Keine Lust auf Wiederholungen
Musiker Frank Turner probiert gerne Neues – auch wenn es andere kritisieren
Frank Turner ist so etwas wie Everybody’s Darling, wenn es um Punkrock mit SingerSongwriter- und Folk-Einflüssen geht. Am Freitag, 4. September, tritt er bei Rock am See in Konstanz auf. Daniel Drescher und Christiane Wohlhaupter haben ihn zu seinem neuen Album „Positive Songs for Negative People“befragt.
Du sagst, dein neues Album handle von einem beschissenen Jahr und wie du es überstanden hast. Was war für dich so schrecklich in dieser Zeit?
Teilweise greift das Album dieselben Themen wie der Vorgänger „Tape Deck Heart“auf: das Scheitern und Persönliches. Nachdem dieses Album erschienen war, habe ich meine ersten Erfahrungen mit den Schattenseiten der Popularität gemacht. Ich war lange Zeit ein UndergroundKünstler, und irgendwie bin ich das immer noch. Aber plötzlich war ich auch im Mainstream präsenter, und das bringt nicht nur schöne Dinge mit sich. Wenn du im Untergrund bist, kennen dich nur die Leute, die dich mögen. Das macht es einfach. Aber wenn du in Radio und Fernsehen präsent bist, wirst du eben auch Menschen ausgesetzt, die dich vielleicht nicht mögen und die dir das auch unbedingt sagen wollen – im Internet zum Beispiel. Ich beschwere mich nicht darüber, denn man kann es nicht allen recht machen. Aber ich musste quasi von heute auf morgen lernen, damit umzugehen, und das war nicht einfach.
Du hast die Negativität im Internet erwähnt. Glaubst du, dass die Leute dort aggressiver ihre Meinung äußern, weil sie es anonym tun können?
Das Internet hat viele gute Seiten, die Kommunikation und Verbindungen, die es schafft, können großartig sein. Oder nimm die Musik: Wenn mir früher jemand von Agnostic Front vorgeschwärmt hat, habe ich ein halbes Jahr gebraucht, um herauszufinden, wie die Band klingt. Heute gehst du dazu auf Youtube und weißt sofort Bescheid. Aber es gibt schon viele Menschen, die im Netz Schwachsinn verzapfen, den sie dir nie ins Gesicht sagen würden. Ich musste lernen, dass man so etwas gar nicht ernst nehmen darf.
Wo du vorher den Mainstream angesprochen hast: Du bist bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in London aufgetreten und hattest einen Gastauftritt in der deutschen Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“.
Oh ja, das war verdammt schräg. Sie haben uns gar nicht genau erklärt, was da eigentlich los ist, bis wir ankamen. Aber es war lustig. Natürlich will ich in einer TV-Serie mitspielen. Und natürlich hat dann jemand darüber gemeckert. Das Internet ist voller Punkrock-Kids, die nach einem Grund suchen, sauer auf Bands zu sein, die sie mal mochten. Da denke ich mir: Sucht euch ein verdammtes Hobby. Das Leben ist kurz und ich will interessante Dinge tun und mich nicht wiederholen. Aber die Kids wollen zum Beispiel, dass ich immer und immer wieder im Molotow in Hamburg spiele. Ich liebe das Molotow – aber ich will auch etwas Neues machen. Unglaublich, wie konservativ die Leute sein können. Ein Freund von mir sagt: Neil Young ist deshalb so gut, weil er auch mal danebenlangt. Da gebe ich ihm recht. Bruce Springsteen, so sehr ich ihn liebe, macht ja leider immer das Gleiche.
Kommen wir zu „Positive Thoughts for Negative People“. Was hat das Album inspiriert?
Ich hatte den Eindruck, dass meine Band Sleeping Souls und ich bisher unsere Live-Energie nicht auf Platte eingefangen haben. Auf der Bühne bin ich ein besserer Musiker als im Studio. Ich hab viel über Debütalben nachgedacht und was sie interessant macht: Sie sind meistens eine Art von Live-Album. Man spielt in kleinen Klubs, stellt die Songs zusammen, probt quasi vor Publikum, geht zurück ins Studio und dann wieder auf Tour. Also wollte ich das neue Album live einspielen. Butch Walker, der das Album produziert hat, war gleich Feuer und Flamme für meine Idee. Im Wesentlichen ist die Platte live aufgenommen. Gesang und Akustikgitarre haben wir hinterher separat aufgenommen, aber alles andere ist live. Bis auf einen Song ist alles in jeweils einem Take aufgenommen. Keine Edits, keine Mogelei. Es war nicht der erste Take, aber ich bin stolz darauf, weil das heute selten ist.
Bei welchem Song habt ihr eine Ausnahme machen müssen?
Bei „Mittens“, der ist einfach schwierig zu singen. Da haben wir keinen Take gefunden, wo Strophe und Refrain gut klangen.
Wenn ein Musikfan dich nach drei unverzichtbaren Debütalben fragen würde, welche drei würdest du aufzählen?
Oh, schwierig ... Ich hab bei den Arbeiten zum neuen Album oft an „I Should Coco“von Supergrass denken müssen. „1977“ist zwar das zweite Album von Ash, fühlt sich aber wie ein Debüt an. Und „Four Minute Mile“von The Get Up Kids ist immer noch eins meiner Lieblingsdebüts aller Zeiten.
Wie muss man sich das Songwriting und den Aufnahmeprozess vorstellen?
Das Songwriting begann an dem Tag, als wir den Vorgänger abgemischt hatten. Ich mach keine extra Songwriting-Sessions, Ideen kommen einfach so und ich schreibe sie auf, wenn mir etwas einfällt. Wir gingen nach Nashville, weil Butch Walker da sein Studio hat. Nach neun Tagen hatten wir es geschafft. „Song for Josh“haben wir live im „9:30“-Club in Washington D.C. aufgenommen. Josh Burdette, ein Freund von mir, war dort Security-Chef und ist vergangenes Jahr gestorben.
Du hast dieses Jahr bei Rock am Ring gespielt. Für das Publikum war der Wechsel vom Nürburgring nach Mendig ein großes Thema. Für dich auch?
Ich hab vor ein paar Jahren schon einmal bei Rock am Ring gespielt. Aber ich will ehrlich sein: Es bricht mir jetzt nicht das Herz. Menschen legen meiner Ansicht nach zu viel Wert auf die äußeren Umstände. Ich werde oft gefragt, ob ich lieber Festivals oder eigene Shows spiele. Bei einem Konzert geht es um die Musik, um das Publikum, um Interaktion, den Sound, so viele unterschiedliche Dinge, die das beeinflussen. Man kann vor 300 Leuten eine unglaubliche Schau spielen, aber man kann auch vor 3000 Leuten ein beschissenes Konzert haben – und umgekehrt.