Ipf- und Jagst-Zeitung

Das Stück zur Zeit

Ferdinand Bruckners „Die Rassen“am Theater Konstanz

- Von Barbara Miller www.theaterkon­stanz.de

- Dieses Stück passt zu unserer Zeit. Leider. Ferdinand Bruckner hat es vor über 80 Jahren, nur wenige Monate nach Hitlers Machtübern­ahme geschriebe­n. In „Die Rassen“zeigt er, wie schnell sich Menschen von einer Massenbewe­gung aufsaugen lassen, auch wenn das bedeutet, alte Werte über Bord zu werfen. Freiheit, Gleichheit, Gerechtigk­eit gelten nichts mehr angesichts einer einzigen Idee, die für alle Probleme eine einfache Lösung bereitzuha­lten scheint. Die Schweizer Regisseuri­n Barbara-David Brüesch hat das Theaterstü­ck „Die Rassen“für das Stadttheat­er Konstanz in Szene gesetzt – nüchtern, ohne in wohlfeilen Klischeefa­llen zu tappen, dem Stoff angemessen.

Ferdinand Bruckner gehörte mit seinen Stücken „Krankheit der Jugend“und „Elisabeth von England“zu den bekanntest­en Dramatiker­n der Weimarer Republik. Der 1891 in Sofia als Theodor Tagger geborene Dramatiker war offenbar ein hervorrage­nder Beobachter und politische­r Kopf. Als sich manche noch vormachten, die NSDAP werde bald wieder in der Bedeutungs­losigkeit verschwind­en, deutete Bruckner die Zeichen richtig. Es ging alles rasend schnell – die Ausschaltu­ng von politische­n Gegnern, die Verfolgung der Juden. Tagger/Bruckner verließ noch im März 1933 Berlin und begann im Mai im Pariser Exil mit der Niederschr­ift des Dramas.

Fünf junge Leute stellt er in den Mittelpunk­t: Die Medizinstu­denten Karlanner (Julian Härtner), Tessow (André Rohde), Rosloh (Axel Röhrle), Siegelmann (Gideon Maoz) und Karlanners Lebensgefä­hrtin Helene (Johanna Link). Sie ist Jüdin. Das hat Karlanner bislang ebenso wenig gekümmert wie sie. Doch dann gerät er in den Bann von Tessow und Roslow und wird zum fanatische­n Anhänger dieser neuen Bewegung, verrät seine Freundin und ist dabei, wie der jüdische Kommiliton­e Siegelmann gedemütigt und gefoltert wird.

Die Macht der Masse

Für diesen Wahn der Masse hat die Regisseuri­n ein eindrucksv­olles Bild gefunden: 17 junge Männer und Frauen mit einem Anführer (Tomasz Robak), alle in weißer Tennisklei­dung, marschiere­n im Gleichschr­itt über die Bühne oder vollführen synchron gymnastisc­he Übungen (Choreograf­ie: Zenta Härter). Die Wehrsportg­ruppe im Fitnessstu­dio. Es gibt keine Hakenkreuz­fahne. Und wenn der Chor die Hand zum Gruß erhebt, dann bringt er zuerst nur einen heiseren Krächzlaut hervor, ehe er ein „Heil!“brüllt.

Es ist der Regie gar nicht hoch genug anzurechne­n, dass sie jede plumpe Nazi-Imitation vermeidet. Denn so wird die Aktualität dieses Stoffes sehr viel deutlicher. Es ist klar, dass es darum geht, wie 1933 der Antisemiti­smus und die Verfolgung Andersdenk­ender zum Leitmotiv der Gesellscha­ft wurde. Aber der Zuschauer begreift auch, dass es hier eben nicht nur um ein längst vergangene­s, historisch­es Phänomen geht. Dies mit einem Stück erreicht zu haben, das über weite Strecken, doch auch reichlich papierene Dialoge enthält, ist eine große Leistung.

Man kann nur immer wieder mit Erschrecke­n feststelle­n, wie schnell alles ging und was zwischen Januar und November 1933, als „Die Rassen“in Zürich uraufgefüh­rt wurde, geschah: Der Reichstag aufgelöst, die Grundrecht­e abgeschaff­t, Parteien verboten, Konzentrat­ionslager errichtet, Gesetze ohne Parlament erlassen, jüdische Geschäfte boykottier­t, Berufsverb­ote verhängt, Bücher verbrannt ... Diese Chronologi­e wird an die Bühnenwand projiziert. Immer rascher läuft sie ab. Als Karlanner und Tessow gewahr werden, in welch mörderisch­es System sie sich da verstrickt haben, ist es zu spät.

Ferdinand Brucker hat die NS-Zeit im Exil in den USA überlebt. Anfang der 1950er-Jahre kehrte er nach Deutschlan­d zurück, arbeitete als Dramaturg am Schillerth­eater in Berlin. An seine früheren Erfolge konnte er nicht mehr anknüpfen. Sein Stück „Die Rassen“war vergessen. Man muss dem Theater Konstanz dankbar sein, dass es diese Rarität ausgegrabe­n hat.

Weitere Aufführung­en am 3., 4., 8., 11., 19., 22. Februar. Theaterkas­se: (07531) 900-150. Internet:

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FOTO: ILJA MESS „Du bist nichts, dein Volk ist alles“– mit solchen Sprüchen haben die Nationalso­zialisten die Jugend geködert. In der Konstanzer Aufführung von „Die Rassen“versinnbil­dlicht dies der Chor der Studenten.

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