fußt, dass es also etwa genauso widersinnig ist, in der Pizzeria nach Stäbchen zu fragen wie hier im Bangkok.
Wie authentisch die Küche ist, kann sicher nur ein Thai verbindlich sagen. Dass sie den Häflern jedenfalls ausgezeichnet schmeckt, beweisen die vielen Menschen, die das Restaurant scharenweise zur Mittagszeit belagern. Darauf hat sich der Betrieb eingestellt und extra eine umfangreiche Mittagskarte aufgelegt, auf der kein Gericht mehr
als 8,50 kostet.
Schmeckt das auch, was da rasch und variantenreich aus der Küche getragen wird? Ja! Den aromatischen Reigen eröffnet die Hühnersuppe Tom Kha Gai: viel Geflügelfleisch, frische Champignons, Kokosmilch und geschmacksintensives Wurzelwerk mit verträglicher Schärfe. Als Hauptgericht inszeniert die Küche gebratene Eiernudeln mit Gemüse und Thaikräutern, gekrönt von knusperfrischer Entenbrust. Respekt: Das Aromenspiel erfasst die Geschmacksnerven und entfacht Partystimmung im Mund. Dabei überzeugt alles mit Frische und einem Farbenreichtum, der sogar die Dame vom Nebentisch in den Schatten stellt. Die schwere Süße der gebackenen Litschis mit Honig, Sesam und Kokos beendet ein ansonsten durchweg leichtes und gelungenes Menü. Von angenehmer Leichtigkeit ist übrigens auch die Innenarchitektur, die etwas Eleganz andeutet und nicht mit grinsenden Buddha-Statuen zugestellt ist.
Thailands König Bhumibol Adulyadej blickt von der Wand her huldvoll auf die Szenerie. Die Tischnachbarin hat er gut im Blick. Gerade kommt ihr Essen. Anstatt auf den Teller zu blicken, nennt sie mehrfach die Nummer, unter der das Gericht auf der Karte steht: 622. „Gebratene Entenbrust mit Gemüse?“, fragt die Bedienung irritiert. „622!“, schallt es zurück. Erst als sie auf der Karte nachgesehen hat, weiß sie wieder, was sie bestellt hat. Sie greift zu Löffel und Gabel und fängt an, etwas hilflos in ihrer 622 herumzustochern. Gerade so, als könne sie ohne Stäbchen kaum essen. Als der erste Bissen den Mund erreicht, verstummt sie bis auf ein wohliges Schnurren. Da muss sogar der König von Thailand ein bisschen schmunzeln.