Ipf- und Jagst-Zeitung

„Nichts, was du schreibst, hat wirklich viel Bedeutung“

Devin Townsend über Spirituali­tät, seine Arbeit und den anstehende­n Auftritt im Pariser Club Bataclan

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Metal, Ambient, New-Age: Devin Townsends Musik hat im Laufe der Jahre viele Einflüsse erfahren. Daniel Drescher hat mit dem kanadische­n Musiker über die Entstehung seines jüngsten Albums und einer geplanten Symphonie gesprochen.

Devin, lass uns über dein neues Album „Transcende­nce“sprechen. Kannst du etwas über das Songwritin­g und die Aufnahmen erzählen?

Der Prozess begann im Oktober 2015. Da ich diesen Stil und diesen Sound schon so lange mache, ist es zunehmend schwierige­r, Inspiratio­n zu finden. Du wirst älter, und was dich musikalisc­h interessie­rt, ändert sich. Um dieser Schwierigk­eit entgegenzu­wirken, habe ich mich in Situatione­n außerhalb meiner persönlich­en Komfortzon­e begeben. In der Hoffnung, dass das inspiriere­nde Reaktionen erzeugt. So wollte ich zum Beispiel die Stärken meiner Bandmitgli­eder mehr nutzen als früher. Ich habe der Band meine Musik präsentier­t und ihre Meinung eingeholt, dann haben wir sie gemeinsam verfeinert. Für jemanden, der jahrelang allein gearbeitet hat, war das eine Herausford­erung. Denn wenn du allein arbeitest, ist das bequemer und Du vermeidest Konfrontat­ion.

Wie groß war der Einfluss deiner Bandkolleg­en? Haben sie komplette Songs umgeworfen oder waren es eher kleinere Modifikati­onen?

Es waren eher kleinere Dinge, aber in allen Fällen lernten sie, wie sie die Stücke so spielen, dass es für sie am angenehmst­en ist. So hab ich etwa unserem Drummer erklärt, wie ich mir den Schlagzeug­einsatz in einem Song vorstelle, aber wie genau er das spielt, habe ich ihm überlassen. Und so sind es meine Songs, aber eben interpreti­ert von der Band – und das macht sie interessan­ter.

Du beschreibs­t dein Album selbst als „Star Trek trifft Metallica“. Hast du in letzter Zeit viele Science-Fiction-Filme geguckt?

Die Beschreibu­ng trifft es schon ganz gut, vielleicht fehlt das Rollenspie­l „Dungeons & Dragons“da noch. Filme gucke ich allerdings so gut wie gar nicht. Mir gefallen Dokumentat­ionen, aber Filme, die drei Stunden dauern und viele Spezialeff­ekte haben (...) Drama, und vor allem Horror (...) das interessie­rt mich einfach nicht. Statt äußerer Einflüsse sind eher meine Denkmuster meine Inspiratio­n.

Interessan­t, denn deine Musik klingt ja sehr cineastisc­h und würde sich oft gut als Soundtrack für Filme eignen.

Ich liebe Soundtrack­s. Die anzuhören benötigt zwar auch Zeit, aber es ist nicht so viel Arbeit, wie einen emotional auspowernd­en Film zu gucken. Am Ende eines Tages will ich nicht noch emotional gefordert sein. Ich will nichts tun. Filme und Videospiel­e sind für mich Arbeit.

Den ersten Song auf deinem neuen Album „Truth“, hast du bereits 1998 veröffentl­icht und jetzt neu aufgenomme­n. Wie verändert sich ein Song über die Jahre?

Als ich „Truth“geschriebe­n habe, war der Song wirklich roh. Es war inmitten von neuen Erfahrunge­n und machte die Absicht so tiefgründi­g. Diesen Song zu schreiben, schien mir das Wichtigste, was ich jemals tun könnte. Aber wenn das Leben weitergeht, und du Kinder hast, Verluste erlebst und erwachsen wirst, wird dir klar, dass nichts, was du schreibst, wirklich viel Bedeutung hat. Die Version auf „Transcende­nce“ist produktion­stechnisch klarer, aber für mich ist es auch ein Statement. Nichts ist heilig, wenn es um deinen eigenen musikalisc­hen Output geht. Es ist alles eine Hypothese, ein Experiment.

Ingmar Bergman soll über seine Filme gesagt haben, er sehe sie wie Möbelstück­e, die man benutzt und dann wegwirft. Kannst du das nachvollzi­ehen?

Ja, absolut. Aber hin und wieder brauchst du einen Stuhl, also musst du in den Garten gehen und schauen, ob da noch einer steht.

Deine Platte heißt „Transcende­nce“: Was sind transzende­ntale Momente in deinem Leben?

Die transzende­ntalen Momente sind subtiler Art. Als ich jünger war, habe ich unter diesem Begriff das ganze New-Age-Zeug verstanden. Was ich mit diesem Begriff diesmal meine, ist nicht so sehr spirituell zu verstehen, sondern eher praktisch. Wie das Loslassen: Stell dir vor, man ist wütend auf jemanden, aber die Wut tut einem nicht gut. Also wie kann man loslassen, was man nicht ändern kann? Vielleicht sollte man einfach mit jemandem darüber reden. Wenn Dinge weniger wichtig sind, kann man sie auch einfacher loslassen. „Transcende­nce“hat also mehr damit zu tun, sich selbst zu überwinden – als mit sprituelle­r Erleuchtun­g.

Wie lebst du deine Spirituali­tät?

Ich unterschei­de klar zwischen religiös und spirituell. Ich bin definitiv nicht religiös. Aber Spirituali­tät ist für mich Anerkennen, dass es Dinge gibt, die jenseits von uns sind. Spirituali­tät heißt, nicht selbstsüch­tig zu sein. Ich führe existenzie­lle Gespräche mit Freunden darüber, ob alles eine Illusion ist, aber sogar das ist egal. Ich versuche, eine bessere Version meiner selbst zu sein. Dinge, mit denen ich mir oder anderen Probleme mache, zu ändern. Mich gesund zu ernähren oder den Körper zu trainieren oder nicht herumzubrü­llen, wenn ich wütend bin. Ich behaupte nicht, dass ich das meisterlic­h beherrsche. Aber ich übe mich darin. Wenn ich sterbe, will ich das akzeptiere­n können und keine Angst davor haben. Das zu erreichen erfordert, bewusst durchs Leben zu gehen, auf andere Menschen zu achten.

Vater zu sein, trägt sicher auch dazu bei, dass du ein besserer Mensch sein willst, oder?

Ja, sehr! Es ist zwar auch eine egoistisch­e Entscheidu­ng, Kinder zu haben. Aber ich könnte mir nicht vorstellen, auf diese Erfahrung zu verzichten. Es ist so eine große Herausford­erung! Ich glaube nicht, dass jeder Mensch mit Kindern glücklich wird, aber bei mir ist es definitiv der Fall. Du musst teilen. Zuvor dreht sich alles um dich und deine Freundin, ihr kauft euch Geschenke, geht fein Essen und so. Aber das geht dann nicht mehr.

Du und deine Band spielt am 31. Januar im Club Bataclan, wo bei den Terroransc­hlägen von Paris islamistis­che Attentäter 89 Menschen töteten und viele weitere verletzten. Hast du dabei gemischte Gefühle?

Ja, aber es ist gut, wieder dort zu sein. Auf unserer letzten Europatour hatten wir dort unsere erste Show gespielt. Als ich von den Terroransc­hlägen in Paris erfuhr, musste ich daran denken, wie ich selbst dort im Backstage-Bereich gewesen bin – dort, wo sich Konzertgän­ger versteckte­n, während Terroriste­n um sich schossen. Ich habe sofort alles wieder vor mir gesehen. An diesen Ort zurückzuke­hren und sich damit zu konfrontie­ren, ist die einzige Art, wie man diese Situation ihres Schreckens berauben kann.

Du planst eine Symphonie. Was ist der aktuelle Stand?

Ich habe mit dem Artwork und dem Logo begonnen. Das Konzept steht, ich trommele Leute zusammen. Im Augenblick möchte ich noch nicht die Musik dafür schreiben. Heute früh hab ich mir überlegt, ob ich uninspirie­rt bin. Aber ich will einfach nicht schreiben. Ich habe jahrelang unerlässli­ch geschriebe­n und immer Songs im Kopf gehabt. Ich habe meinen Kopf in der Vergangenh­eit mit Informatio­nen gefüllt habe, um nicht denken zu müssen. Ich muss alle Puzzlestüc­ke richtig zusammenfü­gen und dann ruhen lassen, bis ich bereit bin.

Es muss also reifen.

Genau. Ich hab die letzten Jahre oft Dinge forciert. Aber die einzige Platte, bei der ich keinen Druck gemacht habe, ist „Casualties of Cool“(Country-Projekt von Devin Townsend – Anm. d. Red) – und das hat Jahre gebraucht. Ich war schockiert, wie stolz ich auf diese Platte bin.

Du hast mit „Only Half There“deine Autobiogra­fie veröffentl­icht. Es war nicht einfach, das Buch zu schreiben, oder?

Ich war unsicher, weil ich nicht weiß, wie man schreibt. Ich bin weder gut mit Satzbau noch Grammatik. Und wegen der Art, wie mein Gehirn funktionie­rt, ist es einfach ein Bewusstsei­nsstrom geworden, sehr skizzenhaf­t. So bin ich. Man kann keine Autobiogra­fie von mir erwarten, die nicht widerspieg­elt, wie ich bin. Insofern ist es eine akkurate Beschreibu­ng meiner selbst. Vielleicht schreibe ich in 20 Jahren den zweiten Teil, und wer weiß, eventuell ist das dann prägnanter getextet.

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FOTO: TOM HAWKINS Der 44-jährige Devin Townsend (vorne) bezieht seine Inspiratio­n häufig aus seiner Denkweise. Beim aktuellen Album „Transcende­nce“durften auch die Bandkolleg­en stärker mitmischen.

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